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Was war. Was wird.

Von den Cockroaches zu den Pinheads on the Move: Neue IT-Spielzeuge lassen sitzengebliebene Hunde der Karawane hinterherbellen, während die Welt in Tatsachen zerfällt, wundert sich Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Comdex ist vorbei und so pleite, dass die Deutsche Messe AG billig einkaufen gehen kann. Die Hunde haben gebellt und die Karawane ist weiter gezogen. Nur die Hunde sitzen noch da, bei Sony Robotics. Diese Sony-Tochter stellte ihre Aibos aus, die in der neuesten Version selbst zum Ladegerät tapern und sich zum Stromfassen hinhocken. "So schön kann Technik sein", hieß es bei Sony zum digitale Gassigehen. Leider überfuhr keiner der zahlreichen und eigentlich schon veralteten, aber immer noch für Aufsehen sorgenden Segway-Roller die Digi-Viecher, aber das kann bald im realen Leben nachgeholt werden, wenn Segway im März in den USA an den Start geht -- ein Jahr später sollen die Dinger nach Europa kommen und auf der CeBIT debütieren. Da sind die Wege zwischen den Hallen ausreichend lang. Wie es sich gehört, wurde zur Comdex der Segway Hacker Contest ausgerufen: Um überhaupt eine Zulassung für den Bürgersteig zu erreichen, sind die Elektroroller beim Tempo von 25 auf 12 Meilen pro Stunde gedrosselt und diese Drossel soll "tief in der Software wie eine Marijuana-Pflanzung in Nevada versteckt" sein. Wer braucht schon Pot, wenn es mit Benedryl besser geht?

*** Ist der Segway ein Fall fĂĽr Kevin Mitnick? Aber nicht doch. Der Edelhacker trat in Begleitung von Sicherheitsbeamten auf der Comdex auf und las ein bisschen aus seinem Buch vor. AnschlieĂźend wurde er vorsichtig von der Messe geleitet, auf dass kein Computer erschrecken musste. Der Hacker auf dem Weg zum Popstar hat ĂĽbrigens einen tollen Job als "beratender Cheftechniker" bei Triggerstreet gefunden. Ja, so wĂĽnschen wir uns das fĂĽr die Bastard Admins, FH.

*** Ein Indiz für den Niedergang der Comdex war die schrille Public Relation, die immer lauter Nichtigkeiten verbreiten durfte. Sensationell kreischen also die Gitarren bei AMD, wo mit einer sündteuren Digital-Gitarre von Gibson "Knockin' on 64" ins Ethernet gepustet wurde. Eine Sensation, als ob es nicht die Geräte von Edirol oder Line 6 geben würde. Obendrein delirierte das begleitende PR-Material, dass Musiker zukünftig weltweit miteinander jammen können, ohne gemeinsam in den Übungsraum oder ins Studio gehen zu müssen. Wer solche Sätze schreibt und glaubt, wird die Klagen des Fox-Präsidenten Chernin glauben, der zu seiner Keynote über das Stehlen ausgerechnet George Lucas per Video reichte. Was sagte der Mann, der mit Star Wars die totale Vermarktung erfand? "Die Schaben in den Chefsesseln werden überleben, aber die einfachen Musiker und Filmchargen werden hungern." Nun also Cockroaches: Es ist wohl das erste Mal, dass einer der Big Player der Branche Selbsterkenntnis zeigte.

*** Vom Ungeziefer zu den Sozialisten war es nur ein Katzensprung, zumindest auf der Schrumpfdex: In einer Great Debate zum Thema ".NET or .What" verglich der MCSE-gestählte Diskussionsteilnehmer Paul Kimmel die Produktion quelloffener Software mit der sozialistischen Produktionsweise -- und erntete begeisterten Applaus von Linux-Fans. Standing Ovations bekam auch das Edelgnu Richard Stallmann, der zusammen mit Perry Barlow gegen Ted Cohen von EMI und Scott Dinsdale von der MPAA antrat. Stallmann verlas die Übersetzung eines Briefes und als er damit ungläubiges Staunen erntete, versuchte er sich in der deutschen Sprache am Original und an der Berichterstattung von High, The. Am Ende brüllte man sich an, beklatscht und belacht vom Publikum. In der Mitte schwärmte Perry Barlow ungerührt von der schönen Zeit, als die Konzerte seiner Grateful Dead vom Publikum mitgeschnitten wurden und betete für den Frieden. Wozu braucht man eigentlich Talkshows, wenn es solche Lachnummern gibt?

