Learntec 2023: Popcornweiße Sneaker überall

Die Learntec feierte 30. Geburtstag. Munter und zugewandt ist die Messe für die digitale Bildungsbranche – der Geruch von Popcorn war ein steter Begleiter.

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Drei der vier Messehallen gehörten der Learntec, eine Halle war der New Work Evolution gewidmet. Dort wurden aber eher Raum- und Möbelkonzepte gezeigt und Impulsvorträge gehalten.

(Bild: Messe Karlsruhe / Lars Behrendt)

Lesezeit: 12 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Schreibe einen Text über die Learntec" hatte ein junger Aussteller ChatGPT an seinem Stand aufgefordert. Er gab auch an, in welcher Stimmung der Text verfasst sein sollte und für welches Publikum: LinkedIn. Fröhlich sollte es sein. ChatGPT lieferte einige Zeilen, die austauschbar aus jeder von PR-Leuten gehosteten Timeline stammen könnten. Ein Jubelbeitrag.

Die anschließende Diskussion über das, was ChatGPT überhaupt kann oder irgendwann können wird, changierte zwischen "nicht so schlimm" und "jede schriftliche Arbeit verliert an Wert". Ich saß dazwischen und beteiligte mich an der Diskussion. Auch meiner Profession (in ihrer jetzigen Form) wurde der Untergang vorausgesagt und das finde ich nicht einmal schlimm. Das Leben hat mich schon zu anderen Veränderungen gezwungen: So what, ChatGPT?

Was die KI Ihnen nicht über die Learntec 2023 mitteilen kann? – wie es tatsächlich war, hier dargestellt aus meiner Sicht. Zwei Tage konnte ich mich auf der Messe bewegen und besonders die zufälligen Begegnungen haben meinen persönlichen Horizont erweitert und mir Einblicke verschafft, die auf keiner Tagesordnung stehen. Nach dem, was ich dort erfuhr, hätte ich die KI nicht fragen können, denn dafür müsste ständig live mitgeschnitten und ausgewertet werden, was dort passiert – auch, was zwischen den einzelnen Menschen passiert; und einige unserer automatisch mitlaufenden Sinneseindrücke würde die KI trotzdem noch nicht einordnen oder wiedergeben können.

Eine Analyse von Kristina Beer

Kristina Beer schreibt und moderiert für heise online. Sie beschäftigt sich gerne mit der Frage, wie sich technischer Fortschritt auf Gesellschaft, Wirtschaft und politische Entscheidungen auswirkt.

Wenn Sie es genau wissen wollen: Die Learntec 2023 roch fast überall nach frischem Popcorn. Ein Trend, der sehr angenehm in die Nase ging.

Natürlich war Künstliche Intelligenz und insbesondere ChatGPT eines der großen Themen der Messe in Karlsruhe. Das wurde auch während der Eröffnung der Messe betont. Drei Tage dauerte die Learntec – vom 23. bis zum 25.05. – und in diesem Jahr gab es auch eine weitere Messe als Co-Veranstaltung zum Thema "New Work Evolution".

Für einen großen Teil der digitalen Bildungsbranche steht die Learntec fest im Kalender. Wie Messe-Chefin Britta Wirtz erklärte, trifft sich hier regelmäßig das Who's who der Branche. Trotzdem scheint sie in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein zu führen. So feierte die Messe zwar in diesem Jahr schon ihren 30. Geburtstag und sollte durch den gefühlten Digitalisierungsschub durch die Coronaviruspandemie wesentlich an Bedeutung gewonnen haben: Die große politische Prominenz schickte allerdings nur Videogrußbotschaften nach Karlsruhe.

Die Learntec ist Europas größte Messe für digitale Bildung. Umso mehr überrascht es, dass dies im eigenen Land politisch dann doch eher nebensächlich behandelt wird.

(Bild: heise online/kbe)

Interessant war hier zum einen, wer überhaupt einen Gruß schickte, zum anderen in welcher Abfolge die Botschaften ausgestrahlt wurden und über was gesprochen wurde. Man mag einwenden, dass eben die Digitalisierung es ermöglicht hat, dass wir nicht mehr überall vor Ort sein müssen und trotzdem dabei und informiert sind. Allerdings weisen Bundesminister mit ihrer Prioritätensetzung darauf hin, was der Bundesregierung wirklich wichtig ist. Da, wo es zählt, ist man dann doch vor Ort.

