Tückische Helferchen: Fahrassistenzsysteme übernehmen keine Verantwortung

Fahrzeughersteller bieten Käufern digitale Fahrhilfen an. Wer sich nur auf die elektronischen Beifahrer verlässt, kann dabei mit dem Gesetz in Konflikt kommen.

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(Bild: metamorworks / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Harald Büring
Inhaltsverzeichnis

Ein Abstandspilot soll dazu beitragen, zu dichtes Auffahren gerade bei höherem Tempo zu vermeiden. Ein solches System gehörte zum Fahrassistenzpaket eines Pkw, dessen Fahrer vor einigen Jahren vor Gericht landete: Er war in eine Abstandsmessung geraten. Das dort verwendete Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 hatte ermittelt, dass er bei einer Geschwindigkeit von 132 km/h lediglich einen Abstand von 14 Meter – statt wie vorgeschrieben mindestens 66 Meter – zu seinem Vordermann eingehalten hatte.

Das Amtsgericht (AG) Ingolstadt verurteilte den Mann zu einer Geldbuße von 240 Euro wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des erforderlichen Mindestabstands gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Darüber hinaus verhängte das Gericht ein Fahrverbot von einem Monat. Der Fahrer wehrte sich gegen diese Entscheidung und berief sich darauf, dass er sich auf seinen Abstandspiloten verlassen hatte.

Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg verwarf seine Rechtsbeschwerde jedoch als unbegründet: Der Mann habe gegen seine Pflichten als Kraftfahrzeugführer verstoßen. Mit denen sei es "nicht im Ansatz" zu vereinbaren, dass er angeblich seinem Abstandspiloten vertraut hatte. Weil der Autofahrer die Verkehrssituation mit eigenen Augen wahrnehmen konnte, war er dem Urteil zufolge nicht auf den elektronischen Assistenten angewiesen. Er konnte und musste vielmehr eigenständig darauf achten, den erforderlichen Sicherheitsabstand einzuhalten.

In einem anderen Fall ging es um einen Wagen mit einer Geschwindigkeitsregulierung samt automatischer Verkehrszeichenerkennung. Nachdem der Fahrer gleichwohl außerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 22 km/h zu schnell gefahren war, verurteilte ihn das AG Aachen zu einer Geldbuße von 100 Euro wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Auch er wehrte sich erfolglos. Das OLG Köln verwarf bereits den Zulassungsantrag zur Rechtsbeschwerde. Bei einer Geldbuße von 100 Euro ist eine solche Beschwerde nur zulässig, wenn sie zur Rechtsfortbildung beiträgt. Das verneinte das Gericht für diesen Fall: Die Rechtsprechung habe bereits geklärt, dass Autofahrer ihr Tempo selbst kontrollieren müssen, auch wenn sie ihre Geschwindigkeit automatisch regulieren lassen.

2018 warb Volkswagen für seinen Stauassistenten mit diesem amüsanten, aber absurden Motiv. Wenn jemand sich tatsächlich von seinem Assistenzsystem verführen ließe, mit so geringem Abstand zu fahren, wäre ein Bußgeld fällig.

(Bild: Volkswagen)

Wer sich blindlings auf Fahrassistenten verlässt, dem winken nicht nur Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten. Bei einem Unfall muss er auch mit zivilrechtlichen Konsequenzen rechnen. Dann stehen Schadenersatzforderungen an Fahrer oder Halter im Raum. Darüber hinaus riskiert ein allzu sorgloser Assistentennutzer, dass seine eigenen Ansprüche gegenüber dem Unfallgegner gekürzt werden. Das ist etwa wegen Mitverschuldens im Rahmen der deliktischen Haftung (§ 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, BGB) oder der Halterhaftung (§ 9 des Straßenverkehrsgesetzes, StVG) möglich. Wenn an einem solchen Unfall zwei Kraftfahrzeuge beteiligt sind, richtet sich diese Kürzung nach den Haftungsanteilen beider Seiten (§ 17 StVG) und damit nach dem Grad, in dem beide den Unfall mitverursacht haben.

Was das bedeutet, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2017, in den ein Mercedes mit dem Notfallbremsassistenten "Collision Prevention Assist" (CPA) verwickelt war. Bei einer Fahrt auf der Autobahn bremste das System den Wagen aufgrund einer Fehlfunktion ohne Anlass abrupt bis zum Stillstand ab. Ein nachfolgender Lkw fuhr auf. Die Pkw-Fahrerin und -Halterin verlangte daraufhin Schadenersatz sowohl vom Fahrer als auch vom Halter des Lkw.

Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main sprach ihr zunächst nur ein Drittel des geltend gemachten Schadenersatzes zu. Das ergebe sich aus einer Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 StVG, so das Gericht: Derjenige der Mercedes-Fahrerin sei in diesem Fall höher, denn von dem fehlerhaften Notfallbremsassistenten sei eine erhebliche Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer ausgegangen. Diese Betriebsgefahr müsse sie sich zurechnen lassen, obwohl sie kein eigenes Verschulden treffe.

