Schweizer Test-Projekt für autonome Lieferdienste beginnt

Der erste selbstfahrende Lieferdienst der Schweiz beginnt seine Testphase. Das (noch semi-)autonome Fahrzeug bringt Onlinebestellungen an den Arbeitsplatz.

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Das semi-autonom (überwacht) fahrende Fahrzeug "Loxo Alpha"

(Bild: Loxo)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tom Sperlich
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Ein (noch teil-) autonomes Lieferfahrzeug ist seit Mitte der Woche zum ersten Mal auf einer öffentlichen Straße der Schweiz unterwegs. Laut den Projektpartnern soll es die erste kommerzielle Anwendung eines autonomen Fahrzeugs für die letzte Meile in der Schweiz und vermutlich in ganz Europa sein. Mitarbeitende des globalen Schweizer Konzerns Schindler Aufzüge können jetzt nicht nur online ihre Einkäufe bei Migros bestellen, einem der führenden Schweizer Detailhändler, sondern sie bekommen die Waren sodann bis fast an ihren Arbeitsplatz geliefert – aber ohne einen Fahrer hinter dem Lieferwagen-Lenkrad.

Ältere Bürger der Schweiz könnten sich noch gut erinnern, als die Migros unter ihrem Gründer Gottlieb Duttweiler bereits ab 1925 mit umherfahrenden Verkaufswagen den Kunden vor Ort Lebensmittel und andere Waren nahe vor die Türe brachte; was im Quartier oder Kiez auch immer ein soziales Ereignis war. Stationäre Läden der Migros-Genossenschaft folgten erst etwas später. Heute karren nun also wieder Migros-Lieferwagen Lebensmittel heran und dies sogar selbständig. Zumindest ist dies das Idealziel des gegenwärtigen sechsmonatigen Pilotprojekts von Migros und Schindler zusammen mit dem Hersteller des "Migronomous"-Wagens, dem Schweizer Start-up Loxo. Bereits seit fünf Jahren forscht die Hochschule für Technik und Architektur in Fribourg (HTA-FR) im Bereich des autonomen Fahrens. Ehemalige Mitarbeiter haben die Ausgründung Loxo ins Leben gerufen und den Wagen "Loxo Alpha" entwickelt.

Wenn die Schindler-Beschäftigten ihre Bestellung bei Migros online aufgegeben haben, belädt das Serviceteam der Migros-Filiale Mall of Switzerland in Ebikon (LU) das Lieferfahrzeug mit den bestellten Produkten, welches dann 500 Meter zum Schindler-Firmengelände zurücklegt. Noch fährt Loxo Alpha in flottem Schritttempo, im weiteren Projektverlauf soll die Geschwindigkeit bis auf maximal 30 km/h angehoben werden.

Auf dem Firmen-Campus angekommen, können die Mitarbeiter von Schindler mit einem Code das Fach mit ihrer Bestellung öffnen und ihre Einkäufe entnehmen. Der Wagen kann bis zu 64 Einkaufstaschen transportieren.

Die Sicherheit steht bei allen Projektteilnehmern und der Genehmigungsbehörde, dem 'Bundesamt für Strassen' (ASTRA), an oberster Stelle. So ist etwa die permanente Überwachung des selbstfahrenden Wagens eine der Voraussetzungen für die Bewilligung durch das ASTRA. Dessen Direktor Jürg Röthlisberg sagte in einem Interview des Schweizer Fernsehens, dass bald eine Anpassung des Straßenverkehrsgesetzes vorgesehen sei: Autonome Liefer- oder Transportfahrzeuge müssten dann auf alle Fälle fernüberwacht werden und in einer ersten (Projekt-)Phase sogar ferngesteuert sein.

In weiteren Etappen und auf Basis der die Umgebung immer besser kennenlernenden Sensorik und Algorithmen sollen Fahrzeuge dann immer autonomer betrieben werden können. Zum Einsatz im Loxo Alpha kommt dabei eine Kombination aus Radar, Lidar, Sonar und Kameras und zur Lokalisierung eine IMU (Inertial Measurement Unit) mit GNSS (Global Navigation Satellite System).

