Reisereport Silicon Valley: Plug and Play – So arbeiten Entwickler in den USA

Wie haben Digitalisierung und Corona die Arbeitskultur US-amerikanischer Tech-Companies verändert? Eindrücke einer Reise zu acht IT-Firmen im Silicon Valley.

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Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Millionen Menschen haben weltweit in den Jahren 2020 und 2021 im Homeoffice gearbeitet. Viele Arbeitgeber haben dabei die Erfahrung gemacht, dass die Produktivität teilweise gestiegen ist, mussten zunächst aber auch Vorbehalte überwinden. Social Distancing und die Vereinzelung waren für viele Angestellte psychisch belastend und drückten die Kreativität der Teams. Offen ist, wie es nach den krisenbedingten Einschnitten weitergeht. Derzeit ist noch unklar, ob es wieder zurück ins Büro geht oder sich hybride Konzepte durchsetzen und Angestellten die Flexibilität erhalten bleibt.

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Auf einer Dienstreise in die USA hatte ich Mitte März 2022 Einblick in die Arbeitskultur im Silicon Valley und konnte mit den Mitarbeitern und Führungskräften kleinerer bis mittelgroßer IT-Unternehmen sprechen. Die IT-Pressetour nach San Francisco führte eine Gruppe europäischer Technikjournalisten zu acht Unternehmen im Bereich Data Science und Machine Learning: Alation, BMC, FlashGrid, GridGain Systems, Hazelcast, Observe, SambaNova Systems und SingleStore.

Repräsentativ sind die gewonnenen Einblicke nicht unbedingt, da die Firmen sich uns Journalisten gegenüber ins beste Licht rücken wollten und meist eine Agenda verfolgten. Deshalb konzentriert sich der Bericht auf subjektive Eindrücke und Einzelgespräche.

Die Gruppe verbrachte viel Zeit im Auto, unterwegs von A nach B. Die erste Beobachtung: Der Verkehr hielt sich in Grenzen – wohl auch, weil zurzeit weniger Menschen beruflich pendeln. Zur Rushhour möchte man hier aber nicht in einem Stau stecken, denn die wenigsten Mitarbeiter wohnen in der Nähe ihrer Büros.

iX-tract
  • Für eine Recherchereise besuchte iX-Redakteurin Silke Hahn Anfang März des Jahres 2022 mehrere US-Firmen im Silicon Valley und sprach mit Angestellten und Führungskräften über die Erfahrungen der Pandemie, den Status quo und den Ausblick zur künftigen Zusammenarbeit im Unternehmen.
  • Die Unternehmen präsentierten sich an sehr unterschiedlichen Orten: vom modernen und hippen Büro am Hafen von San Francisco bis hin zu angemieteten Hotelkonferenzräumen in Ermangelung einer Firmenzentrale.
  • Dennoch zeichnet sich zumindest für die Firmen des Silicon Valley ein klarer Trend ab. Von vollständiger Büropräsenz der Angestellten geht dort fast niemand mehr aus, die Zukunft ist hybrid.

Die Firmen, die wir aufsuchten, wurden zwischen 1980 und 2017 gegründet und hatten zwischen 50 und 500 Mitarbeiter. Abgesehen von den Remote-first-Companies, die eine andere Ausgangslage hatten, befand sich keines der Unternehmen schon wieder im Normalbetrieb.

Empfangen wurden wir am Firmensitz, in Hotelkonferenzräumen, am Frühstücksbuffet oder im angemieteten Co-Working-Space – was die räumliche Spannbreite spiegelt, von vollständiger Remote-Arbeit ("Wir hatten nie ein Büro") bis hin zum Designer-gestalteten Loft mit Zengarten, künstlichem Teich und eigenen Konferenzräumen.

Die Standorte der Firmen erstreckten sich über das gesamte Gebiet der San Francisco Bay Area.

