In der Konzernzentrale gingen Blankoschecks für futuristischen Flügeltürer ein

Genf 1970: Debüt des Mercedes C-111 II

Mit Flügeltüren und Wankelmotor erntete der Mercedes C 111-II begeisterte Reaktionen auf dem Genfer Salon im März 1970. Schlechte Abgaswerte und die Ölkrise ließen aber den Traum von einer Serienproduktion platzen

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  • ssu
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Stuttgart/Genf, 10. März 2010 – Mit seinen Flügeltüren und einem Wankelmotor unter der Haube war der Mercedes-Benz C 111-II ein Publikumsmagnet auf dem Genfer Automobil-Salon im März 1970. Die Weiterentwicklung der im Vorjahr auf der IAA in Frankfurt gezeigten Studie C 111-I mit Dreischeiben-Wankelmotor trat in Genf mit einem bis zu 350 PS (257 kW) starken Vierscheiben-Drehkolbenmotor an.

300 km/h Spitze

Der Motor vom Typ DB M950 KE409 hat Kammervolumina von jeweils 600 Kubikzentimetern, er war – und blieb es bis heute – die höchste Evolutionsstufe der von den Schwaben entwickelten Dreh­kolben­maschinen. Der Motor gibt seine Kraft über ein Fünfganggetriebe an die Hinterräder ab, in 4,8 Sekunden beschleunigt der C 111-II aus dem Stand auf 100 km/h, seine Höchstgeschwindigkeit beträgt 300 km/h. Zu den Verbesserungen gegenüber dem C 111 der ersten Generation gehört die optimierte Aerodynamik: Der Luftwiderstandsbeiwert liegt bei einem von Mercedes heute als "seinerzeit extrem niedrig" eingestuften cW-Wert von 0,325. Zugleich waren auch die Sichtverhältnisse für den Fahrer verbessert worden. Mit der veränderten Karosserie und dem neuen Wankelmotor, der ein maximales Drehmoment von 392 Nm hat, sticht der C 111-II die damals verfügbaren Supersportwagen mit Straßenzulassung aus.

Wiederkehr des Flügeltürers

Abgesehen vom neuen Motor hat der im Farbton "Weißherbst" lackierte C 111-II auch eine veränderte Karosserie erhalten. So, wie er in Genf steht, ist der Wagen viel mehr als ein Versuchsträger für das von Felix Wankel entwickelte Antriebskonzept, auf das damals mehrere namhafte Hersteller setzen: Mit dem seit 1967 gebauten Ro 80 hat NSU bereits eine familientaugliche Limousine im Programm, deren zukunftsweisenes Design ihren Besitzern indes häufig mehr Freude macht als der störanfällige Zweischeiben-Wankelmotor des Neckarsulmers. Ebenfalls 1967 erscheint mit dem Mazda Cosmo ein Sportwagen mit Zweischeiben-Wankel. Dass es ausgerechnet die Japaner sein werden, die mit dem RX-8 bis heute einen Wankel-Pkw anbieten, ahnt 1970 wohl keiner: Seinerzeit ist die jährliche Abgasuntersuchung beim Auto ebenso unbekannt wie Warnhinweise auf Zigarettenschachteln.

Genf 1970: Debüt des Mercedes C-111 II

Flügeltürer von 1954 als Vorbild

Anders als beim ersten Pkw-Diesel kann die damalige Daimler-Benz AG also keine Vorreiterrolle mehr beanspruchen, wenn es um Serien-Pkw mit Wankelmotor geht, als das Projekt "C 111" im Dezember 1967 aus der Taufe gehoben wird. Und wenn die schwäbischen Ingenieure schon nicht die ersten sind, wollen sie wenigstens die besten sein: Im Lastenheft steht nicht weniger als ein vollwertiger Supersportwagen entwickelt, der das Zeug dazu hätte, die vom legendären 300 SL der Baureihe W 198 von 1954 mit Flügeltüren und Benzin-Direkteinspritzung hinterlassene Lücke zu füllen. Mehrere Details des gerade einmal 1,12 Meter flachen Sportcoupés verweisen auf die Sportwagen-Tradition von Mercedes, allem voran die an den Gullwing erinnernden Flügeltüren. Im Gegensatz zum 300 SL mit seinem Gitterrohrrahmen mit Stahl- und Aluminiumhaut hat der C 111 allerdings eine Karosserie aus glasfaserverstärktem Kunststoff, die mit der stählernen Bodengruppe verklebt ist.

Anzahlungen und Blankoschecks

Drei Jahre nach dem Start der Entwicklung registriert Mercedes in Genf begeisterte Reaktionen der Besucher auf dem Automobilsalon. Ungeachtet dessen, dass das Stuttgarter Unternehmen gar keinen möglichen Preis für den neuen Flügeltürer nennt, gehen die Bestellungen ein – teilweise schon mit Anzahlung oder Blankoscheck.