Auf der Hannover Messe – der weltgrößten Industriemesse – liefen deshalb mehrere Bundesminister auf. Bei der Learntec machte einer der Bürgermeister von Karlsruhe den Rundgang über die Messe mit. Dieser zählte während seines Redebeitrags genau auf, wie weit vorne Karlsruhe bei der Digitalisierung ist, was etwa auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) für die Stadt bedeutet. Trotzdem: Die Bundesebene war nicht da und auch Minister der Kultusministerkonferenz (KMK) konnten nicht groß angekündigt werden.

Messe-Chefin Britta Wirtz und Dr. Albert Käuflein (CDU), einer der Bürgermeister der Stadt Karlsruhe (mittig links), eröffneten die Learntec. Die Videobotschaften der Bundesminister wurden zwischendurch eingespielt.

(Bild: Messe Karlsruhe / Jürgen Rösner)

Mit Grußbotschaften waren Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) – der auch Schirmherr der Learntec war – und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) dabei, der Bundesminister für Digitales, Volker Wissing (FDP), nicht. Erst durfte der Arbeitsminister die Anwesenden begrüßen, dann die Ministerin.

Hubertus Heil konnte Themen ansprechen, welche tatsächlich auch viele Aussteller mit ihren Angeboten umtrieben: die Weiterqualifizierung und Ausbildung von Menschen, die Begegnung des Fachkräftemangels und auch die Integration von Menschen aus dem Ausland in den Arbeitsmarkt. Klar sei, so Heil, dass neue Technologien in einigen Branchen Berufe verdrängen und an anderer Stelle neue Berufe geschaffen werden, überraschend sei diese Entwicklung aber nicht. Letztendlich könnten Maschinen auch viel lästige Arbeit übernehmen.

Die Arbeit und Arbeitsräume verändern sich – ein digitaler Nomade machte dazu passend am ersten Messetag etwas Werbung für seine Work-Life-Travel-Balance.

(Bild: heise online/kbe)

Der Arbeitsplatz im Bus ist sehr professionell ausgestattet – das hier war nur ein Bruchteil des Equipments. Kurz nach meinem Besuch wurde dort ein Podcast aufgenommen.

(Bild: heise online/kbe)

Bettina Stark-Watzinger hob mehr auf den Bereich der Ausbildung ab, bundespolitisch betrachtet dürften ihre Aussagen dazu aber überraschen. Als Beispiel für fortschrittliche Ausbildungsinhalte im virtuellen Raum wählte sie die Wärmepumpe und das Elektroauto. Diese Techniken könnten angehende Auszubildende heute auch virtuell kennenlernen. Sie sprach weder von der eFuel-Synthese noch von Wasserstoffheizungen und so erhärtete sich hier der Eindruck, dass die Bundes-FDP momentan verschiedene Bühnen bespielt und die Botschaften ins Chaotische abdriften. Sind Elektroautos jetzt doch eine Zukunftstechnologie und innovativ genug oder droht uns kommende Woche der "Elektroauto-Hammer"? Man weiß es leider nicht.

Auch eine andere Aussage ließ während ihres Grußwortes aufmerken. Stark-Watzinger lobte das Dasein des DigitalPakts Schule, der allerdings schon im kommenden Jahr auslaufen wird – und dessen Fortsetzung auf sich warten lässt. Unter anderem der Digitalverband Bitkom hat hier nun Tempo angemahnt.

Was darf man von der zerstrittenen Ampel in Sachen Bildungsförderung aber (noch) erwarten? Wird man sich auch hier nur für einen kurzen Moment einigen können, um dann in Grabenkämpfe zu verfallen?

Unterhielt man sich mit den digitalen Bildungsanbietern vor Ort, wurde recht schnell klar, was diese sich wünschen. Der zweite DigitalPakt könnte nun gerne über die überfälligen Infrastrukturmaßnahmen hinausgehen. Denn zwar sind jetzt einige Schulen endlich an das Internet angeschlossen, die tatsächliche Einbindung von digitalen Angeboten in die Lehre oder das Lernen bleibt aber weiterhin höchst verschieden ausgeprägt. Eigentlich verfolgen Bund und Länder oder auch die KMK eine Digitalstrategie, ein Ruck, der durch die Schulen geht, ist aber bei Weitem nicht zu spüren.

Wir wollen die Schulkinder doch nicht mit dem Digitalisierungs-Bade ausschütten, höre ich hier schon rufen, aber die Fachvorträge auf der Learntec wiesen doch recht deutlich darauf hin, wie weit Deutschland internationalen Entwicklungen hinterherhinkt und wie zugleich Leistungen der Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich nicht besser werden wollen.

