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Was war. Was wird.

Aufrechter Gang, er zeichnet vor den Tieren aus, meinte Ernst Bloch. Angesichts banaler Raffgier und Bösgläubigkeit fällt es manchmal schwer, dies zu glauben, meint Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Nicht der Große frisst den Kleinen, sondern der Langsame den Schnellen": Der Bielefelder Thomas Middelhoff, der mit weisen Sätzen einen Medienkonzern aus Gütersloh an die Börsen von Frankfurt, London und New York bringen wollte, hat sein Ziel nicht erreichen dürfen. Wertet man die vielen Kommentare zum Fenstersturz bei Bertelsmann, so war es die Anhänglichkeit an Napster, die für Irritation sorgte. Wie keine andere Erfindung aus der Dot.Com-Blütezeit verkörperte Napster die beiden Extreme des Internet in einem Dienst, das altruistische Peer-to-Peer und das gnadenlose Abzocken der Inhalte. Dass dieser Dualismus dem Top-Manager Middelhoff entgangen ist, mag eine Bielefelder Spezialität sein, anrechnen muss man ihm die Installation einer Kommission, die die Verstrickungen von Bertelsmann im Dritten Reich untersuchte, auch wenn die Ergebnisse in der Bertelsmann-Darstellung arg geschönt erscheinen. Die neue Riege passt nun zum Trend, mit dem die Grauen wie Sihler und Stoiber an die Macht kommen.

*** Die Aktionen dieser Grauen lassen bislang vermuten, dass sie das Grauen über die Verschiebung moralischer Kategorien, die sich in jüngster Zeit feststellen lässt, kaum nachvollziehen können. Der Berliner Republik scheinen diese Kategorien jedenfalls verloren zu gehen, wenn Hannah Arendts Wort von der "Banalität des Bösen", das ihr angesichts des Vernichtungs-Organisators in den Sinn kam, bei alltäglicher Korruption und kleiner Bereicherung für angebracht gehalten wird. Amerika, Du hast es besser: Wenigstens haben die Betrügereien noch eine Dimension, die selbst dem Abgebrühtesten das Staunen lehrt. Banal ist das alles aber schon: Nichts mehr in den USA von den großen Skandalen, die "Unbestechliche" zu ihrer Aufdeckung erforderten, nichts mehr in Europa von "Strategie der Spannung" und Verschwörungen von Geheimlogen, die Millionen zur Abwehr auf die Straße trieben. Stattdessen banale, ganz öffentliche Raffgier, als hätte sich die moderne Management-Lehre bei Karl Marx bedient -- handelt es sich nun um Enron und WorldCom oder um Bush und Berlusconi. Diese "Banalität der Raffgier" allerdings passt nur zu gut zur Berliner Republik, in der eine banale Figur wie Hunzinger Microsoft nicht zufrieden stellen kann, dafür aber Verteidigungsminister stolpern lässt.

*** Die Banalität der Raffgier legt sich wie ein dichter Nebel über alles und lässt sogar altgestandene US-Rocker den Ausweg im nationalen Pathos suchen. Ein abgehalfterter Diskokönig wie George Michael muss "The Boss" vormachen, wie man beispielsweise Bushs Schoßhündchen Blair auf die Schippe nehmen kann. Ist der auch von Springsteen besungene, von Bryan Adams bedichtete "Summer of 69" schon so lange her? Aber auch damals schon war dies nur ein Mythos, der Amerikkkas Main Street rebellisch verklärte. Eine Rebellion aber gab es auf Main Street nie. Dafür Telecom-Firmen, die sich mit sehr viel Bösgläubigkeit am Leben erhielten.

*** Ja, Bösgläubigkeit, nicht wahr. Ein Wort, das man allenfalls aus der Linklehre kennt, wurde in dieser Woche von Heise-Lesern ausgiebig bewundert, wenn auch in der banaleren deutschen Variante. So schön kann die deutsche Sprache sein, eine Perniziöse, gewissermaßen, besonders dann, wenn Wörterbücher in diesem Punkt versagen. Bösgläubigkeit entstammt dem Glauben der Juristen, wie es eine Suche bei Google verrät. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der richtige Begriff für die Klage gegen den Empfang von e-Cards. Wie wäre es mit Böswilligkeit?

*** Geläufiger ist allemal die Gutgläubigkeit, die sich besonders beim Schwören auf die Bilanzen einstellt: Wer nimmt einem Larry Ellison diesen Schachzug ab? Dabei ist Ellison eine ehrliche amerikanische Haut, wenn er seinen Landsleuten die Sache mit der Yacht für den America's Cup erklärt. "Es ist OK für euch, einen Zweitwagen zu haben, es ist OK für mich, eine Zweityacht zu haben. Wir alle konsumieren in diesem Land weit mehr, als wir brauchen. Das ist OK. Wir haben es uns verdient." Ich bin OK, du bist OK, wir sind Amerika und wer das nicht aushalten kann, der hat eben doch die falschen Töne im Kopf gespeichert. Was natürlich ausgemerzt werden kann.

