Auf Koalitionskurs: Was die Neuland-Interviews über mögliche Bündnisse verraten

c’t und heise online interviewten Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien zu ihren digitalpolitischen Plänen. Wir schätzen Antworten und Reaktionen ein.

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Bundestagswahl 2017 - Erste Prognose:

(Bild: Mummert-und-Ibold/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

In sechs Einzelinterviews haben c’t und heise online die digitalpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien dazu befragt, wie sie Deutschland nach der Wahl digitalisieren wollen. In den jeweils einstündigen Gesprächen trat zutage, wohin die Reise nach der Wahl gehen kann und wessen Vorstellungen im Einklang mit oder im Widerspruch zu den politischen Gegnern stehen.

Einzelinterviews zur Bundestagswahl

Bei der Versorgung mit Breitbandnetzen gab CDU-Sprecher Tankred Schipanski unumwunden zu, dass die Förderung des Ausbaus von Kupferkabeln ein Fehler war. SPD-Sprecher Jens Zimmermann stimmte zu und erklärte, dass mit der SPD nur noch die Verlegung von Glasfaser gefördert würde. Dass der Ausbau stockt, liegt laut Zimmermann an fehlenden Kapazitäten bei Tiefbaufirmen – nicht etwa an politischen Fehlern der großen Koalition.

Tankred Schipanski von der CDU zückte im Neuland-Interview bei der Frage "Was ist eine Blockchain?" ein Fachbuch zum Thema.

Uneins waren sich vor allem FDP und Linke, ob der Ausbau weiterhin privatwirtschaftlich und nachfrageorientiert (FDP) oder staatlich durch eine Vergesellschaftung der Netze (Linke) vorangetrieben werden solle. Anke Domscheit-Berg von der Linken zeigte sich bei den Forderungen ihrer Partei im Hinblick auf eine rot-rot-grüne Koalition aber kompromissbereit: Enteignungen seien lediglich das letzte Mittel, und sie könne sich beim Mobilfunkausbau durchaus Roaming-Vorgaben für private Anbieter vorstellen, wie sie die Grünen anvisieren.

Konstantin von Notz von den Grünen war bei einer möglichen Beteiligung chinesischer Firmen an 5G-Netzen und kritischer Infrastruktur unnachgiebig. Seiner Meinung nach wäre es unverantwortlich, wenn das Funktionieren kritischer Infrastruktur bei Updates und Nachrüstungen vom Wohlwollen Chinas abhinge. Ähnlich sahen es Jens Zimmermann von der SPD, der vor allem europäische Anbieter zum Zuge kommen lassen will, sowie Manuel Höferlin von der FDP, der die Rechtsstaatlichkeit Chinas infrage stellte. Linke und CDU vertrauten derweil stärker auf die Prüffähigkeiten des BSI, eventuell eingebaute Hintertüren in Hard- und Software aufdecken zu können, und wollten keine Firmen kategorisch ausschließen. Die AfD verwies auf mögliche Gesundheitsgefährdungen durch höhere Frequenzen im Mobilfunk, die gründlich untersucht werden sollten.

Apropos Hintertüren: Die von der CDU vorangetriebenen Gesetze zum Einsatz von Staatstrojanern für Polizei und Geheimdienste würden SPD und Grüne wohl nicht zurückdrehen, wenn sie an die Regierung kämen. Jens Zimmermann von der SPD möchte nicht, dass Sicherheitsbehörden "blind und taub" werden und weiterhin ständig auf Informationen von US-Geheimdiensten abhängig sind. Konstantin von Notz hielt Staatstrojaner für die Polizei durchaus angebracht, hatte aber Bedenken, sie den Geheimdiensten zur Verfügung zu stellen; er klagt dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Grünen die aktuellen Befugnisse der Sicherheitsbehörden in künftigen Gesetzen wieder zurücknehmen, sah er aber als gering an.

Joana Cotar von der AfD widersprach der Forderung ihrer Partei nach dem Einsatz von Gesichtserkennungs-Software zur Videoüberwachung, wie die Union sie ebenfalls fordert. Einig waren sich hingegen die Linken: Anke-Domscheit-Berg opponierte gegen KI-gestützte Videoüberwachung ebenso wie gegen Staatstrojaner, weil die für letztere offen gelassenen Sicherheitslücken die IT-Sicherheit in Deutschland bedrohten. SPD und Grüne wollen für die Lücken ein Sicherheitsmanagement einrichten, das die größten Löcher stopfen soll.