Auch mit der Hilfe von KI könnte das Lesen geübt werden – für manche Kinder könnte das auch weniger Beschämungen bedeuten, erklärte Prof. Dr. Uta Hauck-Thum. Menschliche Lesepartner, die schon viel besser lesen können, sind nicht immer ermutigend für Kinder, die noch mehr Übung benötigen. Eine KI könne (bald) als helfender Avatar auftreten.
KI-gestützte Lese-Projekte gibt es bereits.

(Bild: heise online/kbe)

Während Prof. Dr. Uta Hauck-Thum nach dem neusten Iglu-Schock die (erwartbaren) Philologen-Verband-Forderungen nach mehr Strenge infrage stellte, konnte Dr. Til Assmann die Digitalisierungsstrategie von Estland der vergangenen dreißig Jahre vor dem Publikum ausbreiten. Dass dort nun selbst pensionierte Lehrkräfte für die Digital-Beratung bereitstehen, konnte erstaunte Ahs und Ohs befördern.

Wird auf die Entwicklungen in Estland verwiesen, heiße es schnell, dass Deutschland viel größer sei und die Esten bei Null anfangen konnten, erklärte Assmann. Er hält nicht viel von diesen Einwänden. Mir stellen sich bei ihnen auch Fragen. Zwar ist Deutschland groß, aber unsere Schullandschaft ist durch Länder – der Föderalismus grüßt – und Kreise teilweise stark fragmentiert, eine Vergleichsgröße könnte sich also schnell finden lassen. Bei Null könnte man auch anfangen, man muss es nur wollen.

Vielleicht hatten und haben die Esten aber auch nicht mit einem sehr deutschen Problem zu kämpfen: dem Hang zur Verantwortungsverschiebung. Anstatt eine falsche Entscheidung zu treffen, trifft man lieber keine. Möchte man sich selbst nicht die Finger schmutzig machen, schiebt man das Problem zwischen verschiedenen Stellen hin und her und am Ende steht eine Verantwortungsdiffusion, die es nahezu unmöglich macht, zumindest im Politischen Schuld zuzuweisen. Demokratische Prozesse will ich damit nicht in Abrede stellen – nur die aktuelle deutsche Ausgestaltung dieser Prozesse und die Verflechtung mit unseren teils stark veralteten Verwaltungsstrukturen lässt wohl nicht nur mich manchmal verzweifeln.

Laut Dr. Til Assmann haben sich die Esten gesagt: "Wir sind [als Land] klein: Wir müssen intelligent bleiben." So wurde das Schulsystem seit den 90er Jahren entsprechend entwickelt. Zunächst lernen die Kinder dort sicher lesen und schreiben, dann treffen sie aber auch auf ein gut ausgestattetes Schulsystem mit auch vielen digitalen Lernmitteln oder digitalisierten Vorgängen. Der Beginn der Coronapandemie hat nur eine kurze Schulunterbrechung mit sich gebracht. Schulmaterialien sind dort schon lange online verfügbar.

(Bild: heise online/kbe)

Der Nachhilfeanbieter Simpleclub machte zudem darauf aufmerksam, wie schleppend es auch bei einer möglichen Zertifizierung von digitalen Bildungsanbietern in Deutschland vorangeht, etwa im Bereich Datenschutz. In Österreich habe man auch schon für die Zeit der Coronaviruspandemie auf Bewertungsstrukturen zurückgreifen können, um Schulen, Lehrkräften und Familien bei der Auswahl geeigneter digitaler Anbieter zu helfen; dort gibt es nun auch ein Gütesiegel. In Deutschland soll unter anderem mit dem Projekt "Directions" aus dem Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) der Grundstein für eine Datenschutzzertifizierung von (digitalen) Bildungsprodukten entstehen, kurz: ein Gütesiegel für Lernapps und -plattformen. Gestartet ist das Projekt Anfang 2022 und auf sechs Jahre ausgelegt. Bis dahin werden deutsche Schulleitungen, Lehrkräfte und Familien weiter mit viel Unsicherheit im Gepäck digitale Bildungsangebote nutzen – oder es lieber gleich sein lassen. Sicher ist sicher.

Da im Schulbereich auch geschäftlich vieles sehr unsicher bleibt, sieht man auf der Learntec eine Vielzahl von Anbietern, die sich auf die Aus- und Weiterbildung spezialisieren oder die genau da andocken, wo das Schulsystem längst zahlreiche Lücken lässt. Digitale Nachhilfe-Anbieter konnten sich bereits recht erfolgreich in diese fügen.

Anbieter, die sich vor allem an Unternehmen richten, versuchen dort Arbeitsprozesse mittels Software zu vereinfachen, den Wissensaustausch im Unternehmen zu verbessern oder auch das Onboarding von Menschen aus dem Ausland zu ermöglichen. Die Fachvorträge zeigten, wie international mittlerweile eine "Workforce" aufgestellt sein kann und dass der Fachkräftemangel es unabdingbar macht, über das eigene kleine Büro hinaus zu denken.

