Klartext: Navis vor dem Jüngsten Gericht

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Wie beim klassischen Kriminalfall hilft uns die Frage nach dem Geld vielleicht am ehesten weiter: Wo ist die Kohle? Dass Google Karten-Knowhow für Autohersteller teuer anbietet, wissen wir. Aber warum gibt es nicht längst Konkurrenz von den Autoherstellern? Ich vermute, dass der Autokunde anders ist als der Smartphone-Kunde. Er bezahlt zum Beispiel weniger gern Verbindungsgebühren dafür, dem Anbieter Daten liefern zu dürfen. Diese Kosten trägt daher zum größten Teil der Autohersteller, wie wir es in neuen Autos sehen.

Das tut er daher üblicherweise über drei bis fünf Jahre. Danach die Sintflut oder das Vergessen oder ein Verbindungskostenplan, den keiner kauft. Dagegen fährt in jedem rostigen Citroën Saxo täglich die automatisierte Google-Außenstelle mit. Ich wüsste jetzt ad hoc auch nicht, wie ich dieser dergestalt bevorteilten Konkurrenz etwas Besseres gegenüberstellen könnte. Wahrscheinlich würde ich mich meinen Kunden zuliebe mit dem Feind verbrüdern.

Enemy mine

Eben diesen Schritt scheuen die Autohersteller. BMW geht sogar so weit, dass sie Android Auto ums Verrecken nicht anbieten. Selbst das neue OS7 unterstützt wieder nur Apple CarPlay. Wer nachfragt, wird seit Jahren vertröstet auf: „Das kommt bald!“ Mittlerweile scheint mir jedoch recht klar, dass irgendjemand Wichtiges bei BMW schlicht kein Android Auto haben will, weil er halt Google hasst – verständlich rein menschlich, ökonomisch allerdings ein Schuss in den eigenen Fuß: Android verwenden weltweit zwischen 80 und 90 Prozent der Smartphone-Besitzer.

Wenn die Aktionäre der BMW AG verstünden, was hier vor sich geht, sie liefen längst Sturm. Die Ingenieure wissen, was hier vor sich geht, deshalb vermute ich, sie haben den Code für Android Auto auf BMW-Mittelkonsolen längst fertig. Sobald also der „ich-hasse-Google“-Typ nach BMWs internem Manager-Rotationsschema wegrotiert wird, dauert es wahrscheinlich nur noch Tage, bis Android Auto auf allen neuen BMW-Mittelkonsolen ausgerollt wird. Zwischenzeitlich kaufen sich Kunden einen Benz statt den BMW, den sie eigentlich wollten, und zwar nur, weil sie kein neues Navi lernen wollen.

Da die eigenen Navis aus München, Stuttgart und Ingolstadt zumindest in der Autowelt vorne mitspielen, wollen ihre Verantwortlichen diese Kompetenz nicht abgeben. Auch das verständlich. Doch hier könnte sich in der nächsten Zeit das zeigen, was Jesus laut Matthäus-Evangelium für den Jüngsten Tag prophezeite: „Aber viele, die die Ersten sind, werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein.“ Volvos Navi gehörte – Designpreis hin oder her – definitiv zu den Letzten. Die Einleitung dieses Textes? Es war ein Volvo-Navi, jenes was Martin schon im V90 (Test) verfluchte. Keiner von uns wollte es sehen. Volvo weiß das wohl auch und scheute daher die hohen Kosten nicht, eine Google-Mittelkonsole anzubieten. Wahrscheinlich ist das immer noch viel billiger, als ihr bestehendes System zu retten und ganz sicher war es ein regelrechtes Schnäppchen im Vergleich zu den Kosten für „in etwa so gut wie bei BMW selber machen“.

Der Jüngste Tag

In der nächsten Generation ihres „Sensus“ genannten Infotainment-Systems wird Volvo also von QNX auf Android wechseln, inklusive Google-Spracheingabe, Maps und Play Store als offene Plattform für Auto-Anwendungen, die sich für mehr als nur einen Hersteller eignen. Mit Android erhält Volvo Hilfe bei der Betriebssystemsicherheit, die derzeit zu großen Teilen aus „zum Glück interessiert sich für uns keiner“ besteht. Und mit den Google-Diensten könnte Volvos Mittelkonsole auf einen Schlag von „was ist DAS denn?“ zur Referenz werden. Jetzt hoffen wir nur, dass das nicht bis zum Jüngsten Tag dauert. (cgl)