Kommentar: Japans Wasserstoffstrategie opfert die Zukunft für die Gegenwart

Japan hat als erstes Land einen Plan für den Weg in die Wasserstoffwirtschaft vorgestellt. Dennoch droht es nun, ins Hintertreffen zu geraten.

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(Bild: petrmalinak/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Der Rücktritt von Akio Toyoda als Konzernchef von Toyota bedeutet nicht nur eine Zäsur für das Aushängeschild der Japan AG, sondern auch für die Energiepolitik des Landes. Er sei beim Umbau des weltgrößten Autobauers zum Mobilitätskonzern an seine Grenzen gestoßen, begründete der 66-jährige Firmenerbe seinen Rückzug auf den Posten des Verwaltungsratschefs. Ab April soll nun der 53-jährige Koji Sato den Umbau des Konzerns umsetzen.

Die größte Herausforderung für Sato wird sein, den großen Rückstand Toyotas bei batterieelektrischen Autos aufzuholen. Ungewollt wird er damit auch zum Symbol für die Energiestrategie des Landes. Denn Akio, wie der heutige Firmenchef intern genannt wird, und die Regierung haben nicht nur Toyota, sondern auch das Land mit ihrer Fokussierung auf Hybrid- und Brennstoffzellenantriebe lange Zeit in eine energiepolitische Sackgasse geführt, genauer gesagt in Japans Version einer Wasserstoffwirtschaft.

Lange Zeit waren Toyota und Honda weltweit führend bei Brennstoffzellenautos, die aus der Verbindung von Wasser und Sauerstoff Strom als Antrieb erzeugen. Angetrieben von den mächtigen Konzernen veröffentlichte Japan 2017 als erstes Land eine nationale Wasserstoffstrategie. Doch die hat ihre Ziele verfehlt, attestierte kürzlich das japanische Institut für erneuerbare Energien (REI). Die Strategie müsse "unverzüglich korrigiert werden", so die Experten. "Jetzt ist es an der Zeit, Japans Dekarbonisierungsstrategie neu zu definieren und die Wasserstoffstrategie, die Teil dieser Strategie ist, zu überdenken."

Hintergrund dieser Forderung ist ein Geburtsfehler der japanischen Strategie. Während in Europa gerade in der Energiepolitik die Regierungen der Wirtschaft oft politisch motivierte Ziele vorgeben, herrscht in Japan an dieser Stelle eine Art Basisdemokratie des Großkapitals, in der die Politik zum Dienstleister der Unternehmensinteressen wird.

Die Regierung beruft Gremien ein, die von Vertretern der Großunternehmen und ihrer Lobbys bestimmt werden. Mit deren Input schreiben Politiker und Planer Entwicklungen fort, die dem Wunschdenken der Industrie entspringen und nicht unbedingt einer Analyse der weltweiten ökologischen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen.

Im Fall von Wasserstoff führte dies zu zwei umstrittenen Entwicklungen: Erstens betonte die japanische Strategie die Rolle von Wasserstoff im Individualverkehr. Zweitens setzte Japan nicht auf den sogenannten "grünen Wasserstoff", bei dem das flüchtige Element kohlendioxidfrei mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen oder Kernenergie aus Wasser gewonnen wird. Stattdessen fördert die Regierung die Gewinnung von "grauem", also aus Kohle oder Gas abgetrenntem Wasserstoff, der dann durch Abtrennung, Speicherung oder Nutzung von Kohlendioxid in weniger schädlichen "blauen" Wasserstoff umgewandelt werden soll.

Für beide Ideen gibt es Argumente. So hielten es die Autohersteller bisher für nicht sinnvoll, den Autoverkehr vollständig zu elektrifizieren. Stattdessen wollen sie bei der Wahl des Antriebs die Emissionen der Stromerzeugung in den verschiedenen Ländern berücksichtigen, um wirksam Treibhausgasemissionen zu senken. Zudem hofften sie, durch die komplexere Technik die Hürden für Wettbewerber höher zu halten als bei reinen Elektroautos.