Das wollte die Pkw-Fahrerin nicht akzeptieren. Sie legte Berufung ein und hatte damit teilweise Erfolg: Das OLG Frankfurt am Main änderte das Urteil der Vorinstanz ab und sprach ihr immerhin den Ersatz von zwei Dritteln des entstandenen Schadens zu. Die Richter verwiesen darauf, dass der Lkw-Fahrer schuldhaft und ohne Grund den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand um 30 Prozent unterschritten habe. Das wiege schwerer als das Versagen des Notfallbremsassistenten.

Gerade die letzte Entscheidung zeigt, dass Nutzer von Fahrassistenten ein beachtliches Haftungsrisiko tragen. Solche Systeme können ausfallen und fehlreagieren. Ein Fahrer darf sich aber im Fall eines Schadens nicht mit dem Hinweis auf ein defektes Assistenzsystem aus der Affäre ziehen. Sehr wohl steht es ihm aber offen, seinerseits Ansprüche gegen diejenigen geltend zu machen, die das System verkauft oder hergestellt haben. Wenn ein Fahrassistent bereits beim Kauf mit einem Sachmangel im Sinne von § 434 BGB behaftet war, können sich wie bei anderen Waren auch zunächst Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer richten. Sie durchzusetzen, ist jedoch bisweilen enorm schwierig.

Das zeigt etwa der Fall eines Mannes, der 2016 von einer Mercedes-Niederlassung eine E-Klasse für knapp 59.000 Euro erworben hatte. Er war mit dem eingebauten "Drive Pilot" unzufrieden, einem automatischen Abstands- und Geschwindigkeitsregelungssystem mit Verkehrszeichenassistent. Der Käufer monierte, das System sei unzuverlässig: Das Auto habe bereits 50 Meter vor dem Ortsschild auf die innerorts vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h abgebremst. Nach Verlassen der Ortschaft habe es nicht sofort wieder beschleunigt. Außerdem sei der Wagen mit nur 30 km/h durch eine Autobahnbaustelle gefahren, obwohl dort 80 km/h zulässig gewesen seien. Der Käufer verlangte daher, den Kaufpreis des Wagens nachträglich um 3500 Euro zu mindern.

Das AG Dortmund wies seine Klage allerdings ab. Nach Auffassung des Gerichtes handelte es sich um keinen Mangel im Sinne des Gesetzes, es fehle an der dazu nötigen Erheblichkeit. Der Fahrer habe ja durch das Verhalten des Assistenzsystems gegen keine Verkehrsvorschriften verstoßen. Vereinzelte Beeinträchtigungen des Fahrkomforts durch zu langsames Fahren reichten für einen Gewährleistungsanspruch nicht aus. Anders wäre es gewesen, wenn der Wagen die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hätte. Bei der Fahrt in der Baustelle habe eine besondere Situation vorgelegen, so das Gericht: Der Verkehr sei über das Gelände einer ehemaligen Raststätte geleitet worden. Der Hersteller habe den Assistenten so programmiert, dass dieser an Raststätten grundsätzlich mit 30 km/h fahre. Dass das System mit derart speziellen Situationen klarkomme, sei nach dem heutigen Stand der Technik nicht zu erwarten.

In einem Zeitraffervideo auf der Unternehmenswebsite demonstriert Tesla den Autopiloten in seinem Model X bei einer Fahrt und suggeriert damit, der Mensch hinterm Lenkrad könne in jeder Situation entspannt die Hände ruhen lassen. Das ist ein Irrtum. Die Verantwortung für das, was geschieht, bleibt beim Fahrer.

(Bild: Tesla Deutschland)

Mehr Erfolg hatte ein Tesla-Model-X-Käufer, der 2019 Gewährleistungsansprüche unter anderem wegen erheblicher Probleme mit seinem Autopiloten geltend machte. Das LG München I verurteilte den Händler, das Fahrzeug zurückzunehmen und den Kaufpreis von über 100.000 Euro zu erstatten. Die Autopilotfunktion habe unter anderem mehrfach Verkehrsschilder nicht erkannt und Hindernisse übersehen. Der Wagen habe außerdem einige Male unvermittelt scharf abgebremst, ohne dass ein Hindernis auf der Fahrbahn gewesen sei. Das habe ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger festgestellt, der eine Probefahrt unternommen hatte. Das Gericht sah einen Sachmangel gemäß § 434 BGB. Allerdings hat der Händler gegen dieses Urteil Berufung beim OLG München eingelegt, die derzeit noch anhängig ist (Az. 18 U 4051/22). Insgesamt gesehen bleiben noch viele rechtliche Fragen offen, was den Einsatz von Fahrassistenten betrifft. So gibt es bislang noch keine Gerichtsentscheidungen zu Regressansprüchen schadenersatzpflichtiger Fahrer gegen Verkäufer oder Hersteller. Die Chancen, fremde Schadenersatzansprüche abzuwälzen, liegen also für Fälle dieser Art noch ziemlich im Nebel.

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(psz)