Digital Services Act: Twitter will neue EU-Regeln teils schon vorab einhalten

Ein Twitter-Manager bemühte sich im Bundestag, die Bedenken von Abgeordneten zu zerstreuen, dass sich der Dienst mit Musk nicht mehr an Recht und Gesetz halte.

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(Bild: kovop58/Shutterstock.com)

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Ronan Costello, der bei Twitter in Europa für die Pflege der Regierungsbeziehungen des US-Konzerns zuständig ist, hatte am Mittwoch bei einer öffentlichen Sitzung des Digitalausschusses des Bundestags einen schweren Stand. Die Abgeordneten grillten den per Videokonferenz zugeschalteten Manager eine Stunde lang. Viele wollten vor allem wissen, ob und wie sich Twitter nach der Übernahme durch Elon Musk und den darauffolgenden Entlassungen auch von Moderatoren und Lobbyisten noch an europäisches Recht und Gesetz halten wolle und könne.

Die stoisch vorgetragene Behauptung Costellos, dass Twitter trotz größerer Entlassungen den rechtlichen Anforderungen aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und künftig dem Digital Services Act (DSA) der EU weiter folgen werde, brachte einzelne Volksvertreter regelrecht auf die Palme. Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jens Zimmermann, etwa warf dem Lobbyisten vor, sich einen "schlechten Scherz" mit den Parlamentariern zu erlauben. Costello versicherte weiter, dass Twitter natürlich auch die nationale Gesetzgebung nach wie vor einhalten werde. Musk habe dies auch jüngst in Gesprächen mit Digitalminister Volker Wissing und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton zugesichert.

Wie wolle der Betreiber des sozialen Netzwerks die wachsenden rechtlichen Anforderungen mit weniger Mitarbeitern bewältigen, bohrten mehrere Abgeordnete immer wieder nach. Für die Einhaltung des NetzDGs seien noch rund 150 Personen im Bereich Inhaltemoderation zuständig, erwiderte Costello. Den aktuell fälligen Transparenzbericht habe Twitter fristgemäß Ende Januar veröffentlicht. Insgesamt gingen demnach zwischen Juli und Dezember vorigen Jahres 947.994 Beschwerden ein, während es von Januar bis Juni vergangenen Jahres 829.370 und zwischen Juli und Dezember 2021 682.487 waren. Bei 16,18 Prozent der Eingaben ergriff der Konzern Maßnahmen wie das Löschen oder Zurückhalten von Beiträgen, was ein höherer Wert ist als zuvor und nicht ganz zum Hochhalten der Meinungsfreiheit durch Musk passt.

Die Frage eines AfD-Politikers, ob Twitter nicht gegen den DSA klagen oder anderweitig rechtlich vorgehen wolle, erschloss sich Costello ganz und gar nicht. Er begrüßte vielmehr, dass es statt eines nationalen Flickenteppichs an einschlägigen Gesetzen wie dem NetzDG nun eine paneuropäische Regelung in Form eines "Leitsterns für illegale Inhalte" gebe. Twitter werde die neuen Vorgaben "teils sogar vorab umsetzen". Man habe das Dossier bereits seit zwei Jahren auf dem Radar.

Sollte die EU-Kommission in den nächsten Wochen Twitter als sehr großen Online-Akteur im Sinne des DSA einstufen, müsste das Unternehmen schon 2023 eine erste Risikoanalyse veröffentlichen. Daran arbeitet laut Costello ein interner Compliance-Beauftragter in Dublin, der langjährige Erfahrung mit derlei Einschätzungen in anderen Branchen habe. Man warte nur auf Nachricht der Kommission mit genaueren Anleitungen, wie betroffene Plattformen Audits organisieren und welche externen Firmen beteiligt werden sollen.

Den europäischen Verhaltenskodizes gegen Hassrede und Desinformation "haben wir uns freiwillig unterworfen", betonte Costello zudem. "Natürlich" halte man diese daher auch weiter ein. Das Unternehmen wisse, dass es Verpflichtungen eingegangen sei. Vorschläge zum Löschen schädlicher oder rechtswidriger Inhalte etwa in den Bereichen gewalttätiger Bedrohungen, Terrorismus und Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs kämen zu 65 Prozent von Künstlicher Intelligenz (KI). Diese könne man durch Techniken des Maschinenlernens darauf trainieren, solche Inhalte automatisch zu erkennen.

Berichten, dass Twitter einem Anbieter von Filtersoftware gekündigt habe, entgegnete der Konzernvertreter mit dem Verweis auf eigene Erkennungsprogramme. Hashs von Missbrauchsmaterialien würden innerhalb der Branche auch geteilt, solche Darstellungen seien daher über verschiedene Plattformen hinweg identifizierbar. Bei Fristen zum Entfernen besonders schädlicher oder rechtswidriger Inhalte "reden wir über weniger als einige Stunden". Die Sicherheit der Nutzer werde weiter garantiert, was etwa auch im Ukraine-Krieg eine große Rolle spiele. Man könne sich mittlerweile auch gezielt ausklinken aus Konversationen und die Timeline nach eigenen Vorgaben konfigurieren.

Um Auseinandersetzungen über umstrittene, aber nicht illegale Inhalte besser Herr zu werden, baue man auf die neue Plattform Community Notes, berichtete Costello. Diese habe in den USA schon 20.000 Mitglieder und werde zeitnah auch in Europa eingeführt. Darauf könnten Nutzer selbst Kommentare einbringen und Streit dezentralisiert schlichten wie etwa bei der Wikipedia. Dies könne sehr viel effektiver sein etwa im Kampf gegen Desinformation als von oben aufoktroyierte Maßnahmen.

Details zu der von Musk für Donnerstag angekündigten Sperre von Programmierschnittstellen (APIs) für Drittanbieter, die auch Forscher und zivilgesellschaftliche Organisationen vom kostenlosen Zugang zu Nutzungsdaten der Plattform abschneiden könnten, "müssen wir noch ausarbeiten", erklärte Costello. Wenn im DSA offene Zugriffsrechte etwa für die Wissenschaft vorgesehen seien, werde man den bevorstehenden Schritt entsprechend umsetzen. Sobald wieder politische Werbung zugelassen würde, werde damit erneut ein entsprechendes Transparenzzentrum eingeführt. Jeder solle etwa in Erfahrung bringen können, wer wie viel für solche Anzeigen bezahlt habe.

Dass Twitter allgemein stark im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland stehe, hängt laut Costello wohl damit zusammen, dass so viele Politiker und Journalisten hierzulande die Plattform nutzten. Vor Musks Übernahme habe dem Unternehmen der Konkurs gedroht, mittlerweile werde man wohl wieder an der Gewinnschwelle ankommen. Die tägliche Zahl aktiver Nutzer sei zuletzt offiziell mit rund 240 Millionen angegeben worden, aber seitdem gestiegen.

(axk)