CO₂ einfangen und nutzen: Nur 4 von 74 Konzepten brauchbar

Mit Carbon Capture and Usage (CCU) soll CO₂ in neue Produkte verwandelt werden. Doch eine Studie bescheinigt den meisten Verfahren eher schlechte Bilanzen.

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Kraftwerk Bremen-Hastedt

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Eine faszinierende Vorstellung: Das steigende Übermaß an Kohlenstoffdioxid (CO₂) aus der Luft einfangen, um damit neue Produkte herzustellen. Der Wirtschaft könnte das neue Geschäftsfelder eröffnen, so die Hoffnung. Vieles könnte dann so weiter laufen wie bisher. Die Nutzung von CO₂, Carbon Capture and Usage (CCU), gilt vielen Unternehmen und Politikern als Teil der Lösung, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen.

"Das hört sich wirklich gut an", sagt Kiane de Kleijne, Klimaforscherin in der Umweltforschungsgruppe an der Radboud-Universität in Nijmegen, Niederlande. "Man nimmt einen problematischen Abfall und verwandelt ihn in ein wertvolles Produkt."

Doch ganz so einfach ist das nicht. Betrachtet man nämlich den gesamten Lebenszyklus der Produkte, die man mit solchen Technologien herstellt, dann gelangt das verarbeitete CO₂ oft irgendwann doch wieder nur als CO₂ in die Atmosphäre.

Aber es gibt Ausnahmen. De Kleijne und ihre Mitforschenden haben in einer aktuellen Publikation im Wissenschaftsmagazin "One Earth" 74 Technologien zur Wiederverwendung von atmosphärischem Kohlenstoff daraufhin überprüft, inwieweit sie das Potenzial haben, zum Klimaschutz beizutragen.

Nur acht davon könnten in der Tat helfen, das Reduktionsziel des Pariser Klimaabkommen von 2015 zu erreichen, nämlich die CO₂-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 2020 zu senken. In der Europäischen Union und in Deutschland gelten übrigens andere Ziele, die ehrgeiziger sein sollen.

Bis 2050 soll dann aber wirklich Schluss sein mit den anthropogenen Treibhausgasemissionen, in Deutschland bis 2045, in einigen nichteuropäischen Ländern bis 2060.

Von den untersuchten CCU-Lösungen blieben am Ende nur vier übrig, die das Netto-Null-Ziel für 2050 unterstützen könnten, so die holländischen Forscher. Die Liste der analysierten CCU-Technologien, deren Daten zum Lebenszyklus und zur technologischen Reife sind beim nationalen holländischen Datenzentrum DAMS frei zugänglich.

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"Wenn eine Technologie einerseits die Emissionen nicht sehr stark reduziert und andererseits noch weit von der Kommerzialisierung entfernt ist, dann ist es vielleicht besser, die finanziellen Mittel in Technologien umzuleiten, die das Potenzial haben, die Emissionen wirklich drastisch zu reduzieren", sagt de Kleijne.

In der wissenschaftlichen Literatur gibt schon länger Zweifel am Nutzen von CCU, schreiben die Radboud-Forscher. Möglicherweise sei die CO₂-Nutzung wegen der hohen Kosten durch die energieintensiven Schritte von Abscheidung und Umwandlung wirtschaftlich auch gar nicht machbar. Die größte Befürchtung von de Kleijne ist, das CCU-Technologien als politisches Ablenkungsmanöver dienen könnten, um die CO₂-Emissionen nicht so schnell und radikal reduzieren zu müssen wie nötig – insbesondere wenn CCU-Anwendungen die Speicherung von CO₂ , das Carbon Capture and Storage (CCS), ersetzen sollen.

Selbst die Autoren des IPCC-Sonderberichts "Globale Erwärmung auf 1,5°C" von 2018 waren skeptisch. Nach ihrer Einschätzung kann man CCU-Technologien nur dann als effektive CO₂-Schlucker einstufen, wenn sie das Treibhausgas nicht nur direkt aus der Atmosphäre oder aus Pflanzen extrahieren, sondern wenn das genutzte CO₂-Produkt am Ende auch dauerhaft gespeichert bleibt und später nicht wieder ausgast. Die durch die CO₂-Nutzung gespeicherte Kohlenstoffdioxidmenge muss immer größer sein, als die, die während des gesamten Lebenszyklus eines so hergestellten Produkts emittiert wurde.

