Missing Link: Was ein flexibler Strommarkt für Geldbeutel und Klimaschutz bringt

Als Speicher dienende E-Autos, Wärmepumpen, verteilte erneuerbare Energieerzeugung & Co. könnten die Verbraucher in Milliardenhöhe entlasten.

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Pylon

(Bild: pan demin/Shutterstock.com)

Lesezeit: 14 Min.
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Bei einem flexiblen Energiemarkt mit Möglichkeiten für Bürger und Unternehmen, selbst unbegrenzt Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen ins Netz einzuspeisen, mit dynamischen Tarifen gekoppelt mit intelligenten Stromzählern, virtuellen Kraftwerken, Batterie-Pooling etwa über Elektrofahrzeuge und Smart Grids könnten die Verbraucher in der EU Milliarden pro Jahr einsparen. Zugleich ließen sich jährlich 37,5 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen vermeiden. Dies geht aus einer ersten Studie zu "Flexibilität auf der Nachfrageseite" beim Energieverbrauch hervor.

Die sogenannte "Demand-side Flexibility" (DSF) im Energiebereich ist spätestens seit dem bewaffneten Angriff Russlands auf die Ukraine und dem dadurch ausgelösten sprunghaften Anstieg der Energiepreise in vieler Munde. Endverbraucher sollen im Rahmen der Energiewende zudem generell in die Lage versetzt werden, eine aktivere Rolle bei der Sicherung der Verlässlichkeit des Stromsystems zu spielen. Dieser Schritt könnte zugleich helfen, die Energieversorgung mit einem stärkeren Einbezug der Erneuerbaren zu dekarbonisieren und die Klimaziele zu erreichen.

Anders ausgedrückt: Mit zunehmender Einspeisung fluktuierender erneuerbarer Energien ins Netz und dem Rückgang konventioneller Kraftwerksleistung sind "neue Flexibilitätsoptionen" gefragt, um den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage sicherzustellen. Vor allem die Elektromobilität und Wärmepumpen sollen also verstärkt in den Markt kommen, aber möglichst dann grünen Strom aus dem Smart Grid ziehen, wenn keine Knappheit herrscht.

"Missing Link"

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Eine höhere Flexibilität auf der Verbrauchsseite stößt aber immer noch auf regulatorische Hürden. Diese sind der jetzt veröffentlichten Studie zufolge in der EU vor allem auf eine zögerliche Reform des Strommarktdesigns durch die Mitgliedstaaten zurückzuführen. Darüber hinaus sei DSF immer noch nicht weithin als zuverlässige, effiziente und klimafreundliche Lösung anerkannt, da ihr Potenzial bislang nie systematisch quantitativ gemessen wurde.

Um diese Informationslücke zu schließen, gab die Wirtschaftsvereinigung Smart Energy Europe (SmartEn) die Untersuchung bei der norwegischen Klassifikationsgesellschaft DNV in Auftrag. Die Firma fungiert als Dienstleister in den Bereichen technische Beratung, Ingenieurswesen, Zertifizierungen und Risikomanagement im weltweiten Energiesektor. Unterstützt haben die Studie die Unternehmen Eaton, Enel X und Voltalis als Anbieter von Energiemanagement-Lösungen sowie die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF, die aufgrund maroder Atomkraftwerke gerade verstaatlicht werden soll.

Unter "nachfrageseitiger Flexibilität" verstehen die Forscher "die Fähigkeit eines jeden aktiven Kunden, auf externe Signale zu reagieren und seine Energieerzeugung und seinen Energieverbrauch dynamisch und zeitabhängig anzupassen". DSF könne durch intelligente dezentrale Energieressourcen einschließlich Nachfragesteuerung mithilfe von Echtzeitverbrauchsdaten, Energiespeicherung und dezentrale erneuerbare Stromerzeugung bereitgestellt werden.

Um die potenziellen Vorteile der nachfrageseitigen Flexibilität auszuloten, haben die Wissenschaftler DSF-Technologien als Teil des bestehenden europäischen Stromsystems modelliert. Dieses haben sie für die Analyse mit dem Status quo als Ausgangs- und Vergleichsbasis heranzogen. Sie quantifizieren dabei die Vorteile einer vollständigen Einführung von nachfrageseitiger Flexibilität in der EU bis 2030. Auf Grundlage ihrer technologischen Merkmale und des hohen Flexibilitätspotenzials berücksichtigten sie dabei acht aktivierbare DSF-Technologien, die von der Fernwärmeerzeugung für Gebäude über E-Autos bis zu Heizkesseln in der Industrie reichen.