Noch verständlicher ist die Wette auf den grau-blauen Wasserstoff. Die europäische Strategie, massiv in den noch zu skalierenden grünen Wasserstoff zu investieren, ist den Japanern "zu ideologisch", wie Energiepolitiker und Unternehmer immer wieder betonen. Stattdessen setzen sie auf eine schrittweise Entwicklung: Zunächst wollen sie Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen gewinnen, um schnell einen großen Weltmarkt samt Lieferketten zu schaffen, die Kosten zu senken und so die geplanten riesigen Flotten von Brennstoffzellenautos anzutreiben.

Das Kalkül: Getrieben von der Nachfrage würde massiv Kapital in die Technologie fließen und so schneller eine globale Wasserstoffwirtschaft nach japanischem Vorbild entstehen. Auch für die Entwicklungsländer, die für ihre Entwicklung noch mehr als die Industrieländer auf billige Energieträger angewiesen sind, ist die Erschließung der heute schon verfügbaren Quellen für grauen Wasserstoff aus Sicht von Regierung und Industrie der bessere Weg.

Das Problem: Die Politik ist auf dem Holzweg. Schon vor mehr als zehn Jahren sagte mir ein chinesischer Entwicklungschef für Brennstoffzellen, dass Elektroautos seine Lieblingstechnologie wegfegen würden, sobald sie billig genug seien. Denn so schwierig die Rohstoffgewinnung für Batterien momentan auch sein mag, Elektroautos sind nicht nur viel einfacher zu bauen. Es gibt auch eine etablierte Infrastruktur, um sie zu "betanken", was bei Wasserstoff nicht der Fall ist. Selbst auf Japans Straßen sind Brennstoffzellenautos noch nicht der Renner.

Zu allem Überfluss investieren Europa und China große Summen in die Produktion von grünem Wasserstoff und nicht in den grauen und dann blauen Wasserstoff, der von Japan als Übergangstechnologie gefördert wird. Denn sie wollen die Emissionen schneller senken und lieber in die Zukunft als in die Gegenwart investieren. Damit verbunden ist die Beschränkung von Wasserstoff auf Bereiche, die ohne Strom schwer zu dekarbonisieren sind, wie die Stahlindustrie oder schwere Nutzfahrzeuge. Und plötzlich ist der Pionier isoliert, statt wie erhofft die Welt auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft anzuführen.

Um dem Klima wirklich zu nützen, müssen die Japaner nun nicht nur die großtechnische Kohlendioxidabscheidung entwickeln, um aus grauem Wasserstoff blauen zu machen. Gleichzeitig hinken japanische Unternehmen selbst nach Einschätzung des japanischen Wirtschaftsministeriums bei der Entwicklung von Anlagen für die Elektrolyse ihren europäischen und chinesischen Konkurrenten hinterher.

Ein Kommentar von Martin Kölling

Martin Kölling lebt in Tokio und schreibt für MIT Technology Review regelmäßig über Entwicklungen in Japan. In Asien kann er sein Faible für Technik austoben.

Die technologische Entwicklung Japans ist vielleicht nicht verloren. Die Elektro-Offensiven könnten noch einmal ins Stocken geraten, andere Antriebsarten und Technologien wieder an Bedeutung gewinnen. Aber eine neue Schwerpunktsetzung ist im Land wie bei Toyota notwendig, um die entstandene Lücke in den Zukunftstechnologien für grünen Wasserstoff zu schließen und das Feld mit anzuführen.

Ob dies gelingen wird, ist noch offen. Die liebgewonnenen Pläne, die heutigen Technologien noch länger zu nutzen, halten sich ebenso wie die alten Träume vom H2-Auto. Toyota hat in den vergangenen Jahren neben Elektro- und Brennstoffzellenantrieben auch einen Verbrennungsmotor entwickelt, der Wasserstoff statt Benzin verbrennt.

Den Härtetest hat der Motor in einem Rally-Auto bestanden. Mitverantwortlich für die Entwicklung war als Chef der Premiummarke Lexus und des konzerneigenen Rennteams kein Geringerer als der künftige Toyota-Chef Sato. Auch das ist ein Zeichen. Vermutlich werden der japanische Konzern wie die gesamte Japan AG weiterhin mehrgleisig fahren wollen, statt sich für einen einzigen Weg in die Wasserstoffwirtschaft zu entscheiden.

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(jle)