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Was war. Was wird.

Seltsam ist sie, diese Welt, in der polnische Sänger als nicht kompatibel für den Westen gelten, IT-Firmen vom Sommertheater ins Psychodrama taumeln und Proselyten die EDV-Branche zu beherrschen scheinen, wundert sich Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Dziwny jest ten świat -- seltsam ist diese Welt: am vergangenen Samstag starb Czeslaw Niemen im Alter von 65 Jahren, einer der großen europäischen Sänger, ein König des Souls. Was bleibt uns anderes übrig, als sein Meisterwerk "bema pamięci żałobny rapsod" aufzulegen und trüben Gedanken nachzuhängen. "Nicht kompatibel für den Westen" war die "Ode to Venus", die Niemen und die Gruppa SBB für die CBS aufnahmen. Nun kommt Polen im Westen an und man wird es als Lichtblick feiern können. Wieviel der guten, der aufregenden Popmusik ist überhaupt noch kompatibel in Zeiten, in denen Katja Ebstein als Entdeckung gefeiert wird? Ist es an der Zeit, auf die Rückkehr der Spinner zu hoffen? Oder muss man das Gesülze mit und über Air ertragen, die nicht nur Lost in Translation sind? Oh Venus, Venus, Venus singt Niemen am Ende seiner Predigt für Marlene Dietrich, während wir uns mit Pepsi auf den Superbowl vorbereiten, zu dem Britney, Pink und Beyoncé mit Schwertern aufmarschieren werden, das alte Hammergirl von Apple vergessen machend.

*** Es ist eine seltsame Welt, in der ein Verband wie United Linux sich auflösen muss, weil sich die SCO Group weigert, aus dem Verband auszutreten. Die Firma, die mittlerweile öffentlich Gesetze zum Verbot von Linux fordert, während sie gleichzeitig von Linux in aller Welt Lizenzen kassieren möchte, wobei sie es versäumte ausreichende Beweise vor Gericht vorzulegen, diese Firma wird immer seltsamer. Aus dem Sommertheater ist ein Psychodrama geworden, bei dem sich niemand wundern wird, wenn statt edlem Shakespeare König Ubu auf den Spielplan kommt. Doch weil der größte Barde aller Zeiten unser Leitstern bleiben soll: bitte sehr, eine Hamlet-Maschine.

*** Es ist eine seltsame Welt, wird sich Jobsucher Florian Gerster jetzt sagen. Da schmeiße ich für eine absolut miserabel programmierte Web-Präsenz Millionen zum Fenster heraus und falle über vergleichsweise läppische 640.000 Euronen, die IBM ohne Ausschreibung dafür bekommt, die zugehörige IT zu warten. Im Vergleich zu früher ist eine Götterdämmerung auch nicht mehr das, was sie einmal war. Nehmen wir nur einen anderen Titanen des politischen Lebens, Otto Schily, der das Bundeskriminalamt in seiner Nähe haben möchte, obwohl das Amt gerade eine millionenschwere IT-Erneuerung hinter sich hat und ein hochmodernes Videokonferenzsystem sein Eigen nennt, das alle 16 Landeskriminalämter zusammenschalten kann. Die Nähe zur Macht ist gefragt und für einen Umzug ist zufälligerweise die Summe da, die für den bundesweiten Start des digitalen Polizeifunks nicht aufzutreiben ist.

*** Seltsame Welt, fürwahr: Der schnuffige Dienst, der sein Ohr am Puls der Zeit hat, dessen Sinne alle auf Empfang stehen, ist schon in der Hauptstadt angekommen, und beim Verfassungsschutz in Köln stehen die Zeichen auf Alarm: Findet die wahre Götterdämmerung womöglich in Berlin statt? Wir Menschen sind bekanntlich Mängelwesen, denen gewisse Sinne fehlen, etwa das richtige Schnüffeln und Verarbeiten großer Informationsmengen. Es ist vielleicht eine billige Pointe, zum kommenden 100. Geburtstag Arnold Gehlens den Soziologen mit seinem Vetter, dem Macher zusammenzuspannen, doch die Mischungen in einer seltsamen Welt können nicht seltsam genug sein. Es ist eine seltsame Welt, wo der Mensch den Menschen verrät: Dziwny jest ten świat/ gdzie jeszcze wciąż/ mieści się wiele zła/ i dziwne jest to/ że od tylu lat człowiekiem/ gardzi człowiek.

