Künstliche Intelligenz sucht Kipppunkte im Klimasystem

Forscher entwickeln ein neuronales Netz, das als Frühwarnsystem im Klimawandel dienen soll.

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Wolken

Wolken – speziell niedrige – sind eine der größten Herausforderungen bei Klimamodellen.

(Bild: dpa, Karl-Josef Hildenbrand)

Lesezeit: 3 Min.

Als Kipppunkte im Klimasystem werden Größen bezeichnet, die oberhalb eines bestimmten Schwellwerts für eine drastische Änderung des Klimas sorgen. Denn jenseits dieser Kipppunkte, so die Idee, wird ein sich selbst verstärkender Mechanismus in Gang gesetzt, der den Klimawandel immer weiter beschleunigt. Bekannte Kipppunkte sind beispielsweise das Auftauen des arktischen Permafrosts, der Zusammenbruch der ozeanischen Strömungssysteme oder das Abtauen der Eisschilde an den Polen – ob und wie viele weitere solcher Punkte es gibt, ist jedoch Gegenstand aktueller Forschung.

Dieser Text stammt aus: MIT Technology Review 7/2021

Chris Bauch von der University of Waterloo hat gemeinsam mit Kollegen nun ein tiefes, neuronales Netz darauf trainiert, Kipppunkte in Klimasystemen zu identifizieren und Warnhinweise zu geben, wenn sich das System einem gefährlichen Kipppunkt nähert. Der Ansatz beruht auf einer abstrakten Beschreibung komplexer, dynamischer Systeme: Das System analysiert die Auto-Korrelation von Zeitreihenwerten und lernt spezifische Muster zu erkennen, die eine "Bifurkation", eine qualitative Zustandsänderung, ankündigen.

Das Team von Bauch ist jedoch keineswegs das einzige, das versucht, mit Hilfe maschinellen Lernens und Künstlicher Intelligenz bessere Vorhersagen über den Klimawandel zu bekommen, berichtet MIT Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 07/2021. So arbeitet ein Team um Tapio Schneider vom California Institute of Technology beispielsweise daran, eine zentrale Schwäche aktueller Klimamodelle mit Hilfe maschinellen Lernens auszuräumen: die extrem vereinfachte Modellierung von Wolken.

Denn die globalen Modelle, die beispielsweise für den aktuelle IPCC-Bericht verwendet wurden, modellieren das Klimasystem in einem Raster mit einer Kantenlänge von 100 Kilometer. Wolken sind viel kleiner – sie werden daher "parametrisiert" werden, das heißt eine Zelle des Modells wird beispielsweise rechnerisch als "zu 20 Prozent bewölkt" gerechnet. Schneider und seine Kollegen nehmen deshalb die physikalischen Grundgleichungen physikalischer Klimamodelle und "vergröbern" sie, indem sie auf einem großen Energieraster beispielsweise gemittelte Werte einsetzen. Um die kleinräumigen, dynamischen Prozesse der Wolken dennoch modellieren zu können, ergänzen sie zusätzliche Funktionen in den Gleichungen, die diese Prozesse abdecken. Diese – für die Dynamik ganz wesentlichen – Funktionen lernen neuronale Netze aus hoch aufgelösten, lokalen Wolkensimulationen und Wetterdaten.

Andere, wie Jakob Runge von der TU Berlin nutzen die Methoden der "kausalen Inferenz", um Ursache-Wirkungs-Beziehungen in Klimadaten mit Hilfe von KI zu identifizieren. "Wir definierten uns Größen wie Temperatur Druck und so weiter – in gewissen Regionen. Dann schauen wir, wenn wir das auf die Beobachtungsdaten anwenden, wie das kausale Netzwerk aussieht", sagt Runge. "Manche Prozesse sind miteinander verbunden, andere nicht. Man bekommt daraus ein Netzwerk der Abhängigkeiten – eine Art Fingerabdruck. Dann nehmen wir die selben Variablen in Modellen, lernen das kausale Netzwerk in den Modelldaten und vergleichen. Sind das dieselben? Wo bilden die Modelle nicht so gut die Realität ab? Und zwar nicht unbedingt in den Absolutwerten, sondern in den Kausalbeziehungen." Die Methode könne also auch verwendet werden, um die "Verlässlichkeit" eines Modells zu berechnen, und zwar nicht nur auf die aktuellen, sondern auch auf zukünftige Daten.

(wst)