(Bild: OpenStreetMap/uMap)

Am ergiebigsten für die Frage nach der Arbeitskultur waren die Gespräche mit dem KI-Plattformanbieter SambaNova Systems und mit dem In-Memory-Computing-Unternehmen GridGain Systems. GridGain trafen wir in einem Hotel – die Jahre 2020 und 2021 haben bei dem 2010 gegründeten Unternehmen die Arbeitskultur nachhaltig umgekrempelt.

CEO Abe Kleinfeld sprach über die Unsicherheit, die zu Beginn der Pandemie in seiner Firma geherrscht hatte. Präsenz bedeutet schließlich nicht nur Büroarbeit, sondern auch das Reisen zu Kunden, was wegen der Reisebeschränkungen ebenfalls entfiel. Daher befürchtete der Geschäftsführer zunächst, durch den ausbleibenden direkten Kontakt wirtschaftliche Einbußen zu erleiden. Das Gegenteil trat ein: Rund 2 Millionen US-Dollar konnte das Unternehmen an jährlichen Reisekosten einsparen. Parallel stieg die Produktivität zu einer 110-prozentigen Retention Rate (Kundenbindungsrate). Bestandskunden blieben also nicht nur am Ball, sie vertieften die Zusammenarbeit und buchten weitere Produkte rund um die auf Apache Ignite aufsetzende Middleware zum schnellen Datenaustausch.

Niemand habe Lust, die tägliche Anreise ins Büro auf sich zu nehmen – erst recht nicht, wenn die Produktivität bei der Remote-Arbeit wie bei GridGain messbar gestiegen sei, erläuterte Kleinfeld. Inzwischen hat sein Unternehmen das Büro aufgelöst, das mit monatlich 30.000 US-Dollar Miete zu Buche schlug, und setzt vollständig auf Remote. Für Anlässe wie unsere Pressekonferenz mietet man künftig einen Raum samt Catering.

Aus dem ursprünglichen Skeptiker ist ein Verfechter von Remote-Kultur geworden, der für mehr Mut wirbt: Durch das Wegfallen der physischen Reisen und vor allem des Pendelns gehe es allen besser. Kunden, Mitarbeiter und Partner seien via Zoom nun leichter erreichbar als früher, als es oft hieß: "Sorry, bin jetzt in Asien unterwegs."

Kleinfeld meint, die Menschen hätten schon lange auf solch eine Gelegenheit gewartet, um flexibler zu arbeiten. Auch aufseiten der Kunden könne er ein Umdenken ausmachen. Viele wollen weiterhin keine Sales- und Marketingpersonen mehr empfangen, was entwicklerzentrierten Technikunternehmen in die Karten spiele. Der CEO von GridGain kann nicht nachvollziehen, warum viele nun wieder ins Büro zurückkehren und Unternehmen erneut auf Präsenz setzen. Er hält das für überholt.

Die Kehrseite von Remote first spielte bei seiner Präsentation keine Rolle. Im Zentrum standen technische Aspekte, Umsetzung und Fallbeispiele. In den ersten zehn Jahren seines Bestehens hatte das heute sehr erfolgreiche Unternehmen kontinuierlich auf ein Präsenzbüro und regelmäßige Zusammenkünfte gesetzt. Die Bedeutung von Präsenz in der frühen Unternehmensphase stellte die Geschäftsführung nicht infrage, 2020 habe man sich zunächst schweren Herzens davon getrennt.

Möglicherweise muss ein Unternehmen schon weit genug etabliert sein, um den Gang in eine Remote- oder Hybridkultur zu tragen. Die Umsetzung gelingt je nach Branche und Spielfeld unterschiedlich gut. Knapp zwei Jahre dürften für ein abschließendes Fazit auch etwas verfrüht sein: Weltweit ist die Digitalisierung in vielen Unternehmen noch im Gange, der Ausnahmezustand samt seinen Nachwehen noch nicht überwunden.