Es geht längst nicht mehr um das Homeoffice vs. die Anwesenheit im Büro, sondern die zunehmende (auch virtuelle) Zusammenkunft stark heterogener Gruppen. So war dann auch das Sprachenlernen und der Umgang mit anderen Kulturen während der Learntec ein wichtiges Thema, was unter anderem am Stand des Sprachlernprogramms Babbel beleuchtet wurde.

Wer offene Büro- oder Hallen-Konzepte nicht mehr aushält, kann sich auch in so eine Entwicklung setzen. Framery hatte seine größeren und kleineren Arbeits-Boxen auf der Messe zu Werbezwecken verteilt.

(Bild: heise online/kbe)

Ein herausstechendes Projekt, das die heutige Grenzenlosigkeit des eigenen (unternehmerischen) Einflussgebiets zeigte, war etwa auch der Vortrag der thüringischen Firma Maxx Solar. In der dort angesiedelten Academy werden Menschen weltweit für einen Job in der Solarbranche geschult. Die Firma ist unter anderem in Südafrika sehr engagiert und hat eine virtuelle Lernumgebung gebaut, die sowohl mit einem VR-Headset als auch browserbasiert via PC oder Mobilgeräten betreten werden kann. Avatare aus Deutschland und Südafrika treffen sich dann dort und lernen exemplarisch, welche großen Energieverbraucher es in einem Haushalt geben kann. Für die Planung einer Solaranlage ist dies wichtig.

Maxx Solar hatte den forcierten Einbruch der Solarindustrie in Deutschland überstanden, seine Fühler dann aber auch ausgestreckt und neue Potenziale aufgetan. Das Unternehmen ist nun auch mit der Ausbildung oder Umschulung von Menschen beschäftigt – weltweit. Christine Leffler stellte die Arbeit der Maxx Solar Academy auf der VR/AR-Bühne vor.

(Bild: heise online/kbe)

Die Angebote der einzelnen Aussteller waren manchmal recht ähnlich auf der Learntec, manchmal hochspezialisiert. Bildungsmöglichkeiten wurden dort tatsächlich unter dem Motto "lebenslanges Lernen" von der schulischen zur informellen Bildung, der Ausbildung, Hochschule, beruflichen Weiterbildung bis zur Selbstoptimierung in der Freizeit vorgestellt.

Neben den digitalen Angeboten wurde auch der Arbeitsplatzgestaltung Aufmerksamkeit gewidmet, da fluide Arbeitsweisen und heterogene und sich immer wieder neu zusammenfindende Arbeitsgruppen auch leichter anpassbare Möbel und Räume benötigen.

Die Learntec mit ihrer Co-Messe New Work Evolution füllte die vier Hallen der Karlsruher Messe weitestgehend aus. 447 Aussteller waren vor Ort, es gab pro Halle mehrere Bühnen mit immer wieder wechselnden Vorträgen. Insgesamt konnte die Learntec laut Karlsruher Messe dieses Jahr 13.500 internationale Besucherinnen und Besucher anziehen – das Besucherwachstum betrug damit gegenüber dem Vorjahr (rund 11.000) mehr als 20 Prozent.

Sichtbar war auch, dass sich auf der Learntec eher jüngere Menschen tummeln. Ob es deshalb so viel Popcorn bei den Ausstellern gab? Vielleicht. Dieser Eindruck fügte sich zumindest auffallend gut zu einem anderen, der sich mir immer wieder aufdrängte und den ChatGPT mit neuen Trainingsdaten auch erst bei mir abschreiben muss, um das ebenfalls bald behaupten zu können:

Das frisch geploppte Popcorn auf der Learntec 2023 passte stilistisch zu den auffallend vielen anwesenden weißen Sneakern. Und wenn die weißen Sneaker für etwas stehen sollten, dann vielleicht das: Weiße Sneaker und angestaubte Ideen vertragen sich nicht gut.

Die Messe war 2023 gut besucht. Es kamen 13.500 Besucherinnen und Besucher.

(Bild: Messe Karlsruhe / Lars Behrendt)

Artikelserie "Schule digital II"

Wie sollte die Digitalisierung in unseren Schulen umgesetzt werden? Wie beeinflusst die Coronavirus-Pandemie das Geschehen? Was wurde im Schuljahr 2020/2021 erreicht - wie ging es 2021/2022 weiter? Das möchte unsere Artikelserie beleuchten.

(kbe)