Eigener Weg

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Bei einer nicht mal halb so langhubigen Federung tauchen zeitgemäße amerikanische Straßenkreuzer beim Verzögern vorn tief ein – ein 2CV mit funktionierenden hinteren Bremsen aber bleibt selbst bei einer Vollbremsung waagerecht. Auch das ist eine segensreiche Wirkung der Fahrwerkskonstruktion. Während sich die rotatorischen Bremskräfte vorn an den Schwingen nach unten abstützen, ist es hinten genau anders herum. Heute sagt man „Anti Dive“ zu diesem aktiven Bremsnickausgleich. Dass das Auto übrigens trotz seiner weichen Federung nicht aufschaukeln konnte, wurde anders erreicht – wie, erklären wir später.

Anti Dive als Serienstandard

Wir begannen mit der Sicherheit, doch dachte man in dem 1937 gestarteten Projekt TPV (Toute Petite Voiture) zunächst viel eher an Frankreichs im europäischen Vergleich untertechnisierte Landwirtschaft (das ist sie im Vergleich mit der deutschen, deutlich stärker industrialisierten Argrarproduktion auch heute noch) und seine damaligen Kolonien. Damals hatten sie noch ein Vielfaches der Fläche Frankreichs, waren aber fast unerschlossen für normale Autos. Offenbar gab es in diesem Projekt keinerlei Denkverbote – und wenn doch, dann betrafen sie allenfalls überkommene Lösungen.

Bis heute ist der Aufwand, den man dazu betrieb, eigentlich völlig rätselhaft, denn ein Bruchteil des konstruktiven Aufwands hätte im Prinzip bereits völlig genügt, um die Anforderungen überzuerfüllen. Tatsächlich werden die meisten Kunden die letzten zehn Prozent Verbesserung gar nicht bewusst wahrgenommen haben, obwohl darin 90 Prozent der Arbeit steckte. Aber es könnte vielleicht erklären, warum das Auto trotz seiner unbestreitbaren Nachteile an anderen Stellen überhaupt so lange populär blieb.

Im Lastenheft stand ein Fahrwerk, das auch rauhesten Bedingungen gewachsen sein sollte. Daher die Überdimensionierung der erstaunlich wenig filigran scheinenden Radaufhängungen. Dass man damit dennoch nicht wie mit einem klassischen Geländewagen über Pisten und durch Löcher trampelte, erreichte man auf verschiedene Weise. Genial einfach, aber ganz anders, als man es bis dato je gesehen hat. Zunächst ist da eine Federung, die stark progressiv ausgelegt ist. Das bedeutet wenig Federkraft bei geringer Beladung und steil ansteigende Federraten bei wachsender Belastung. Der Komforteindruck ist somit immer gleichbleibend, während ein herkömmliches, stahlgefedertes Auto immer komfortabler wird, je mehr es zugeladen hat.

Pull-Rod-Federung als Pro Link®-Vorläufer

Erreicht haben das die Ingenieure durch eine Kniehebel-Anlenkung der Federn: An jeder Schwinge sitzt in Richtung Fahrzeugmitte ein schräg nach unten weisender Hebel. Dort endet eine Zugstrebe, die eine längs unter dem Wagenboden liegende Schraubenfeder zusammenzieht. Im Rennfahrzeugbau nennt man so etwas „pull-rod“ Anordnung, analog zur bekannteren „push-rod“-Federung und genau wie im Rennwagen sind die Zugstreben mit einem Feingewinde zur Fahrwerksjustierung versehen. Dort sind die Bauteile allerdings meist quer zur Fahrtrichtung angeordnet. Bei unbeladenem 2CV zeigt der Hebel Richtung Feder, Kniehebel und Zugstrebe bilden einen stumpfen Winkel zueinander, der Hebel zwischen Schwingendrehpunkt und Zugstrebe ist somit kurz und die Federkraft gering. Je höher die Last, desto weiter nähert sich der Winkel 90 Grad. Der Hebel zwischen Schwingendrehpunkt und Zugstrebe verlängert sich dadurch – die Federkraft erhöht sich.

Durchschlagen ist so fast ausgeschlossen, weil sich die Federrate gegen Ende des Federwegs quasi exponentiell multipliziert. Honda hat sich (erst) in den 80er-Jahren etwas ganz Ähnliches für seine Enduros ausgedacht (unvergessen die CR250R von 1981) und unter dem Marketingnamen „Pro Link®“ (das „pro“ steht für „progressive“) zurecht sehr erfolgreich vermarktet (und alle Wettbewerber haben es aus guten Gründen kopiert). Wer sich die Fourgonette-Ausführungen der 2CV mit ihrer achtbaren Zuladung von 400 Kilogramm genauer ansieht, stellt fest, dass hier nicht nur dickere Federn eingebaut wurden – ihre Progressivität an der Hinterachse ist zusätzlich aufs Äußerste gesteigert. Eine Fahrt in so einem Lieferwagen ist ein Genuss – auch ganz ohne Ladung.

Fortgesetzt wird diese Geschichte in mehreren Folgen und mit einem tieferen Einstieg in die Technik in den nächsten Tagen – trotz Ihres Votums für längliche Stoffe. Sonst würde sie uns zu lang. Hier gehts es zur nächsten Folge. (fpi)