Fahr-Zeuge

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MV gehört zu den wenigen Marken, die einen wirklich passenden Claim auf ihre Anzeigen schreiben: "Motorcycle Art". Ja. Mehr braucht man nicht schreiben, wenn man ein von Massimo Tamburini oder seinem Zögling Adrian Morton gezeichnetes italienisches Superbike abbilden kann. Die F4 vermittelte stets den Eindruck, nicht einem schnöden Zusammensetzungsprozess entsprungen zu sein. Nein, sie fühlte sich an, als sei sie aus einem riesigen Quader geheimer MV-Materie herausgeschnitzt worden, von Hand. Das war umso erstaunlicher, als einige ihrer Teile eher labbrig waren, allen voran der Seitenständer. Aber der, wie wir ja an der Buell sahen, gehört sowieso nur so halb zum Motorrad. Wozu ein Seitenständer? Es soll jemand den Fahrer empfangend in der Boxengasse stehen und die Maschine festhalten, einen SBK-Ständer unterschieben, fertig.

Kernige Art

Genauso fuhr sie auch. Zwei unterarmdicke Marzocchi-Dämpfer führten das Vorderrad so am Boden entlang, als würde es magnetisch dort festgehalten. Es war nicht weich. Es war nicht hart. Es war richtig. Ein unmodisch hochgezogenes Windschild bot echten Windschutz. Road Racer bauen bis heute höhere Windschutzscheiben an ihre Rennmaschinen, damit sie bei den Windschattenduellen der NW200 oder dem langen, schnellen Bergstück der IOMTT besser performen. Die F4 brachte es von sich aus mit, und zwar so, dass es schön aussah. Die Krönung jedoch war ihr Motor. Er knurrte in einer so kernigen Art, dass es mich aufs Herzlichste an alte Ferrari-Rennmotoren erinnerte. Als mir später Kollege Toby erzählte, dass Ferrari tatsächlich mit im Spiel war bei der Entwicklung dieses stimmgewaltigsten aller Reihenvierzylinder, wurde mir unerwartet warm an der Stelle, an der diese kleine Ticktack-Maschine mein Versorgungsmittel pumpt.

Dieses Motorrad war ein kleines Abbild der Firma, inklusive barocker, bizarrer Finanzierungsstrukturen, und so landete es irgendwann im Besitz des Verlags, der es neben die Buell ins Foyer stellte. Jeden Arbeitstag musste ich daran vorbeigehen, und fast jeden Arbeitstag tätschelte ich sie zumindest im Geiste, denn sie war so ein braves Rennpferd gewesen, das so eine Standrente nicht verdient hatte. Manchmal, wenn ich mich unbeobachtet glaubte, setzte ich mich ein paar Momente drauf – schwer zu sagen, warum, denn das machte eigentlich am traurigsten. Ich kannte ihr Potenzial und musste es brachliegen sehen. Doch in diesem Fall erschien ein Retter.