Corona-Pandemie: Warum China noch immer alles desinfiziert

Viele Länder halten die Übertragung von Covid-19 über Oberflächen nicht mehr für relevant. China aber nutzt Desinfektions-Kampagnen für politische Interessen.

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(Bild: Redhatz69/Shutterstock.com)

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Von
  • Zeyi Yang
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In einem einminütigen Video, das Anfang Mai in China viral ging, versprühen drei Regierungsmitarbeiter in Schutzanzügen Desinfektionsmittel in der ganzen Wohnung: im Kühlschrank, unter dem Fernseher und auf der Couch. In den sozialen Medien stellten sich viele Bürger die Frage, ob es ihnen zu Hause auch so ergehen würde, sollten sie sich mit dem Virus anstecken.

Außerhalb Chinas ist die Sorge, sich über Oberflächenkontakt mit dem Virus anzustecken, weitgehend verflogen. Das Risiko ist relativ gering, wie viele Studien ergeben hatten. Desinfizieren von Oberflächen gilt inzwischen als ein Relikt aus den Anfängen der Pandemie. Doch China scheint diesbezüglich in einer Zeitschleife von Anfang 2020 festzuhängen. Nachdem das Video in Umlauf gebracht wurde, sagte ein lokaler Regierungsbeamter, die Desinfektion der Wohnungen von Covid-19-Patienten stünde "im Einklang mit Expertenmeinungen".

China hat derzeit mit dem größten Anstieg von Covid-Fällen in seiner Geschichte zu kämpfen. Wissenschaftler kritisieren, es würde Zeit und Geld in die falschen Dinge gesteckt, wenn die Regierung Oberflächen weiterhin als erhebliches Infektionsrisiko darstellen würde. Denn Maßnahmen zur Verhinderung der Übertragung durch Aerosole sind weitaus wirksamer.

Desinfektion weiterhin in den Vordergrund zu stellen, zählt zu der Politisierung der Krise durch den Staat. So sollen die Handlungen der Regierung legitimiert werden. Und außerdem passt es zu der von China favorisierten Darstellung, dass das Coronavirus über Tiefkühlkost nach Wuhan eingeschleppt worden sein könnte.

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Die wissenschaftliche Debatte darüber, inwieweit Oberflächen zur Ausbreitung von Covid-19 beitragen, ist international so gut wie abgeschlossen. Eine Studie der Universität Michigan, im April 2022 im "Journal of Exposure Science & Environmental Epidemiology" veröffentlicht, schätzt die Wahrscheinlichkeit, sich über eine kontaminierte Oberfläche mit dem Coronavirus anzustecken, auf 1 zu 100.000. Das liegt weit unter dem Richtwert, den Wissenschaftler als tolerierbares Risiko vorgeschlagen haben.

Zwar ist das Risiko nicht gleich null, doch die meisten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, einschließlich der Weltgesundheitsorganisation, stufen es als so gering ein, dass sie Maßnahmen außer der Empfehlung des Händewaschens als nicht gerechtfertigt sehen. Außerhalb Chinas haben die meisten Länder schon vor langer Zeit aufgehört, die Menschen zum Desinfizieren von Gegenständen anzuhalten. Die US-amerikanischen Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention CDC haben ihre Leitlinien bereits vor zwei Jahren, im Mai 2020, aktualisiert, um dieser Tatsache Rechnung zu tragen.

Stattdessen ist der überwältigende Konsens, dass Aerosole und Tröpfchen das Virus viel leichter übertragen als Oberflächen. Die obengenannte Studie aus Michigan kam zu dem Ergebnis, dass eine Übertragung über die Luft 1.000-mal wahrscheinlicher ist als eine Übertragung über Oberflächen.

"Die Menschen lassen sich nur auf eine bestimmte Zahl von gesundheitsfördernden Verhaltensweisen ein. Es ist gut, wenn sie sich auf die Dinge konzentrieren, die das Risiko am meisten verringern", sagt Amy Pickering, Assistenzprofessorin für Umwelttechnik an der University of California, Berkeley. "Das heißt, Masken zu tragen, Abstand zu halten und überfüllte Innenräume zu meiden."

Die Medien und die Regierung in China verweisen häufig auf Forschungsergebnisse, um die anhaltende Sorge vor einer Übertragung über Oberflächen zu rechtfertigen. So haben Studien von Forschern in Hongkong, Japan und Australien ergeben, dass Coronaviren Tage oder Wochen auf verschiedenen Oberflächen überleben können. Viele dieser Studien wurden jedoch nicht von Fachleuten begutachtet. Außerdem entsprächen diese Laborergebnisse nicht der Realität, sagt Ana K. Pitol, Postdoktorandin an der Liverpool School of Tropical Medicine in Großbritannien. "Wenn man einen großen Tropfen in ein Medium gibt, das das Virus schützt, und es dann in einen Inkubator stellt, überlebt es natürlich viele Tage, manchmal sogar Wochen", sagt sie. "Aber wir sollten uns die Frage stellen, wie lange es in einer realistischen Situation überlebt".

Experten befürchten, dass Chinas Konzentration auf Oberflächen ihren Preis hat. So kann es durch übertriebenes Desinfizieren zu chemischen Belastungen kommen, die ihrerseits Gesundheitsrisiken bergen. Davor hatten chinesische Wissenschaftler schon früh im Jahr 2020 gewarnt. Als die Desinfektionskampagnen nach dem sprunghaften Anstieg von Covid-19-Fällen noch intensiver durchgeführt wurden, bewahrheiteten sich ihre Befürchtungen. In Shanghai litten einige Bewohner an Reizungen von Haut und Schleimhäuten, nachdem ihre Wohnungen zu nachlässig mit Desinfektionsmitteln behandelt worden waren. Außerdem soll in diesem Zusammenhang ein Hund gestorben sein. Selbst wenn die Mittel richtig angewendet werden, seien aufwändige Desinfektionskampagnen keine gute Investition von Ressourcen, befürchten Wissenschaftler.