Die unerträgliche Schwere des Scheins

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Probleme im Gelände sind die Traktionskontrolle, die an vielen Stellen bei Vollgas noch etwa 15 km/h erlaubt, bei denen das Croissant schon bedenklich taumeln kann. Deshalb verbaut Honda einen prominenten Abschaltknopf auf der Verkleidung neben dem Anschalter für die Flutlichtanlage. Das ABS dagegen kann man gar nicht abschalten. Auf Schotter über festem Lehm muss eine Bremsung daher frühzeitig geplant werden. Doch das würde ich noch nicht einmal als Kritik ankreiden, denn auf so einem Boden muss ohne ABS in den Blockierbereich gebremst werden, um die Mehrwirkung zu erzielen, und das will meiner Erfahrung nach null Prozent der Reiseenduro-Käufer. Sie schalten wo möglich das ABS ab, um dann noch vorsichtig-früher zu bremsen.

Das Ende

Nein, die wirklich interessante Erfahrung folgt am Ende des Tages. Beide 250er-Fahrer: fit und ausgelassen. Croissant-Fahrer: platt und ausgelaugt. Ich dachte ja, dass sich der Kollege damals auf der Tiger bisserl angestellt hat. Er kam an unseren Wartepunkt, stieg ab und legte sich flach hin, während wir Leichtmotorradfahrer lachend um die alten Militärforts durchs Geröll pflügten. Aber Schweineeimer fahren ist wirklich schweineanstrengendend.

In Motorradtests steht immer „wirft ihre Pfunde von sich in Fahrt“, diese dümmste aller Auswürfe aus der Phrasendreschmaschine, und vermutlich glauben das einige. In Wahrheit jedoch muss der Lenker in jeder Kurve das Gewicht des hoch aufragenden Schweineeimers von einer Seite auf die andere umlegen. Nach zwei Tagen hatte ich Muskelkater im Latissimus und eine Erklärung für das Verhalten von Reiseenduro-Fahrern.

Denn die fahren gern so wie Rennfahrer: geradeaus durch ein S. Nun sind Rennfahrer aber auf der Suche nach Sekundenbruchteilen und kürzen deshalb ab. Der Reiseendurist dagegen gelangt wahrscheinlich schnell ans Ende seiner Kräfte und fährt dort geradeaus, wo andere Motorradfahrer das Schräglagenschwingen genießen.

Die Recherche befindet also das, was man sich schon vorher hätte denken können: Reiseenduros verkaufen sich, weil es die Kunden nicht besser wissen. Sie kaufen einen Traum, einen Trend, eine Mode. Dagegen möchte ich jetzt auch nicht wettern, denn des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und wenn das Himmelreich die Hölle wird, dann zumindest eine selbst gewählte. Vor diesem Hintergrund stellt sich nur noch die Frage, wie sich der schwerste Schweineeimer im Konkurrenzfeld der Eimer schlägt, wie gut das Croissant einem letztendlich tut.

Und dieses Fazit fällt mir leicht: Das Croissant ist fett, aber nett. Dass die Honda schwerer ist als der Topseller BMW, macht in der Praxis viel weniger Unterschied, als ich dachte. Denn schon die BMW GS Adventure ist so schwer, dass sie im Gelände nur mit einer Expedition von mindestens zwei weiteren Männern fahren sollte. Und dann kann es genausogut das Croissant sein. Es hat außer seiner bemerkenswerten Balance den weiteren Vorteil der DCT-Automatik (wiegt 10 kg). Die kommt aus dem Gelände, aus Hondas ATV-Vierradlern, und sorgt auf egal wie vielen Rädern automatisch dafür, dass der Motor nicht ausgeht und immer Drehmoment da ist, wenn du am Griff drehst. Die Honda ist dein fetter Kumpel mit leichtem Trinkproblem (fast 8 Liter auf 100 km beim Vogesenbummeln). Sie ist viel besser, als sie aussieht.

Aber wer wirklich Spaß haben will, sowohl auf kleinen Straßen als auch auf Single Trails in den Vogesen, der tut das, was Auskenner tun: eine Yamaha WR 250 R günstig gebraucht kaufen, womöglich aus Frankreich. Die kann alles, was der Reiseendurist tut. Sie leistet die 30 PS, die er maximal benutzt, wenn auch weniger aus Drehmoment und mehr aus Drehzahl. Sie fährt die 130 km/h, die er maximal fahren möchte. Sie fährt die 100 km zwischen den Stopps, die der Fahrer möchte. Sie ist robust und wartungsfreundlich. Nur eins kann sie nicht besser: dich müde machen. (cgl)