Klartext: Alterskradismus

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Hier erlebt der alternde Mensch den einzigen Vorteil fortgeschrittenen Lebensalters: die Anhäufung von Erfahrung. Die kommt erst im Alter. Weisheit folgt daraus frühestens mit der Milde, die Implikationen der Erfahrung zu akzeptieren. Ein junger Mensch will nicht hören, dass Opa weiß, wie schnell verderblich seine aktuellen Werte sind. Noch weniger will er hören, dass das Verständnis mit dem Alter komme. Aber es stimmt. Schön ausformuliert hat es wie immer Goethe, im zweiten Teil des Faust, als sich Mephistopheles mit dem Baccalaureus unterhält:

Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt,
Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,
Sie aber hinterdrein nach Jahren
Das alles derb an eigner Haut erfahren,
Dann dünkeln sie, es käm‘ aus eignem Schopf;
Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.

Zur Weisheit fällt mir die dritte Altersanekdote ein. Wir unterhielten uns über die schwindenden Leserzahlen für Motorradmagazine. Er formulierte den schönen Gedanken, dass die (ja messbar alternde) Szene mit dem Alter auch weiser werde, mindestens in der statistischen Tendenz. Der Leser weiß dann schon, wie er vorgeht bei der Suche nach neuen Reifen oder Fahrzeugen. Er rührt die Daten aus der Technik, Vergleichstests und Einzelmeinungen aus Foren in seine Suppe der eigenen Erfahrungen, Gewichtungen und erhält einen guten Fühler auf die konkrete Eignung auf das eigene Profil. Klar tun sich Verlage bei solchen Anpassungen an das Informationszeitalter schwer, daraus ein Geschäftsmodell zu schnitzen. Selbst die Besinnung, dass wir es in der Leserschaft vorwiegend mit alten Krad-Hasen zu tun haben, nutzt da wenig.

Wurschtigkeit

Beim Altern hilft die zweite Tugend, die sich aus der Anhäufung von Erfahrung ergibt: „Wurschtigkeit“, wie sie meine Lehrer damals nannten. Je älter man wird, umso egaler werden einem die Details, die einen dereinst entflammten. Politik. Automarke. Was deroderder gesagt hat. Pffft. Als junger Mensch konnte ich mich fürchterlich über die pure Existenz der Marke Peugeot aufregen. Heute habe ich fast vergessen, dass es sie gibt. Das ist, glaube ich, der große Trost des Alters.

Es liegt in der Natur der Jugend, dass Sie kein Wort dieses Textes glauben, solange Sie nicht zumindest ein Vierteljahrhundert voll gemacht haben. Für diesen Teil der Leserschaft schließen wir hier wieder mit Goethe:

Ihr bleibt bei meinem Worte kalt,
Euch guten Kindern laß ich‘s gehen;
Bedenkt: der Teufel, der ist alt,
So werdet alt, ihn zu verstehen!

Denn (zum letzten Trost dieses Textes) die Statistik zeigt uns ja auch, dass die meisten Menschen durchaus alt auf dem Kraftrad werden können. (cgl)