Klartext: Ode an die Ignoranz

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Die Zielgruppe sind typischerweise Menschen, die mit Autozeitschriften sozialisiert wurden: mittlerweile im mittleren bis fortgeschrittenen Alter, mit einer Geschichte gekaufter Autos, männlich. Für mich liest sich das Heft daher genauso wie vor 20 Jahren, und ich glaube, darin liegen sowohl Absicht als auch Grund. Leserschaft und Redaktion haben sich aneinandergelebt, wie es in solchen Fällen eben läuft. Von außen aus dem Rest der Gesellschaft betrachtet sieht man diese gewachsene Intimität nicht. Die Autobild schaut deshalb für Outsider aus wie der Spiegel, nur eben im KFZ-Fachbereich: Sie wird als Teil einer Verschwörungsfront gesehen, bestehend aus Autoindustrie, Politik und Autopresse. Die Einordnung nehmen nicht nur unzufriedene Kernleser vor, sondern auch Nieleser, die das Vorurteil von ihrer Peer Group ungeprüft übernehmen.

Respekt ist persönlich, das Netz nicht

Der Spiegel stellte fest, wie höflich selbst unzufriedene Leser sind, wenn man nur einmal mit ihnen spricht. Das kann ich aus bald 20 Jahren Leserseelsorge nur unterstreichen: Die erste Wut richtet sich gegen ein anonymes Etwas, ein Heft, ein Verlag, eine Institution, vielleicht sogar nur: ein Thema. Es antwortet aber ein Mensch. Das beruhigt fast immer fast alles so weit, dass man miteinander sprechen kann, häufig gar bis zum Konsens, mindestens aber zu einem Verständnis. Wenn man drüber spricht, ist das alles meist gar nicht mehr so schlimm. Der Anlass des Spiegels ist dennoch ein realer: Es geistert eine bemerkenswerte Dünnhäutigkeit durch Deutschland, ja: die Welt, die unabhängig vom Respekt oder der Weltnachrichtenlage existiert.

Selbst metaphorische Haut wird nicht dünn durch eine einzelne ärgerliche Information, sondern wie bei der echten Haut macht es die Wiederholungsrate aus. Diese Wiederholungsrate hat sich massiv erhöht, weil unser Umgang mit Information sich so geändert hat, dass man ihn bald ins DSM schreiben müsste: Jede Benachrichtigungsbimmel muss sofort rezipiert werden, beim Essen, im Bett, während des Gesprächs und alleine sowieso. Studien zu diesem Thema zeigen alle dasselbe: Der Mensch kann nicht gut mit Ablenkung umgehen, er geht im Gegenteil geradezu getrieben jeder Ablenkung nach.

Ärger oder Aufregung sind starke Emotionen. Ihnen wird also vermehrt nachgegangen. Sie werden auch vermehrt absichtlich provoziert, mit echten Lügen oder auch nur mit einem Wahrheits-Spin, der sich von der Lüge nur noch in kleinen Formalitäten unterscheidet. Wenn ich meinen typischen Ärgernissen immer nachgehe, werde ich davon aber nicht dickhäutig, sondern meine Aufregung triggert immer schneller, ein gelerntes, verstärkendes Verhalten. Genau das sehen wir in Masse: Ein Jeder schnappt nur in sein Lager ein und nach den Anderen, Bösen nur mit Wut.

"Man muss doch ..."

Mein Leben lang habe ich Ratschläge à la "aber man muss doch ..." ignoriert. Das hat gezeigt, dass man eben nicht muss. Man muss kein Handy haben, wenn man das doof findet. Dito Facebook. Internet. Auto. Fernseher. Man muss auch nicht Dinge tun, nur weil sie gerade en vogue sind. Im Gegenteil hilft es häufig, sich an solchen Massenmeinungsbeschleunigern nicht zu beteiligen.