Die Entdeckung der Langsamkeit

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Dass die Bonneville seit einigen Jahren wegen der Abgasvorschriften über eine Einspritzung verfügte, wusste ich, aber dennoch musste ich ganz genau Hingucken, um zu erkennen, dass die Benzinaufbereitung tatsächlich nicht mehr von einem Vergaser vorgenommen wurde. Das Teil sah täuschend echt nach einem Doppelvergaser aus! Da hat Triumph sich redlich Mühe gegeben, um die Nostalgiefans ruhig zu stellen.

Wirklich nur 68 PS?

Den ersten Gang eingelegt und es machte noch nicht einmal vernehmlich „Klong“! Im Gegenteil, das Getriebe schaltete sich flüssig und ohne Anstrengung. Erwartete man bei so einem Pseudo-Oldtimer irgendwie gar nicht. Dafür aber nur fünf Gänge. Naja, ist ja auch nicht viel Kraft zu verteilen, dachte ich. Aber dann gleich der nächste Aha-Effekt: Die Bonnie beschleunigte richtig flott. Okay, natürlich kein Vergleich zu den hyperpotenten Sportbikes, die den Spurt von 0 auf 100 in der halben Zeit schaffen, aber von den vollgetankt 230 kg Eigengewicht merkte man überhaupt nichts. Das sollten wirklich nur 68 PS sein? Hatte mich mein Gedächtnis im Stich gelassen oder hatte Triumph mittlerweile ein paar PS nachgelegt, von denen ich noch nichts wusste?

Ich gestehe, dass ich in der ersten Fahrpause direkt den Fahrzeugschein rauskramte. Nein, es waren immer noch 50 kW bei 7500/min. Gefühlt hätte ich auf einige Pferdestärken mehr getippt. So kann man sich auch als vermeintlich erfahrener Motorradjournalist noch irren. Es lag vielleicht auch an dem fülligen Drehmoment schon bei niedrigen Touren, der die Illusion von mehr Kraft erzeugte. Am schönsten war es, den 865-cm3-Motor im mittleren Drehzahlbereich einfach blubbern zu lassen. Das machte richtig Spaß!

Auch das Fahrwerk vertrug viel mehr als ich befürchtet hatte, dabei sahen die Telegabel mit den Faltenbälgen und die Stereofederbeine wirklich so aus, als wären sie vom Alteisenhändler aus den 1960er-Jahren übrig geblieben. Ich wagte sogar bezüglich des Fahrverhaltens das Wort Handlichkeit in den Mund zu nehmen. Gut, in ganz engen Kehren musste die Triumph doch etwas nachdrücklich in die Schräglage gebracht werden – irgendwo müssen die 230 kg ja geblieben sein –, aber das war weit entfernt von kraftaufwendig oder gar unwillig. Die vorher noch von mir als lächerlich schmal eingestuften Reifen – ein 100er vorne und ein 130er-Pneu hinten – erwiesen sich nun als dem Handling sehr förderlich. Die Bonnie liebte die Kurven der Eifellandstraßen geradezu. Nur dort, wo die Asphaltdecke mehr Narben aufwies als das Gesicht von Keith Richards, offenbarte die Triumph, dass ihre Federung etwas unterdämpft war.