Was war. Was wird.
History repeating? Fraglos hat die IT-Branche längst ihre ahistorische Unschuld verloren. Das muss kein Schaden sein, meint Hal Faber -- solange nicht nur dumme Antworten übrigbleiben.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** History Repeating: Jammern auf hohem Niveau bei der IT-Branche, Notprogramme für den Staatshaushalt, Sozialstaatskrise aller Orten -- es novembert gar arg, in der Natur und in den Köpfen? Draußen zieht der allgegenwärtige Niesel seine Bahnen, die KP China hat einen neuen Chef und alles bleibt beim Alten. Dafür geistert Ulrike Meinhofs Gehirn durch gerichtsmedizinische Institute und den deutschen Blätterwald, den seriösen wie den eher bunt zu nennenden Teil. Ach Herbst, schmeiß endlich die Blätter von den Bäumen und lass Winter werden -- dass endlich der Frühling wieder ausbreche und wir uns frohgemut den schönen und wichtigen Dingen des Lebens zuwenden können. Und nein, dabei handelt es sich nicht um die Frage Linux oder Windows, Gates oder Torvalds. Denn auf dumme Fragen gibt es eben nur dumme Antworten -- außer vielleicht, man betreibt Microsoft-Bashing für Intellektuelle.
*** They say the next big thing is here, that the revolution's near, but to me it seems quite clear -- that it's all just a little bit of history repeating: Ob die 22 Prozent der Bevölkerung, die laut Zeit-Umfrage meinen, die Juden hätten zu viel Einfluss in Deutschland, auch zu den Intellektuellen zählen? Oder die 17 Prozent, die meinen, die Juden seien selbst Schuld an ihrer Verfolgung? Vielleicht aber auch diejenigen, die kurz vor dem eigentlich doch als typisch deutsch anzusehenden Erinnerungstag des 9. November herumpöbelten, weil eine Straße ihren Namen Jüdenstraße wiederbekommen sollte, den die Nazis ihr weggenommen hatten? Man mag gar nicht daran denken, was das, was da aus den Köpfen kreucht, für ein Bashing geben könnte. Da hülfe auch langsam tanzen nicht mehr, höchstens noch das irre Gehopse der Randständigen zur Gemengelage der Aufrecht Gehenden aus Gugge- und Zirkusmusik -- und eine Mardi-Gras-Brassband, die uns den Marsch bläst, auf dass wir in gewohnt zynischer Gelassenheit doch noch bis zum nächsten Jahr durchhalten -- und den Lumpen Paroli bieten. Lieber Microsoft-Bashing und Linux-Eiferei oder Linux-Bashing und Microsoft-Eiferei als history repeating ...
*** Aber alles wird gut, denn es kann nur besser werden: Wenn Bubi Ryan Adams als der neue Neil Young apostrophiert und Schmalzlocken-Bobo Thomas Haffa für den Niedergang von New wie Old Economy verantwortlich sein soll, dann muss der Tiefpunkt erreicht sein. Von Slowhand Schröder bis Zwei-Räder-ein-Brett-Merz werkeln sie alle daran, dass dies auch wirklich der Fall ist -- natürlich wollen da unsere Ermittlungsbehörden nicht hintanstehen. Denn mit der Freiheit der Kunst ist es eine kitzlige Sache. Einige Wochenschauen früher habe ich mich über Schaubilder des Zeichners Seyfried ausgelassen, so genannte Secret Diagrams, die dem Verschwörungsbuch von Matthias Bröckers beiliegen. In ihrer Wimmligkeit zeigen sie ein paar ausgesprochen geschmacklose Verbindungen. Das sollte indes kein Grund sein, die Computer zu beschlagnahmen, auf denen sich solche Links befinden. Da es doch passiert, muss man Seyfried zustimmen, wenn er schreibt: "Offenbar stehen in Deutschland zwar die Herausgeber von Propaganda (wie der Nazi-CDs in Brandenburg) unter dem Schutz staatlicher Behörden, kritischen Künstlern und Journalisten hingegen wirft man Werbung für den Faschismus vor."