Geplatzter Traum von einer Serienproduktion

Zu einer Serienproduktion entschließt sich Mercedes-Benz dennoch nicht: "Der Wankel-Motor hatte noch nicht die Reife erreicht, dass man ihn hätte nach unseren Maßstäben in Kundenhand geben können", erinnert sich im Jahr 2000 rückblickend Dr. Hans Liebold, verantwortlich für die Entwicklung des C 111 von der ersten Wankel-Studie bis hin zu den späteren Rekordfahrzeugen mit Hubkolbenmotoren. Außerdem sprechen die strenger werdenden Abgasvorschriften in den USA gegen den Einsatz des Drehkolbenmotors, auch wenn der laut zeitgenössichen Tests mit 20 Liter auf 100 Kilometer einen zu dieser Zeit klassenüblichen Verbrauch hat. Dies erklärt freilich nicht, warum die Stuttgarter ihrer Weißherbst-Flunder keinen potenten Benziner mit sechs oder gar acht Zylindern einpflanzen, wie sie Mercedes für die damalige S-Klasse oder den 1971 vorgestellten Roadster-Longseller R 107 längst produziert. Spätestens die Ölkrise mit ihren Fahrverboten an Sonntagen beendet 1973 endgültig alle hoffnungsvollen Spekulationen über die Markteinführung des C 111. Erst vier Jahrzehnte nach seinem strahlenden Auftritt in Genf wird mit dem SLS AMG wieder ein Mercedes-Flügeltürer in Serie gehen.

Genf 1970: Debüt des Mercedes C-111 II

Enttäuschender Wirkungsgrad

Konstruktive Probleme des Wankel-Prinzips, vor allem in der Motormechanik, bekommt die Entwicklungsabteilung mit dem C 111-II "weitgehend in den Griff", schreibt Mercedes-Benz rückblickend. Doch der relativ schlechte Wirkungsgrad des Wankelmotors durch die lang gestreckten, veränderlichen Brennräume des Drehkolbenprinzips lasse sich nicht mit technischen Modifikationen ausräumen: Dieses Problem sei schlicht konstruktionsbedingt, weil der Kraftstoff im Wankelmotor im Raum zwischen einer konvexen Seite des sich drehenden Kolbens und der konkaven Wand des Kolbengehäuses verbrenne statt in der zylindrischen Brennkammer eines Hubkolbenmotors. Die veränderlichen, nicht kompakten Brennräume des Wankels sorgten für eine schlechtere thermodynamische Ausnutzung des gezündeten Kraftstoffs im Vergleich zum Hubkolbenmotor. Das Ergebnis sei ein höherer Verbrauch bei gleicher Leistung.

Lobendes Presseecho

Dem stehen als Vorteile eine hohe Laufruhe des Aggregats auch bei sehr sportlicher Fahrweise sowie die kompakte Bauweise gegenüber. Ron Wakefield schreibt in der Fachzeitschrift Road & Track im November 1969 denn auch über eine Fahrt in einem C 111: "During my first ride I was immediately struck by the quietness of the power unit inside the car. It was far quieter than, say, a 12-cyl [Lamborghini] Miura."

Zukunftsweisende Formgebung

Den "hohen Anspruch an die eigene Arbeit" macht Mercedes-Benz heute verantwortlich dafür, dass der C 111-II trotz offizieller Einstufung als Studie und Forschungsfahrzeug solche Begehrlichkeiten beim Publikum weckte. Denn bei der Entwicklung wird der Sportwagen nie als bloßer Versuchsträger behandelt. Vielmehr widmen sich die Ingenieure über die innovativen Details von Antrieb und Karosserie hinaus der Fahrzeugabstimmung als ganzheitliches Konzept – bis hin zur Gestaltung des Innenraums, der Geräuschdämpfung und dem optimierten Fahrwerk, erläutert Mercedes. Auf dem Genfer Salon 2010 hat die Studie namens F 800 Style die Aufgabe, "Hinweise auf die Formgebung der zukünftigen Fahrzeug-Generationen" von Mercedes zu geben, wie es Konzernchef Dieter Zetsche formuliert.

Genf 1970: Debüt des Mercedes C-111 II

Anzeichen für eine Wankel-Renaissance

Auch wenn NSU infolge der Übernahme durch Audi seine Wankel-Modelle einstellt und es ein später konzipierter Prototyp mit Kreiskolbenmotor hinter einem Grill mit vier Ringen nicht in die Serie schafft, erscheint das Antriebskonzept so lebendig wie seit Jahren nicht mehr: Mazda, das dem Wankel bis heute die Treue gehalten hat, experimentiert derzeit mit der Verbrennung von Wasserstoff in einem umgerüsteten RX-8 in Norwegen – und betrieben mit Knallgas scheinen Wankel- Vorteile gegenüber dem Ottomotoren aufzuweisen. Auch in seriellen Hybridfahrzeugen könnte bald ab und an ein Wankel surren: die Idee, einen kleinen und dennoch laufruhigen Drehkolbenmotor als Antrieb in einem Range Extender zu verwenden, hat Audi im A1 e-tron umgesetzt. Die Studie ist noch bis zum 14. März auf dem Genfer Salon zu sehen – wohlgemerkt im Jahr 2010.