Ukraine-Krieg: Geflüchtete Schüler profitieren von Digitalisierung

Krisen haben das Bildungssystem stark unter Druck, dadurch aber auch einiges in Gang gesetzt. Das könnte nun geflüchteten Schülern aus der Ukraine nützen.

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(Bild: peampath2812/Shutterstock.com)

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Bei dem Bemühen, ukrainische Geflüchtete zu integrieren, agiert das deutsche Bildungssystem schneller und agiler als bisher gewohnt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Online-Barcamp von Expertinnen und Experten aus dem deutschen Bildungswesen, Bildungswerkern und interessierten Bürgerinnen und Bürgern.

Weil vorangegangene Krisen neue Kommunikationskanäle entstehen ließen, sei der technische Instrumentenkasten der Lehrkräfte nicht mehr ganz so leer wie etwa am Anfang der Coronavirus-Pandemie. Insbesondere die Online-Vernetzung leiste eine schnelle Hilfe.

Während des Barcamps "Ukrainische Geflüchtete im Bildungsbereich", das diesen Montag stattfand, stellte der Bildungsexperte Dirk Zorn von der Robert Bosch Stiftung fest, dass die Selbstorganisation im Bildungswesen durch die Corona-Pandemie zugenommen habe. Auch die digitale Vernetzung von engagierten Lehrkräften und Menschen im Bildungswesen sei wesentlich selbstverständlicher geworden.

Trotzdem bringe die aktuelle Situation viele Fragen mit sich. Unter anderem sei noch nicht ganz klar, wie stark Deutschland, aber auch die Ukraine auf landeseigene Curricula bestehen und wie die Integration von geflüchteten Jugendlichen konkret in den Schulen gelingen kann.

Wünschenswert sei, so Zorn, eine Flexibilisierung des Schulalltags und das sogenannte "Drehtürmodell", das bisher aus der Begabtenförderung bekannt ist. Dieses würde es erlauben, dass ukrainische Schulkinder das "sowohl als auch" leben könnten: Einerseits die Integration in bereits bestehende Klassenverbände, andererseits weiterhin muttersprachlicher Unterricht und das Erreichen von ukrainischen Schulabschlüssen.

Konkret muss man sich dies als Hybridunterricht vorstellen, in dem auch die Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielt. Geflüchtete Kinder nehmen zwar am deutschen Schulunterricht teil, aber zunächst nur in den Kursen, die sie – etwa durch geringere Sprachbarrieren – auch gewinnbringend besuchen können. In extra eingerichteten Klassen oder Projekträumen sollen die Geflüchteten aber auch an ukrainisch-organisiertem Online-Unterricht teilnehmen können, möglicherweise unterstützt durch ukrainische Lehrkräfte, die ebenfalls geflohen sind und als Honorarkräfte an Schulen beschäftigt werden könnten. Für solch eine Lösung zeigten sich bereits die Politikerinnen und Politiker der Kultusministerkonferenz (KMK) sowie Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger offen. Man wolle ukrainischen Lehrkräften, die dies wollten, "eine Beschäftigungsmöglichkeit an Schulen" verschaffen, erklärten sie am 11. März (PDF).

Zorn unterstreicht, dass sich auch die Kultusministerkonferenz in der aktuellen Lage reaktionsschneller und offener zeige. Während der Coronavirus-Pandemie schien das Mantra hingegen oft zu lauten: "möglichst schnell zurück in den gewohnten Präsenzunterricht". Laut Zorn würden digitale Angebote für Geflüchtete als Teil des Lösungspakets aber nicht abgelehnt und auch die Ermöglichung von muttersprachlichem Unterricht läge auf dem Tisch. Die Ukraine liefert mit eigenen Angeboten wie etwa der privaten Optima-School und der landeseigenen Lernplattform bereits funktionierende Anknüpfungspunkte. Für das laufende Schuljahr könnte es aber trotzdem eng werden: Das ukrainische Schuljahr endet normalerweise im Mai.

Artikelserie "Schule digital II"

Wie sollte die Digitalisierung in unseren Schulen umgesetzt werden? Wie beeinflusst die Coronavirus-Pandemie das Geschehen? Was wurde im Schuljahr 2020/2021 erreicht - wie ging es 2021/2022 weiter? Das möchte unsere Artikelserie beleuchten.

Die Teilnehmer des Barcamps plädierten für individuelle Entscheidungen in der Frage, ob und wie geflüchtete Kinder und Jugendliche sich dem deutschen oder dem ukrainischen Schulsystem zuwenden. Die Widersprüche, die die Zusammenführung der zwei Schulsysteme schaffen würden, dürften nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden – Integration und trotzdem ein Fortführen ukrainischer Bildungswege dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Deutschen Lehrkräften hilft es in der aktuellen Situation, dass unter anderem in Deutschland mittlerweile Nutzungsrechte für ukrainische Schulbücher vorliegen, die ihrerseits online abrufbar sind. Diese gute Ausgangslage sei unter anderem einer stärkeren Digitalisierung in der Ukraine aufgrund der Coronavirus-Pandemie geschuldet, erklärte Zorn.

Hier stoße man aber auch auf Probleme. Zum einen müssen deutsche Lehrkräfte Texte entsprechend übersetzen können, zum anderen ist noch nicht klar, wie mit – aus deutscher Sicht – problematischen Inhalten in ukrainischen Lehrwerken umgegangen werden kann; wenn etwa im Fach Geschichte von der deutschen Einschätzung abweichende Inhalte vermittelt werden. Die Qualität der Texte könne nicht ohne Weiteres garantiert werden. Dies sei aber ein Problem, das auf Ebene der KMK geklärt werden müsse.