*** Es ist eine seltsame Welt, in der sich Artikel hier und da tummeln, in der sich Fakten und Fikten vermischen. Eine Welt, die in Davos im Jänner noch seltsamer ist als sonst: Politiker werden gelobt, wenn sie ihre Krawatten der Welthungerhilfe spenden und wenn sie auf Bill Gates treffen, ohne dass es Systemabstürze gibt. Dabei hat sich Bill Gates in dieser Woche nicht nur in Davos als wahrer Menschenfreund erwiesen, sondern auch 80 Meilen von Seattle entfernt für ein zweites Weihnachten gesorgt. Mike Rowe bekommt zur Entschädigung erlittener Unbill eine Xbox, eine neue Website, einen Flug mit seinen Eltern zur Technologieshow von Microsoft und die freie Ausbildung zum MSCE sowie alle Microsoft-Werkzeuge zur Programmierung neuer Websites. Ein sympathischer Zug in einer seltsamen Welt, in der es so schwierig ist, die Dinge ohne Emotionen zu sehen.

*** Emotionen sind eine seltsame Sache in einer seltsamen Welt voll seltsamer Menschen. Nehmen wir nur die Jubiläen, die seltsame Gefühle frei setzen, die man seit OS/2 selig nicht mehr zu kennen glaubte. Sind Betriebssysteme und Rechnerwelten nur zur Proselytenmacherei geeignet? Nun feiern aber die Schotten heute ihren Nationalfeiertag, und zwar an einem Geburtstag mit einem seltsamen Mahl, das Außenstehenden wie ein einziges Besäufnis mit abschließendem Gegröle erscheint. Auch die Wikipedianer begehen ihren höchsten Feiertag, den Magnus Manske Day mit dem Konsum von Drogen aller Art. Leise, still und heimlich schmuggel ich daher ein ungerades Jubiläum ein, was deshalb nicht so abwegig ist, weil in dieser Woche die universalen Roboter ihre wenig beachtete Premiere hatten. Und weil ungerade Daten bei Lichte betrachtet so herrlich trashig sind, feiern wir den Geburtstag von Tobe Hooper gleich mit, in der Hoffnung, dass die Website auch pünktlich geöffnet wird. Der große Regisseur des einzig richtigen, bahnbrechenden texanischen Kettensägenmassakers (nur für Erwachsene: der harte Link) muss sich derzeit nach der Schlingensief-Attacke weiterer Anmutungen erwehren und kann ein paar poltergeisternde Sätze gebrauchen. Leatherface forever!

Was wird.

"Piękny jest ten świat": Schön ist sie, diese Welt, sang Niemen am Ende seines Lebens. In diesem unseren Land (Helmut Kohl) wird die Welt schön werden, weil die Eliten anrücken. Deutschland. Das von morgen heißt ein Kongress, zu dem Edelgard Bulmahn den obligaten Berater und die Über-Monika von Google eingeladen hat, flankiert von einem Nobelpreisträger. Allen ist gemein, dass sie nicht in Deutschland leben wollen, was schon einmal eine gute Ausgangsbasis ist. Peitschen wir also Google mit den Elitessen. Wenigstens landen wir in Wackersdorf.

Gleich neben Bulmahn, in die "Hauptstadtrepräsentanz" lädt die Deutsche Telekom zu einem internationalen Kongress, der die seltsame Werbekampagne für das Breitband erklären soll, die seit einer Woche in der Tagespresse zu finden ist. "Deutschland goes Breitband" ist das Motto im gehaltvollen Denglisch. Wer geht mit? (Hal Faber) / (jk)