Klartext: Electric EICMA

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Doch das sind Exoten, die den Gang der Szene kaum beeinflussen. Das E-Krad an sich muss aber kein Exot bleiben. BMW arbeitet zum Beispiel an einem elektrischen Roadster im Stil ihrer S 1000 R. Einen Prototypen konnten wir auf der Teststrecke Miramas sehen, halboffiziell gezeigt (“Liehk“ sagt der Neudeutsche wohl dazu). Wenn der ohne CCS-Stecker käme, würde uns das alle sehr wundern. KTM fährt ihrem Pierer zum Trotz elektrische Prototypen in verschiedenen Chassis-Varianten spazieren. Überhaupt: Ein elektrischer Antrieb ist deutlich einfacher zu bauen und um ein Vielfaches einfacher zu homologieren als ein Benzinantrieb. Wenn sich so ein Markt bildet, wird es dort schnell ordentlich Konkurrenz geben.

Ist Schalten schön?

Wo Harley die Optik in Szene setzt, versucht sich Kymco mit ihrem elektrischen Supersportmotorrad SuperNEX am Getriebe. Fast alle E-Antriebe fahren mit fixem Einganggetriebe. Die SuperNEX erhält ein sequenzielles Sechsgang-Schaltgetriebe zu einem E-Motor mit kleinerem nutzbaren Drehzahlband. Der dabei entstehende typische Schalt-Sound wird per Akustikkoppler lauter gemacht, was sie wegen mir für die Serie gern weglassen können. Wenn ich nutzlosen Ballast am Motorrad will, gehe ich zu Touratech, denn da kann ich es mir aussuchen.

Ach, apropos Ballast: In einer Russland-USA-Kooperation taten sich Ural und Zero zusammen, um ein elektrisch angetriebenes Ural-Gespann als Prototypen zu bauen. Der Gedanke: Ins Beiboot passt dann ein Teil der Akkus. Mit diesem Gefährt will Ural jetzt mal touren und Kunden fahren lassen, ob eine relevante Anzahl so etwas haben wollen könnte.

Zwergenaufstand

Den zweiten Teil von Herrn Pierers Aussage kann man bei den kleinen Motorrädern seit Jahren überall sehen. Es stapelten sich auf der EICMA Berge elektrischer Leichtkrafträder, Kleinkrafträder, E-Bikes und Ersätze für 50-ccm-Einzylinderantriebe. Mit Garelli beleben chinesische Investoren eine ganze Marke neu, mit einem komplett elektrischen Portfolio kleiner Zweiräder. KTM stellt mit der KTM SX-E und der Husqvarna EE5 einen Kinder-Crosser in zwei Marken-Designs vor, während es so etwas bei GasGas mit den „eKids“-Modellen schon länger gibt. GasGas zeigte dann auch ein Update ihres elektrischen Trial-Motorrads TXe und die straßenzugelassene 73 kg leichte eContact, mit der man leise seine nähere Umgebung mit oder ohne Asphalt erforschen kann.

Und so ging es weiter. Der CSC City Slicker ist eine elektrische Interpretation der wunderbaren Honda MSX 125. US-Kunden können sie für rund 2000 Dollar vorbestellen. Die Otto Bikes MCR II aus Taiwan spielt dasselbe Thema in minimal größer und schneller. Die Super SOCO TC löst chinesische Einzylinder-Tuckerer elektrisch ab auf dem Gebiet „mit Fransenjäckchen zum Schrebergarten fahren“. Und so weiter und so fort.

The East is Red

Nach all diesen erfreulichen Entwicklungen Ernüchterung bei Piaggio. Seit Jahren warten wir auf die Vespa Elettrica. Jetzt kommt sie endlich, und das 45-km/h-Röllerchen soll 6390 Euro kosten. Ja, Premium und so, aber Hallo? Piaggio? Habt ihr euch mal am Markt umgesehen? Der fleißige Chinese bietet Besseres zum halben Preis an und gar nicht mal so viel Schlechteres zu einem Drittel, das Meiste mit Tauschbatterien zum in der Wohnung laden, denn wir sprechen ja von Stadtfahrzeugen.

Statt solcher üblich gewordener Features will Vespa eine Hybridversion anbieten, die wahrscheinlich wieder Jahre dauert, was uns aber egal sein kann, weil für den Rollerbereich keine Sau zwei Motoren braucht und das System sicher noch mal 1000 Euro extra kostet. Und hier zeigt sich eine Kehrseite: Die chinesische Regierung hat mit Gewalt dafür gesorgt, dass ihre Bevölkerung elektrische Kleinfahrzeuge fährt statt die Zweitakter vorher. Obwohl es noch holpert, wird diese Serien-Kompetenz bald nicht nur Piaggio beklagen. Denn bleiben wir einmal realistisch: Ein brauchbares Elektro-Krad, das nicht das stramme Doppelte eines Benziners vergleichbarer Größe kostet, wird nicht aus Europa kommen, sondern zuerst aus China. (cgl)