Es war nicht alles schlecht damals

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Nach der Präsentation dieses Nineties-Revivals war klar, dass die VFR 800 längere Teststrecken braucht als die 170 km der Präsentation. Gerade war ich mit dem Kollegen Münchinger im Schwarzwald, ein V4-Duett fahren: er Aprilia Tuono V4R, ich Honda VFR 800 F. An diesem Nachmittag mit zumindest der doppelten Fahrstrecke der Präsentation tat sich die VFR wieder mit allen ihren Vorzügen hervor: Der Motor klingt toll, und zwar hauptsächlich für den Fahrer, weil das Knurren aus dem Ansaugtrakt unterm Tank zum Helm aufsteigt. Die Leistung in Relation zum Gewicht wirkt ausreichend, weil man stets mit senkrechter Drehzahlnadel im fünfstelligen Bereich fährt, also über die meiste Zeit die meisten Pferdchen versammelt. Außerdem: 3,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h und 242 km/h Topspeed. Langsam ist auch anders. Der V4 kann aber genauso die Ruhe selbst werden, zum Beispiel mit leise bassigem wrupp-wrupp untertourig aus Kehren drücken oder durch Ortschaften brummeln.

Es war fast alles gut damals

Die Ergonomie ist der Hauptgrund dafür, wie einfach sich die VFR fährt. Sie vermittelt Sicherheit, selbst wenn die Räder einmal rutschen. Die Bremse beißt tadellos. Hondas scheußliches Kombibremssystem CBS ist endlich Geschichte. Das Fahrwerk mit konventioneller Telegabel funktioniert so gut, dass ich die modernsten semiaktiven Dämpfer nie vermisst habe und nur selten über wechselnde Buckel einen Vorteil für sie sehen konnte. Der Sitzkomfort ist ausgezeichnet, auch hier zum großen Teil wegen der Ergonomie. Tadeln würde ich nur den Verbrauch, der mit der hohen benutzten Drehzahl entsteht, und das hohe Gewicht von 245 kg mit vollem 21,5-Liter-Tank. Aber irgendwie kann ich beides nicht so schlimm finden, solange der Rest so gut tut.

Ich mag sogar die schlichte Optik, die auf den ersten Bildern etwas schmucklos wirkte. Aber jetzt finde ich, dass ebendiese schlichte Optik besser altert als die Mode gewordenen Daimleresquen Sicken in einer Anzahl, dass das Fahrzeug ausschaut wie zerknüllt und wieder langgezogen. Die Einarmschwinge bleibt ohnehin zeitlos schön. Aus der 20XXer-Teilekiste stammen eine eher grob agierende Traktionskontrolle, Voll-LED-Licht, automatische Blinkerrückstellung und das "na, endlich!" der Drehmomentabgabe.

Seit dem Modelljahr 2015 verkauft Honda die VFR auch in perlmuttweiß, das dem Krad meiner Meinung nach am besten steht. Eine VFR sollte sowieso rot oder weiß sein. Deshalb gab es die Option, unseren Dauertest statt mit einer roten Serienmaschine mit einer der weißen Vorserien-Maschinen zu machen. Die Vorserie baut Honda identisch mit der eigentlichen Serie, nur gelangen diese Maschinen aus verschiedenen Gründen nach ihrem Einsatz im Pressefuhrpark nicht in den Verkauf. Das hat für uns den Vorteil, dass wir weder zeitlich noch räumlich Rücksicht nehmen müssen auf einen Händler, der die VFR danach gebraucht verkaufen will. Wir können also so viele Kilometer auf den Tacho laden, wie wir interessant finden. Und ich denke, diese Zeitreise in die Vielschnellfahrerei der Neunziger wird eins der Highlights von 2015. (cgl)