Aufforstung: Wie Mangroven Senegals Zukunft sichern sollen
Für Entwicklungsländer ist Arten- und Klimaschutz oft schwer zu stemmen. Das Beispiel Senegals zeigt, wie es gehen kann – mit der Anpflanzung von Mangroven.
- Klaus Sieg
Jetzt wird es ernst auf der Weltnaturkonferenz in Montréal: Die "Convention on Biological Diversity" (COP15) geht in die heiße Verhandlungsphase, da nun die Abschlussverhandlungen anstehen. Die Rolle von Entwicklungsländern ist ein wichtiger Punkt der Konferenz. Ähnlich wie beim Klimawandel müssen sie die Konsequenzen des Fortschritts der Industrieländer tragen. So steht auch hier der Appell im Raum, dass Entwicklungsländer Artenvielfalt und Lebensräume schützen sollen, die Industrieländer in ihren Regionen bereits zerstört haben. Damit werden Entwicklungsländer mit immer mehr hohen Ansprüchen konfrontiert und zu immer mehr Selbstverpflichtung gedrängt. Doch das Beispiel Senegal in Westafrika zeigt, wie sich mit einfachen Mitteln Küstenschutz betreiben lässt.
Anlässlich der Weltnaturschutzkonferenz in Kanada vom 7. bis 19. Dezember veröffentlichen wir täglich einen der insgesamt sieben Texte des Heft-Schwerpunktes zur Biodiversität von MIT Technology Review hier frei lesbar (die Ausgabe erschien im Juli 2022). Die Artikel beschäftigen sich mit Lösungsansätzen, was es braucht, um die Biodiversität unserer Erde zu schützen.
- Unsere letzte Chance: Was gegen das Artensterben hilft
- Natur machen lassen: Was passiert in Deutschlands einzigem Rewilding-Projekt?
- Buche, Eiche, Lärche: Die gute Mischung für einen klimatoleranten Forst
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- Ökosystem Meer: Wie das Meer Nahrungsmittelquelle und CO₂-Senke bleiben kann
- Was wiederbelebte Mammuts für den Arten- und Klimaschutz bringen
Ihre Schlappen in der Hand stapft Rama Diop barfuß durch den Schlick, der auf jeden Schritt mit einem Schmatzen antwortet. Ab und zu knackt ein leeres Schneckengehäuse unter ihren Füßen. Das macht der Fischersfrau nichts aus, die in ihrem Leben selten feste Schuhe getragen hat. "Ich komme gerne und häufig hierher, um nach den Mangroven zu sehen, das macht mich glücklich", sagt sie. Kreischend steigt ein Reiher auf. Rama Diop kneift die Augen zusammen und sieht ihm nach, wie er mit trägem Flügelschlag über die Weite in Richtung offenes Meer entschwindet. Weiße Wellenkämme sind dort hinten zu erkennen. Sie branden an den Strand einer vom Wasser geprägten Landschaft.
Hier im Delta des Senegal kann man schnell den Überblick verlieren. Ebbe und Flut ändern ständig das Bild. Tümpel, Priele und Lagunen entstehen und verschwinden. Der breite Strom des Senegal sucht sich auf dem Weg in den Atlantik immer wieder neue Wege durch die Landschaft, die vielerorts an das Wattenmeer im Norden Deutschlands erinnert.
Wie das Wattenmeer ist das Delta des Senegal zum Teil Naturschutzgebiet. Doch es hat mit vielen Bedrohungen zu kämpfen. Siedlungen, Straßen und Brücken wuchern in die Natur. Eine steigende Zahl von Fischern übernutzt die Gewässer und beschädigt zum Teil die Uferzonen. Vor allem aber steigt aufgrund der Klimaerwärmung das Wasser und nimmt immer mehr Land mit sich. Ganze Dörfer verschwinden. Böden versalzen. Mangroven könnten dagegen helfen. Sie brechen die Wellen und festigen den Boden. Manche Mangrovenwälder können bis zu 75 Prozent der Energie von Wellen und Stürmen abfangen, die sonst ungehindert und mit aller Gewalt auf die Küste treffen würden. Doch was von ihnen in den letzten Jahrzehnten nicht wegen Trockenheit, Versalzung und Zersiedelung verschwunden ist, wird häufig als Feuer- und Bauholz gefällt. So hat der Senegal in den vergangenen 50 Jahren etwa 40 Prozent seiner Mangroven verloren, ganz Westafrika 20 bis 30 Prozent.
Fingerlange Stecklinge sind zu erkennen
"In meiner Kindheit war der gesamte Ufersaum dicht mit Mangroven bewachsen", sagt Rama Diop und zeigt entlang des breiten Flussarms. Die weiten, sandigmatschigen Flächen sind heute in großen Teilen frei von Vegetation. Wie das Fell eines räudigen Hundes sieht das einst dichte Grün aus der Luft aus. Zumindest auf den ersten Blick. Denn beim genauen Hinsehen sind da Reihen dünner, fingerlanger Stecklinge zu erkennen – kleine Pflanzen der Hoffnung. Das ist der 56-jährigen Fischersfrau zu verdanken.
Die Stecklinge wachsen an den Bäumen, fallen hinunter und stecken dann wie Pfeile im Schlick, um zu wachsen – wenn die Selektion es gut mit ihnen meint. Wenn nicht, bleiben sie liegen, vertrocknen, werden fortgespült oder kommen anderweitig ums Leben. Für die Aufforstung werden sie gesammelt und entweder zeitnah in den Boden gesteckt oder zwischenzeitlich in einer Baumschule aufgepäppelt.
Gemeinsam mit anderen aus ihrem Dorf hat Rama Diop die Stecklinge vor fünf Monaten gepflanzt. Gebückt und barfuß haben sie sich voranbewegt, immer darauf bedacht, die Pflanzen tief, aber nicht zu tief in den Boden zu stecken und auf die Mindestabstände zu achten. "Sonst wachsen sie nicht an." Rama Diop verschränkt die kräftigen Arme vor ihrer breiten Brust.