Dass es bei dem Digitalpakt Schule und der Digitalisierung der Bildung nicht so richtig vorangeht, lasten CDU, SPD und Grüne vor allem dem föderalen System an: Bildung ist Ländersache. Die Grünen sehen es von Notz zufolge als aussichtslos an, den Bundesländern Vorgaben etwa zum Pflichtfach Informatik zu machen. Letzteres treibt vor allem die FDP voran, die gerne bereits Grundschülern erste Programmierschritte beibringen würde. Die Liberalen wünschen sich, dass Kommunen, Länder und Bund bei einem "Digitalpakt 2.0" stärker an einem Strang ziehen, statt sich über Kompetenzen zu streiten. Demgegenüber stimmte die AfD bereits beim ersten Digitalpakt mit "Nein" und Joanar Cotar sah im Interview keine Notwendigkeit, dass der Staat Schüler aus Elternhäusern mit geringem Einkommen bei einem für den Digitalunterricht nötigen Internetzugang finanziell unterstützen sollte.

Einig sind sich alle Parteien, dass die Monopolmacht der Internet-Riesen aus den USA begrenzt werden müsse, um den freien Wettbewerb nicht zu gefährden. Uneins sind sie jedoch darüber, ob das GAFAM-Quintett (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) auch stärker besteuert werden sollte. Die AfD möchte eine deutschlandweite Digitalsteuer einführen, verwickelte sich aber in Widersprüche, ob und wer auf Plattformen Fake-News und Hassreden kontrollieren und einschränken soll. Die FDP machte klar, dass Sie bei der Besteuerung nationale oder europäische Alleingänge ablehnt und eine globale Nivellierung der Steuersätze bevorzugt – was für Deutschland kräftige Steuersenkungen bedeuten würde. Um den deutschen IT-Mittelstand bei dem von den Liberalen geforderten Freihandelsabkommen mit den USA wettbewerbsfähig zu halten, sollte ihm der Staat nach dem Willen der FDP bei Ausschreibungen aus öffentlicher Hand entgegenkommen. In digitalen Freiheitszonen solle es etwa Start-ups erlaubt werden, mit Blockchain und Kryptowährungen zu experimentieren, ohne dass ihnen die BaFin auf die Finger sieht.

Anke Domscheit-Berg relativierte im Interview Forderungen der Linken zu Verstaatlichung und Open-Source-Zwang.

Jens Zimmermann von der SPD war der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach: Er würde sich auch über 15 Prozent Gewinnabgaben der Internet-Riesen freuen, während Grüne und Linke europaweit gerne mindestens 25 Prozent von den Konzernen einbehalten würden. Für Irland wäre das immerhin eine Verdoppelung der aktuellen Unternehmenssteuern.

Bei weitgehender Einigkeit über die Bedeutung der Digitalisierung geht es am Ende also ums Geld und seine Verteilung im Bundeshaushalt. Die FDP erhofft sich hohe Effizienzsteigerungen durch die Digitalisierung, sodass in der Verwaltung, im Gesundheitssystem und in der Bildung nicht mehr Geld für Personal ausgegeben werden müsse. Durch die Einsparungen, die die Liberalen darüber hinaus auch bei den Sozialausgaben vorsehen, könne der Staat Steuern senken. Die Linke lehnt diese Form der Digitalisierung kategorisch als neoliberal ebenso ab wie die von den Liberalen geplante Verdoppelung der Verteidigungsausgaben, etwa um die Cyberabwehr der Bundeswehr aufzurüsten.

Zwischen diesen beiden Extrempolen liegen Grüne und SPD mit ihren Positionen zur Haushalts- und Digitalpolitik dicht beieinander. Jens Zimmermann tendierte eher zum Kurs der FDP und sprach sich für eine Ampelkoalition aus. Dazu müssten sich Sozialdemokraten und Liberale allerdings auf eine Schuldenneuaufnahme einigen. Die SPD möchte möglichst viel Geld aufnehmen, die Liberalen wollen ähnlich wie die Union möglichst viel sparen. Die Grünen liegen irgendwo dazwischen.

Während für SPD und Grüne eine Regierungsbeteiligung der Linken bei aller inhaltlicher Diskrepanz zumindest zur Drohgebärde in Gesprächen mit Union und FDP taugt, bleibt die AfD beim Koalitionspoker komplett außen vor. Gründe dürften unter anderem der geforderte EU-Austritt, die Quasi-Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie zahlreiche innere Widersprüche im Programm und Abstimmverhalten der Partei sein, die auch Joana Cotar im Interview nicht auflösen konnte.

Die CDU hält nach eigener Darstellung "Maß und Mitte". Und obwohl Tankred Schipanski bei manchen Fachfragen zur Digitalisierung etwas weniger sattelfest erschien als seine Amtskollegen der anderen Parteien, könnte sich die Union wohl mit der FDP, der SPD als auch den Grünen in puncto Digitalpolitik inhaltlich arrangieren. Zwischen CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen werden nach der Wahl sehr wahrscheinlich intensive Koalitionsgespräche laufen.

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(hag)