*** Was ist die meistgehasste Firma der Computerbranche? Nein, nicht Microsoft, sondern Dell. Der ungeliebte Massenversender hätte keine Architektur vorzuweisen, keine Philosophie und würde keine Forschung betreiben, zogen Scott McNealy und Carleton Fiorina in Las Vegas über Dell her. Nealy war sauer, dass Michael Dell bei Oracle eine Keynote halten durfte, Fiorina ärgerte sich über die 750 Patente, die Michael Dell als Beweis der Forschungsfreudigkeit anführte. Dabei ist die Sache einfach: Dell ist das Äquivalent der GPL für jede Form von Hardware. Wie die Alpha-Geeks hat Dell den "Paradigmenwechsel" hinter sich und ist im aktuellen Jahrhundert angekommen. Das gefällt niemanden, der Altlasten herumschleppt wie ein olles Tablet PC? Nein, bei Dell wird nicht die Zukunft erfunden, das machen andere die fragen, was der Geek braucht, wenn er Musik hören und surfen will. Noch andere stellen dumme Fragen und freuen sich über Namen wie Poll-E für einen spam-blubbernden Quassel-Papagei, den Zazie längst auf die Schienen der Metro gelegt hätte. Nun ja, man kann nicht immer so erfinderisch sein, A und B in Alice und Bob zu taufen. Lets fetz.

*** Dabei ist doch alles so einfach. Natürlich ist die Zukunft ein Rechner, der nichts als Display ist, auf das wir schreiben -- und der auch meine Sauklaue in Buchstaben wie gedruckt umsetzt, so es denn von ihm verlangt wird. Ob man das Kind der Zukunft nun Tablet PC nennt oder irgend eine andere Inkarnation dieser Rechner ohne Tastatur- und Mausbedienung zum Namensgeber wird, dies soll die Historiker der Zukunfts-Zukunft beschäftigen. Den Tablet PC aber beschreiben sie möglicherweise als den Newton der neuen Systeme: Wie Apples Mini-Ding als reale Umsetzung eines Prinzips kläglich versagte, das dann von PDAs, die von eingeschworenen Newton-Fans noch heute als Billig-Kopien verachtet werden, zur Erfolgsgeschichte gemacht wurde, ebenso mag der Tablet PC der Beweis sein, dass eine bestimmte Vorstellung von Computer und Systembedienung keine Spinnerei ist. Der Tablet PC fügt zusammen, was zusammen gehört -- und in Bestandteilen schon längst vorhanden war. Womit sein neues Lieblingsspielzeug Microsoft-Übervater Bill Gates gleich wieder den Vorwurf einbrachte, nichts als ein plumper Plagiator zu sein. Die Integration, die Verbindung der Teile zu einem weitgehend funktionierenden Ganzen, das aber hat Microsoft groß gemacht -- und wenn es nur die Zusammenfügung von Einzelmonopolen zur beherrschenden Firma der Branche war. Erfolg kennt keine Kritiker, nur Gegner. Es sind aber in der Regel nicht die Gegner, die ein Imperium zum Einsturz bringen.

*** So wird denn alles gut, Imperien stürzen, neue Imperien entstehen, und das Publikum steht offenen Mundes staunend dabei. Wird alles gut? Nach den Pinheads on the Move auf der Comdex lehnt man sich entspannt im Sessel zurück, schaltet Tuxedomoon wieder ab und guckt wahrlich erstaunt. Wir sind in einem Zeitalter der neuen Imperien gelandet, in dem das Privatfernsehen den Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender wahrnimmt und in Late-Night-Shows die Kunst von Miles Davis beschreibt, während öffentlich rechtlich altes Krimi-Material versendet wird oder Johannes Baptist Kerner vor sich hinschmalzt. Wenn Harald Schmidt zu Ehren des Trompeters eine Sendung mit dem Rücken zum Publikum bestreiten kann, ist die Welt vielleicht doch noch nicht verloren -- möglicherweise aber das Gespür dafür, dass die Welt alles ist, was der Fall ist.

Was wird.

Nun, die Welt zerfällt in Tatsachen, und so manches Faktoid führt zu unerwarteten und möglicherweise unbequemen Erkenntnissen darüber, was die Welt ist. So scheint Scott Joplin, von dem -- angeblich fälschlicherweise -- erzählt wird, er habe heute am 24. November Geburtstag, einer der ersten Künstler zu sein, der darauf bestand, dass er sein Urheberrecht nicht abgeben wolle. Seinen Maple Leaf Rag verkaufte er nicht, wie damals üblich, für einen Pauschalbetrag an den Verlag -- der zu Zeiten des Ragtime-Komponisten rund 25 US-Dollar betrug. Nein, er bestand auf einem Vertrag, der ihm beständige Lizenzeinnahmen von einem Cent pro Kopie einbrachte. Das Stück, in jenen Tagen als Noten auf Papier verkauft, ging eine Million Mal über den Ladentisch. Joplin war seiner Zeit voraus, und möglicherweise auch unserer: Geht doch mittlerweile das Missverständnis um, Künstler gäben ihr Urheberrecht ab, und nicht nur das Recht, dieses zu verwerten. Die Rechteverwerter aber haben kein Interesse an der Aufklärung dieses Irrtums, sähen sie sich doch nur allzu gerne in die Zeiten vor Scott Joplin zurückversetzt: Lasset alle Hoffnung fahren und gebt eure Rechte an den Eingangstoren zu den Palästen der Verwerter ab -- die einen Deubel tun werden, sie an die Kunden zu transferieren. So wird also alles zusammenkommen und die Tatsachen zerfallen in die Welt. Oder so. (Hal Faber) / (jk)