Technikgeschichte: Der Hype um Second Life im Jahr 2007

Der weltweite Hype um Second Life begann bereits 2006. Wenig später analysierte c’t: In der Second-Life-Welt geht es vorwiegend ums Geschäfte machen.

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Party im SecondLife
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Rudolf Opitz
c't-Zeitreise

Das c't magazin feiert dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Das nehmen wir zum Anlass, einige Artikel aus unserem Archiv zu holen, die es wert sind, nochmals gelesen zu werden. Darunter befinden sich spannende Investigativ-Geschichten ebenso wie Kurioses, große Erfolge der Computertechnik, aber auch Prognosen, bei denen wir komplett falsch lagen. Wir kommentieren die Artikel aus heutiger Perspektive und freuen uns auf einen unterhaltsamen Streifzug mit Ihnen durch 40 Jahre IT-Geschichte.

Das US-Unternehmen Linden Labs hatte Second Life bereits 2003 gestartet, was zunächst nur von wenigen beachtet wurde. Der Standardzugang war gratis, ebenso wie die nötige Clientsoftware. Neubewohner beschäftigen sich zunächst ausführlich mit dem Design ihres Avatars. Danach teleportiert man ihn zu einem Ort, wo etwas los ist. Doch selbst 2007 auf der Höhe des Hypes trafen Neugierige dort vorwiegend auf Marketingspezialisten. Es ging ums Geldverdienen mit virtuellen und realen Gütern. Nico Nowarra schrieb im c’t-Artikel "Wo Linden-Dollars regieren":

"Das kann jeder – so die oft gehörte Second-Life-Version des amerikanischen Traums: zum findigen Unternehmer werden und mit irgendetwas, das man von Avatar zu Avatar für Linden-Dollars (abgekürzt L$) versetzen kann, schnell und unkompliziert ans große Geld zu kommen."

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Die Linden-Dollars gehören zu den frühen virtuellen Währungen, die gekauft und in reales Geld getauscht werden können. Im Frühjahr 2007 lag der offizielle Kurs bei 268 L$ für einen Euro, heute bekommt man pro Euro 341 L$. Unternehmer, die Filialen im virtuellen Raum errichten wollen, brauchen einen kostenpflichtigen Premium- oder Premium-Plus-Account, der aktuell zwischen 5,50 und 30 US-Dollar pro Monat kostet.

Dafür können sie in der Second-Life-Welt – im Fachjargon das "Grid" genannt – Land erwerben. Dort baut der Unternehmer Geschäfte, Clubs oder Vergnügungsparks und lässt sich den Besuch mit Linden-Dollars bezahlen. Nowarra schrieb 2007:

"Legendenartige Informationen über Einzelpersonen, die durch virtuellen Handel im realen Leben zu Millionären geworden sein sollen, werden getreulich von einem Zeitungsartikel zum nächsten weitergereicht. Niemand kann diese Geschichten überprüfen – auch unser Versuch, dies zu tun, schlug fehl."

Nico Nowarra berichtete in der c’t 7/2007 über das Metaversum Second Life und die Währung Linden-Dollar.

Der Traum vom im virtuellen Raum erworbenen Reichtum ist für viele ein Traum geblieben, doch lockte Second Life Kreative an, die Kunstwerke schufen oder für Avatare Kleidung und Frisuren designten. Auch die kommerzielle VR entwickelte sich schnell in eine wohlbekannte Richtung:

"[...] hier fühlt sich mancher Neuling bei seiner Ankunft zunächst an Bahnhofsviertel in Großstädten erinnert: Auf der einen Seite Sexshops und Ramschläden sowie Betriebe des virtuellen horizontalen Gewerbes, auf der anderen Shopping-Paradiese mit Kaufhäusern, Modeboutiquen und Cafés."

Eine Haupteinnahmequelle für L$ war zunächst das Glücksspiel mit Casinos und Wettbüros, doch untersagte Linden Labs dieses ab Ende Juli 2007. Das führte prompt zur ersten virtuellen Bankpleite: Die bereits 2004 gegründete Ginko Capital konnte dem nach dem Glücksspielverbot einsetzenden Bankansturm nicht standhalten und die geforderten 50 Millionen L$ (damals knapp 180.000 US-Dollar) nicht bereitstellen. Rechtsanwalt Andreas Lober berichtete in der c’t 24/2007:

"Die 'AvaStar', Axel Springers Blatt in Second Life, titelte in bester Boulevardmanier ‚Banken-Skandal erschüttert SL‘ und spekulierte über frisierte Unternehmenskennzahlen."

Anfang 2007 meldete Linden Labs 4,3 Millionen Second-Life-Bewohner, zum 15-jährigen Bestehen 2018 nannte man 54 Millionen Accounts. Die Zahl der regelmäßigen Nutzer war aber stets bedeutend kleiner und soll spätestens seit 2016 stetig zurückgegangen sein. Auch wurden viele Projekte nach und nach eingestellt, wie 2011 die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Im Schulunterricht setzte sich später stattdessen eine kindgerechtere virtuelle Welt durch: Minecraft.

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(rop)