Experten schätzen, dass die Entwicklung neuer CCU-Technologien 10 bis 15 Jahre dauert, um vom Labormaßstab zur großtechnischen Umsetzung zu kommen. Um aber 2030 voll einsetzbar zu sein, sollte eine solche Lösung im Jahre 2020 so weit fortgeschritten gewesen sein, dass ihr großtechnischer Erfolg in den kommenden acht Jahren realistisch abzusehen sei. Für das 2050-Ziel reicht es, wenn die CCU-Lösungen 2020 erst im Versuchsstadium waren.

Für Jessica Strefler von der Abteilung Transformationspfade der Arbeitsgruppe Energiesysteme am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) greift die Schlussfolgerung der Autoren zu kurz, dass Technologien, die in 2030 einen großen Nutzen bringen, aber in 2050 nicht emissionsneutral sind, eine Exit-Strategie brauchen: "Hier fehlt ein Kriterium, das die möglichen Alternativen der Produkte bewertet. Wenn eine CCU-Technologie die einzige oder klimafreundlichste Option ist, ein bestehendes emissionsintensives Produkt zu ersetzen, dann ist jede Emissionsreduktion hilfreich, nicht nur eine vollständige Vermeidung."

Mit dem Reduktionsziel für 2030 kompatible Anwendungen sehen die Forscher beispielsweise beim Gemüseanbau in Gewächshäusern. In Glashäusern nutzt man CO₂ ja schon lange, weil die Pflanzen das Treibhausgas einbauen und dadurch höhere Erträge einbringen. Einst dienten dazu die Abgase aus Dieselmotoren, deren Abwärme gleichzeitig das Treibhaus heizte.

Auch wenn Rauchgas aus Schornsteinen direkt ohne CO₂-Abtrennung für die Karbonisation von Stahlschlacke zur Herstellung von Bausteinen genutzt wird, wäre das in den nächsten acht Jahren ein guter Beitrag zur CO₂-Reduktion. Denn damit gebaute Häuser stehen sehr lange.

Erstaunlicherweise zeigte sich bei der Untersuchung, dass auch die verbesserte Erdölgewinnung mit CO₂-Injektion, das Enhanced Oil Recovery (ERO), offenbar noch eine Weile durchaus Vorteile beim Klimaschutz hat. Allerdings nur dann, wenn nicht mehr als zwei Barrel Rohöl (318 Liter) pro eingespeiste und unterirdisch verbleibende Tonne CO₂ gewonnen werden.

Zu den vier Verfahren, die bis 2050 wirklich CO₂ entfernen könnten, gehören wieder die Bausteine aus Stahlschlacke – aber nur, wenn sie dann mit reinem CO₂ aus nachwachsenden Rohstoffen gebacken werden.

Schwierig wird es bei Kraftstoffen und Chemikalien, die man gerne für Schiffe, Flugzeuge und industrielle Grundchemikalien haben möchte. Streng Paris-kompatibel sind sie nur, so die Wissenschaftler, wenn das CO₂ aus Pflanzen oder direkt Luft extrahiert werde. Ein Beispiel ist die Methanproduktion aus Wasserstoff und biogenem CO₂. Entscheidend sei aber immer, dass die nötige Umwandlungsenergie vollständig aus erneuerbaren Quellen stammt.

Das Resümee von de Kleijne und ihren Kollegen: Auch wenn die meisten CCU-Technologien nicht Paris-kompatibel seien, wären sie in einer Übergangszeit durchaus nützlich. Allerdings würden derzeit zu viele Forschungs- und Entwicklungsgelder in CCU-Optionen fließen, die technisch entweder nicht reif genug seien oder die die Emissionen nicht ausreichend reduzieren könnten.

(jle)