Kommentar zum Diesel-Urteil

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In Städten wie Köln, Düsseldorf oder Hamburg ist für die NOx-Belastung zudem nicht nur der Individualverkehr verantwortlich. Ein Ausflug Richtung Hafen zeigt riesige Dreckschleudern ohne Abgasentgiftung, die weiterhin unbehelligt dahingleiten. Nicht zu vergessen die konstante Hintergrundbelastung durch Industrie, Kraftwerke und Heizungen.

Doch der Fingerzeig auf Andere hilft dem Diesel-Pkw nicht. Er steht momentan am Pranger, die Zulassungszahlen gehen zurück. Gleichzeitig steigt der Anteil der Benziner, was nicht nur schlecht fürs Klima ist, sondern auch eine sehr kurzfristige Sicht. Die meisten Neuwagen mit Benziner haben aktuell keinen Partikelfilter. Als Direkteinspritzer werden ihn aber fast alle brauchen, um die ab September 2018 europaweit für alle erstmals zugelassenen Autos Abgasnorm Euro 6c einzuhalten. Die meisten Kunden haben das Problem nicht erfasst, also spielen die Hersteller auf Zeit. Die kleinsten Partikel aus Benzinern gelten als potenziell dauerhafte Auslöser für Krebs, weil sie im Körper bleiben und dort auf Dauer die Zellen schädigen. Es ist deutlich schädlicher als das Reizgas Stickstoffdioxid, das nur wirkt, solange es sich in der Lunge befindet.

Und die Autoindustrie?

Die steht aktuell am Pranger, kann den meisten Folgen aber weitgehend entspannt entgegensehen. Dazu gehört vor allem die populistische Forderung nach Hardwarenachrüstungen auf ihre Kosten. Dass diese technisch möglich sind, ist nachgewiesen. Doch auf welcher juristischen Grundlage sollten sie eingeklagt werden? Die meisten Fahrzeuge mit Euro 4 und Euro 5 erfüllen das, was damals vorgeschrieben war: die damaligen Grenzwerte auf dem Prüfstand in einem vorgeschriebenen Rahmen einhalten. Verboten war, Abschalteinrichtungen zu verwenden. Da die Unschuldsvermutung erst einmal auch hier gilt, ist aktuell davon auszugehen, dass fast alle Diesel genau das erfüllen. Dass nun alte Diesel neue Grenzwerte einhalten sollen, ist eine hübsche Idee. Wer sie gegen die Autoindustrie durchsetzen möchte, braucht aber wohl mehr als nur ein dickes Fell.

Spiel auf Zeit

Die Autoindustrie spielt auch in dieser Angelegenheit trickreich auf Zeit. Dabei hilft eine einfache Rechnung: Die Hersteller und Markenhändler vermarkten neben Neuwagen vor allem junge Gebrauchtwagen, die aus Ballon-Finanzierungen und Leasinggeschäften zurückkommen. Da geht es vornehmlich um Gebrauchtwagen, die zwischen drei und vier Jahren alt sind. Ab September 2015 war die Euro 6 für alle Neuwagen Pflicht. Anders ausgedrückt: Wenn man einmal davon ausgeht, dass solche Finanzierungen in der Regel nicht länger als 48 Monate laufen, dürfte der letzte große Schwung Euro-5-Diesel im nächsten Jahr wieder bei den Händlern stehen. Sind diese von dort verkauft – was nicht ganz einfach werden dürfte – wird eine Nachrüstung noch unwahrscheinlicher, als sie jetzt schon ist.

Differenz-Betrachtung

Dazu kommt eine nüchterne, wirtschaftliche Betrachtung: Eine Nachrüstung rechnet sich nur dann, wenn die Differenz zwischen einem Euro-5- und einem Euro-6-Diesel bei einem Gebrauchtwagenkauf oberhalb dessen liegt, was die Nachrüstung kostet. Je älter ein Auto wird, desto kleiner wird die Chance auf diesen Umstand. Und selbstverständlich wird es, wenn überhaupt, nur für Volumenmodelle Nachrüstungen geben. Der VW Passat TDI oder die Mercedes C-Klasse der Baureihe 204 sind dafür Beispiele. Nur bei großer Stückzahl lassen sich Kosten für Entwicklung und Homologierung auf so viele Autos verteilen, dass am Ende für den Einzelnen ein halbwegs vertretbarer Preis herauskommt – wer auch immer den bezahlen soll.