*** Und noch ein Einwand: Was Kunst kann, hat Alexander Solschenizyn mit der Beschreibung eines Tages demonstriert. Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch erschien in der UdSSR 1962 mit ausdrücklicher Genehmigung der Partei und wurde als Dokument des "Tauwetters" gefeiert, obwohl Solschenizyn dafür zum Dank aus dem Schriftstellerverband gefeuert wurde. Nun hat sich der Viridianer Bruce Sterling des Themas angenommen. "One Day in the life of Ivan Bigossowitch" schildert den Alltag von Joe Sixpack, der auf Schritt und Tritt mit den Mitteln des "Pervasive Computing" überwacht wird. "Unser Stalinismus steckt in den Maschinen", erklärte Sterling auf der Doors of Perception, wo er ein Kapitel seines Ivan las. Das ist, mit Verlaub, etwas übertrieben und könnte einem zugedröhnten Kopf entsprungen sein. Auch wenn der Überwachungsstaat mit seinen Gelüsten nach der Rasterfahndung bedenkliche Züge annimmt, so ist die Rede vom Stalinismus oder, bei Seyfried, vom Faschismus übertrieben. Wohin die Übertreibungen führen, zeigt das Beispiel des netten Ghostzillas, der als Widerstand gegen Big Brother gefeiert wird.
*** Besser als die missglückte Ivanisierung ist zumindest dieser Titel: "Who Says Elephants Can't Dance?", fragt sich Ex-IBM-Boss Louis Gerstner in seinem ersten Buch. In ihm beschreibt er, wie der Elefant nach dem Kauf von Lotus im Jahre 1995 eigentlich SAP vernaschen wollte, in Abrundung erfolgreicher Produktlinien wie OS/2. Am Ende wurde nichts draus, weil SAP zu windig erschien. Vom soliden Gerstner geht es flugs zu Larry Ellison, der in der letzten Woche seine Hausmesse Oracle World fast vollständig fahren ließ, nur um beim Segeln Punkte zu machen. Leider gab es keine Punkte, sodass der Skipper gewechselt wurde. Der neue tat das einzig Richtige und schickte Ellison von Bord. Bleibt nur die Frage, wo die Pötte der erfolgreichen SAPler herumgurken. Vielleicht verirrten sie sich, da sie einem endlos geflochtenen Band folgten. Was uns zu August Ferdinand Möbius führt, dem Erfinder des gleichnamigen Bandes, der am 17. November 1790 in Schulpforta in Sachsen geboren wurde. Nun ja, auf einem nonorientable surface kann man sich schon einmal verirren -- außer vielleicht, man heißt Hermann Hollerith, dessen Maschinen gerade in Auschwitz gesucht werden. Hollerith, weitläufiger Vorgänger von Gerstner, erlag an nämlichem 17. November, jedoch im Jahre 1929, in Washington in den USA einem Herzschlag. Und seitdem herrscht im Himmel Ordnung: Seid ihr Bürger oder Replikanten, ihr da draußen und da oben?
*** Bürger oder Replikant, da war doch noch was? Gab es nicht mit den Ansichten eines Gnu den Gewinner eines c't-Leser-Lookalike-Wettbewerbs? Aber ja doch: "Ich bin ein Gnu. Und was bist Du?" Die freiheitsliebenden niedlichen Herdentiere, die bereits im zarten Alter von drei bis sieben Minuten laufen können, gedeihen nicht nur bei den Muppets, sondern auch in der Savanne, im Kreuzworträtsel, im Internet -- und sogar in den unwirtlichsten Gegenden. Und robust sind sie, die Gnus: Alle Löwen Afrikas können sie nicht ernsthaft in Bedrängnis bringen. Nur wenn man gleich das ganze Ökosystem durch Zäune vom Wasser abschneidet, kann man seine Gnu-Population ernsthaft gefährden. Aber solche Fehler werden wir in Europa nicht nachmachen, oder?
*** Huch, war das jetzt Satire? Nein, nein -- nur eben die Ansichten eines Gnus und seines Lebenspartners. Gewerbliche Schutzzäune^H^H^H^H^Hrechte sind ein ernstes Thema, über das Einiges in der c't 24/2002 steht. Wer sie nicht alleine lesen will, kann sich ja einen Lebenspartner beziehungsweise eine Lebenspartnerin suchen -- zum Beispiel auf einer thematisch passenden Party. And this is the end, my beautiful friend ...
Was wird.
Heute abend eröffnet der stolze Kondombesitzer Bill Gates die Comdex, eine Messe, die möglicherweise zum letzten Mal stattfindet. Der eine Veranstalter geht Pleite, der andere freut sich umso mehr: Die parallel zur Comdex beginnende Apache-Messe prahlt mit ausgebuchten Standflächen und fängt an, wie einst die Comdex startete: in einem Hotel. Die Alpha-Geeks lassen sich ihren Spaß mit Unix nicht nehmen. Ja, da mag Sun noch so sauer über den wieder mal auf der Comdex ausstellenden Michael Dell sein, der Linux als neues Unix feiern möchte und vom besseren TCO fabuliert. Dabei weiß niemand besser als Linus selbst, dass TCO für Totally Cool Operating System steht. (Hal Faber, mit freundlicher Unterstützung des Gnu) / (jk)