"Das Pilotprojekt ist sehr anspruchsvoll. Um maximalen Erfolg zu erlangen, wird das Fahrzeug schrittweise in seine Selbstständigkeit geführt, bis es in der letzten Phase vollständig automatisiert fahren wird", heißt es dazu von Migros. Der heutige Teleoperator soll auch im späteren regulären Einsatz immer umgehend erreichbar sein, falls Schwierigkeiten auftreten, unterstreicht die Firma Loxo. In bisherigen Schweizer Projekten mit autonomen Fahrzeugen – fast ausnahmslos Kleinbusse für den Passagiertransport – sind und waren selbstredend immer Begleiter an Bord der Shuttles. Zahlreiche Projekte überall in der Schweiz mit vielen Zehntausenden von Passagieren fanden bereits in den letzten Jahren statt, so etwa der erste autonome Elektro-Kleinbus des französischen Herstellers Navya, der von 2016 bis 2020 im Walliser Sitten (oder Sion) seine Runden zog.

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Ein neues Projekt einer automatisierten Buslinie auf öffentlichen Straßen soll noch im ersten Quartal 2023 in Schaffhausen beginnen. Die Ausnahmebewilligung des Bundesamtes ASTRA steht jedoch noch aus. Auch in Fribourg bediente ein Navya-Shuttle über Jahre hinweg einen Rundkurs als Zubringer zum städtischen Personennahverkehr. An der dortigen HTA-FR (wo die Firma Loxo ihren Ausgangspunkt hatte) wurde bereits vor zwei Jahren ein System für die zentrale Teleoperation von autonomen Fahrzeugen entwickelt. Dieses wird, so die einhellige Meinung aller Beteiligten am Lieferservice-Projekt Migronomous, noch eine Weile für aktuell mögliches (teil-)autonomes Fahren im Transportwesen (Level 3 bis Level 4) fahrbetrieblich zuständig sein. Zumindest in der Schweiz.

Allerdings soll sukzessive aus dem Teleoperator quasi ein Telesupervisor werden, der mehrere Fahrzeuge gleichzeitig überwachen kann. Noch gibt es da nicht allzu viel zu tun. Denn Loxo Alpha verkehrt vorerst einmal täglich von Montag bis Freitag zwischen der Migros-Filiale und dem Firmengelände von Schindler. Doch soll das selbstfahrende Lieferfahrzeug je nach Bedarf im weiteren Verlauf des Pilotprojekts auch öfter die 500 Meter unter die Räder nehmen, so die Migros Medienabteilung.

Das ist auch die Vorstellung des Herstellers Loxo. Der bietet ein autonomes, nachhaltiges Fahrzeug an, das zur Hälfte aus recycelten Materialien besteht, die ebenfalls wiederverwendet werden können. Zudem offeriert der Hersteller maßgeschneiderte Angebote für den E-Commerce, genannt ADaaS (Automated-Delivery-as-a-Service).

Es geht den Projektpartnern um die sogenannte letzte Meile, auf der nicht nur Lebensmittel, sondern Güter aller Art (auch zwischen B2B-Hubs) selbstfahrend und automatisiert – "on demand" – ausgeliefert werden sollen. So erläutert Christian Studer, Head New Technologies von Schindler: "Wir sind stark daran interessiert, vertikale Mobilität mit innovativen, selbstfahrenden Transportoptionen zu verknüpfen. Vernetzte Transportlösungen können Städte lebenswerter und nachhaltiger machen und einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung leisten". Nachhaltigkeit im Transport hat sich auch die Migros seit Jahren auf die Fahnen geschrieben. Der Detailhändler setzt auf eine Multitechnologie-Strategie für maximale CO₂-Emissionsreduzierung. Das bedeutet, dass ein immer höherer Anteil verschiedener CO₂-armer Antriebsformen – Lkw mit Elektromotor, Bio-Gas- und Wasserstoffantrieb – im Straßentransport zum Einsatz kommen.

(tiw)