Wieso viel Windstrom im Norden in Baden-Württemberg zu Stromsparaufrufen führt

Am Sonntag bat Netzbetreiber TransnetBW darum, von 17 bis 19 Uhr möglichst wenig Strom in Baden-Württemberg zu verbrauchen – weil im Norden viel Wind blies.

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(Bild: Bykfa/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Am Sonntag musste der Netzbetreiber TransnetBW die Bevölkerung in Baden-Württemberg dazu aufrufen, am frühen Abend möglichst wenig Strom zu verbrauchen. Haushaltsgeräte sollten ruhen, Elektrofahrzeuge möglichst nicht geladen werden, andere Geräte – wie etwa Notebooks – ihren Akku nutzen.

Aufgrund von viel günstigem Windstrom in Norddeutschland fuhren Energieversorger weiter südlich teilweise andere Kraftwerke wegen einer zu schlechten Profitabilität herunter. Zugleich konnte aufgrund des noch nicht ausreichenden Netzausbaus der günstige Windstrom aus dem Norden nicht in nötiger Menge bis in den Süden durchgeleitet werden.

Nötig werden in solchen Situationen dann Redispatch-Maßnahmen, um die Versorgung und die Netzstabilität zu gewährleisten. TransnetBW bewältigte das Verfahren, das keineswegs ungewöhnlich ist, mit einem Mix aus Markt- und Reservekraftwerken sowie Stromimporten aus dem Ausland – wie viel Strom genau aus dem Ausland bezogen wurde, will das Unternehmen am heutigen Montag mitteilen.

Wie eine Sprecherin am Sonntagabend gegenüber der dpa erklärte, bestand zu keiner Zeit die Gefahr eines Stromausfalls. Allerdings mussten mehr Maßnahmen ergriffen werden "als üblich, um Netzstabilität zu gewährleisten".

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, stellte auch klar, weshalb in dieser Situation zum Stromsparen aufgerufen wurde. Je mehr Redispatch-Maßnahmen ergriffen werden müssen, desto teurer wird das für die Endverbraucherinnen und -verbraucher. Kosten hierfür werden nämlich bei den Netzentgelten fällig.

Um Menschen in Baden-Württemberg für ihren Stromverbrauch und mögliche Netzengpässe zu sensibilisieren, hat TransnetBW die App "Stromgedacht" entwickelt. Mit einem Ampel-System wird Nutzerinnen und Nutzern angezeigt, wie es gerade um das Strom-Management im Netzgebiet bestellt ist. Für Sonntag wurden die Farbe Gelb von 10:00 bis 17:00 Uhr und in dem Zeitraum von 17:00 bis 19:00 Uhr die Farbe Rot angekündigt.

Das Ampel-System von "Stromgedacht" für den gestrigen Sonntag.

(Bild: TransnetBW)

Da der Netzausbau über Jahre insbesondere durch südlich gelegene Bundesländer gebremst wurde (siehe etwa Südlink), kann es zu stärkeren Ungleichgewichten zwischen der hohen Erzeugung von Strom etwa aus Windkraft im Norden und dem Verbrauch im Süden kommen. Zudem sind Windkraftanlagen als auch konventionelle Kraftwerke nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt. Am Abend und in der Nacht kann dann etwa auch die in Bayern gerne beschworene hohe Zahl an Fotovoltaik-Anlagen nicht viel ausrichten – schlecht ausgebaute Netze können dann zu Flaschenhälsen werden. "Das ist wie ein Stau auf der Autobahn", erklärte eine Sprecherin der TransnetBW.

Ein Teil dieses Ungleichgewichts könnte etwa über mehrere Stromgebotszonen für Deutschland besser abgebildet werden, erklärten etwa auch einige Energieminister der Länder im Herbst 2022. Auf EU-Ebene wird dies auch schon länger diskutiert. Im Gespräch sind laut der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) zwei bis vier Zonen statt einer einzigen. Gebotszonen sollen sich laut einer EU-Verordnung unter anderem an den strukturellen Engpässen im Übertragungsnetz orientieren. Netzbetreiber Tennet rechnete im Sommer 2022 allerdings noch damit, dass eine Rekonfiguration der Gebotszonen erst 2027 oder später umgesetzt werden könnte.

Netzbetreiber Tennet erklärt genauer, was ACER vorgeschlagen hat. Für Deutschland wurden zwei bis vier neue Gebotszonen angedacht.

(Bild: Tennet)

Dass auch Netze vor Ort an ihre Grenzen gelangen könnten, machte Klaus Müller am Wochenende in der FAS deutlich. Er brachte etwa das intelligente Herunterregeln von Wärmepumpen ins Spiel, wie es sich lokale Netzbetreiber ohnehin bereits teils mit günstigeren Wärmepumpen-Tarifen vorbehalten.

"Wenn weiter sehr viele neue Wärmepumpen und Ladestationen installiert werden, dann sind Überlastungsprobleme und lokale Stromausfälle im Verteilnetz zu befürchten, falls wir nicht handeln", erklärte er. Allerdings solle in Zeiten von Netzengpässen die Stromversorgung von Wärmepumpen und Ladestationen nicht ganz gekappt werden, wie Müller versichert habe: "Es wird definitiv keine Komplettabregelung geben. Wir wollen eine Mindestversorgung jederzeit garantieren." Auch bei gedrosselter Versorgung könnten laut einem Eckpunktepapier der Netzagentur alle betroffenen Haushalte drei Stunden lang genügend Strom laden, um mit ihrem Elektroauto 50 Kilometer fahren zu können. Und auch Wärmepumpen sollen "nahezu" störungsfrei weiterbetrieben werden können. Eine solche Regelung solle im Januar 2024 in Kraft treten.

TransnetBW weist unter anderem darauf hin, dass Elektroautos auch ihren Teil zur Netzstabilisierung beitragen können. In einem Feldtest konnte der Netzbetreiber feststellen, "dass die Vorhaltung und Lieferung von Regelreserve aus einem virtuellen Kraftwerk bestehend aus einer Vielzahl miteinander gepoolter E-Autos nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis möglich ist."

(kbe)