Klartext: Leicht gemacht

Man kann ein Fahrzeug nach Hochglanzmagazin-Anmachfaktor kaufen. Das macht das Herz glücklich. Oder man kann eines kaufen, dessen Fahrergonomie so zugänglich ist, dass es seinem Fahrer bisher ungeahnte Dinge beibringt. Das macht die Seele glücklich.

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Von
  • Clemens Gleich
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Diesen Tipp gebe ich immer wieder: Man sollte stets darauf achten, was Fahrzeugtester selber kaufen, von ihrem eigenen Geld, still und leise. Tester haben den großen Vorteil gegenüber vielen anderen Kunden, dass sie aus ihrem Alltag schon so viel kennen. Das hilft beim Einordnen, das spart Zeit. Ein Käufer kann selten alle Fahrzeuge des in Frage kommenden Segments im Vergleich fahren, er trifft normalerweise eine Vorauswahl, und dort fallen dann wirkliche Perlen durchs Raster. Wer nie einen BMW 320d Touring gefahren ist, wird den Mehrpreis nicht verstehen und einen praktischen Skoda-Kombi kaufen. Und umgekehrt wird niemand mit BMW-Fixierung auch nur in Betracht ziehen, dass vielleicht der Skoda ihn im wirklichen Leben viel glücklicher machen könnte.

Am stärksten tritt der Perlenaussortiereffekt bei Motorrädern auf, denn dort ist die emotionale Vorbelegung hoch und die Fahrphysik komplex. Die Selbstwahrnehmung des typischen Motorradfahrers ist die des weltbesten Rennfahrers, dessen verdient millionenschwerer Werksvertrag nur an dieser Kombination unfairer Zufälle gescheitert ist, die sich "Leben" nennt. Deshalb braucht er eine Ducati 1199 Panigale oder BMWs Superbike S 1000 RR, am besten gleich als HP4. 200 PS! Alle Assistenzakronyme vorhanden! Oder eine Triumph Tiger Explorer! Oder eine BMW R 1200 GS, am besten als "Adventure"! Damit fährt er mental durch Venezuela, selbst wenn es real nur bis ins Sauerland langt. All das sind gute Maschinen. Es sind jedoch selten die besten Motorräder für ihre jeweiligen Käufer.

Ich war schon auf vielen Fahrtrainings mit dem Veranstalter oder als Berichterstatter dabei, und in diesen eher passiven Rollen beobachtet es sich gut. Ein Umstand fällt eigentlich jedes Mal auf: Die meisten Teilnehmer fahren ein für sie sehr suboptimales Krad. Da die Motorik der Einspur-Fortbewegung so knifflig ist, kommt es beim Durchschnittsfahrer vor allen anderen Punkten auf Ergonomie an. Rennfahrerin und Instruktorin Nina Prinz sagt es immer so: "Nur, wenn du dich gut fühlst, fährst du auch gut." Mein persönlicher Prüfstein ist die in dieser Hinsicht grandiose Triumph Street Triple, das kleine Naked Bike mit dem 675-ccm-Dreizylinder. Weil nämlich nüchtern betrachtet die meisten von uns keine Weltklasse-Rennfahrer sind, macht diese Maschine jeden Normalfahrer auf Anhieb sicht- wie messbar schneller und sicherer. Auf der Streety im Mittelgebirge fällt sehr kontrastreich auf, wie schwer sich die Anderen im Vergleich tun. Ich wollte eine kaufen. Wenn ich das getan hätte, wäre mir eine weitere Perle komplett durchs Raster gefallen: KTMs Duke 690 der vierten Generation, dieses hässliche Entlein.

Die wollte ich eigentlich erst gar nicht fahren, denn ich liebte die eigenwillige, fremdartige dritte Generation: eine Weltraumziege, die eigentlich nur am Anschlag funktionierte und ein vorsichtiges Herantasten an diesen Anschlag nicht vorsah. Man musste sich auf sie einlassen, sie wie eine altmodische Supermoto fahren, mit den Eiern ganz vorne auf dem Lenkkopflager und etwas lebensverneinendem Urvertrauen im Herzen, dann belohnte sie mit unglaublichem Flow. So viel Zeit nahmen sich aber nur Wenige, und deshalb baute KTM in der vierten Generation ergonomisch ein Naked Bike daraus. Das war für mich Verrat, das wollte ich weder sehen noch fahren. Ich tat es aus reinem Pflichtgefühl schließlich doch im Rahmen einer Presseveranstaltung: Bildungslücke schließen. Nach der ersten Kurve hatte ich KTM verziehen, nach der zweiten hatte ich Spaß, und als ich tiefenentspannt durch eine Rotte Supermoto-Fahrer mit GoPro-Behängung und Papageienstramplern pflügte, hatte ich die Kaufentscheidung getroffen. Der Rest danach war nur noch die formale Abwicklung dieser Entscheidung.