*** Verdient es Percy Bysshe Shelley, das heute sein 210. Geburtstag gefeiert wird? Der Autor des längst vergessenen "Entfesselten Prometheus", der Anarchist, Verfechter der freien Liebe, war einer der ersten, der sich romantisch als Maschine verstand. Der Mann, der Rechnungen und Hotelanmeldungen statt des Namens mit "Demokrat, Liebhaber der Menschheit und Atheist" unterzeichnete, ist heute nur noch durch seine zweite Frau Mary Wollstonecraft Shelley bekannt. Percy, der einst diskutierend und dichtend mit Lord Byron über den Genfer See segelte, hatte nächtliche Seancen eingerichtet, in denen Gruselgeschichten in Byrons Villa Diodati erzählt wurden. Aus diesen Geschichten formte Mary Shelley ihre Erzählung von Frankenstein, mithin das Urbild vom verrückten Wissenschaftler, die 1818 erschien. Percy veröffentliche damals eine Schauergeschichten unter dem Titel "Revolte des Islams", während Byrons Leibarzt John Polidori mit "Der Vampir" die Vorlage für Bram Stokers Dracula lieferte.

*** Ja, die Vampire sind unter uns, computertechnisch gesehen. Sie zapfen unsere drahtlosen LANs an und saugen das Lebensblut Internet. Im Zweifelsfall ist das wie bei den Gruseleien von Shelley & Co natürlich Kunst. So behauptet es jedenfalls das WLAN-Manifest, das nOname veröffentlichte, leider noch ohne Platz im WWW: "Sie wollen kein Second Home ('kleines Heimnetz') evozieren in dem man sich von den Mühen des Digitalen Alltags ausruht, um seinem Hobby Geschenkökonomie nachzugehen. Ihr utopistisches Moment liegt nicht im 'Vernetzen' relais-artig verschalteter Communitys auf lokalem und translokalem Level. Sie können nur luxurioes funken und Antennen be-Rauschen. Feiern wir das Aether-Revival! Eine Gigahertzfrequenz ist schoener als ein Kuenstler aus Lagos. Zum destruktiv potlatchartigen Ueberfluss der kabellosen Netzwerke gehoert der Impetus einer abgeklaerten Connectivity, der es nicht mehr egal sein kann, ob es sich um ein stillgelegtes Backbone oder die Zonengrenze vom Opal-Gebiet handelt. Keep on Peacedriving!" Tja, so sind sie alle dabei, die Freaks, die LAN-Netzwerker und die Künstler, auch wenn die Sache nicht immer spaßig ist.

*** Passend zum Trend wird landauf, landab der richtige Umgang mit Kreide und lCards gemeldet. Ich habe noch keine dieser neuen Gaunerzinken im echten Leben gesehen, achte aber ab sofort auf die Zeichen der Freien Republik. Ganz nebenbei findet man schließlich nicht nur LANs im Äther oder branchenüblich abgedrehte Kollegen bis hin zu den obligaten universalen Verschwörungen. Wirklich angetan hat mir die kneipenfeste Variante, die natürlich nicht vollständig ist. Wo bleibt das Zeichen für "Hier treffen sich Heise-Forums-Leser und diskutieren Erster-Postings", wo die Warnung vor dem Rottweiler Wipp? Wie schon im vergangenen Sommer, so winkt dem siegreichen Vorschlag ein ganz herausragender Preis: die Mitarbeit an dieser Kolumne, wenn's behagt -- natürlich unbezahlt.

Was wird.

In den USA startet die DefCon, eine Messe für Verhaftungen und Spekulationen aller Art, die im härtesten Geschäft der Welt nun einmal gang und gäbe sind. Vor allem aber ist die DefCon eine von Hackern besuchte Veranstaltung, auf der sie ungestört ihrem Weltbild frönen können, in dem Rechner addrett verkleidet sind und manch harmlos adrette Verkleidung wirklich Zündstoff enthält. Kurzum gesagt, zeigen die Pornos in Las Vegas zur DefCon die wirklich scharfe Sachen.

Ein ganz anderes Ereignis gilt es in der kommenden Woche auch noch zu feiern: Am 9. August 1982 meldete der Traditionskonzern AEG ein Vergleichsverfahren an, wegen Überschuldung. Schon damals war immer wieder einmal das Wort vom "Ende der Deutschland AG" zu hören -- die aber scheint auch nach dem Aus für Mannesmann noch immer nicht ihren letzten Seufzer getan zu haben. Auch hier gilt in diesem unserem Land der Banalität: Lieber ein Schrecken ohne Ende als ein Ende mit Schrecken. Der schriftliche Nachlass von AEG lagert heute übrigens im Deutschen Technikmuseum Berlin -- eine Ehre, die anderen Pleitiers der jüngsten Zeit glücklicherweise nicht widerfahren wird.

Und trotzdem kein Bobo heute? Nein, kein Bobo heute; nicht einmal die Pleite der AEG taugt dafür, sich noch einmal über die Trauerspieler der New Economy lustig zu machen. Diese Zeiten sind sonnig, auch in der norddeutschen Tiefebene, die nach Weltuntergangsstimmung verbreitenden Wassermassen derzeit mediterranes Flair versprüht -- warum sich dies mit Bobos verderben. Um es mit Ernst Bloch zu sagen, der heute auch schon 25 Jahre tot ist: "Kein Träumen darf stehenbleiben, das tut nicht gut. Aber wird es eines nach vorwärts, dann sieht die Sache ganz anders zehrend aus. [...] Aufrechter Gang, er zeichnet vor den Tieren aus, und man hat ihn noch nicht." (Hal Faber) / (jk)