Der Stauhelfer

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Hamburg, 12. November 2014 – Autobahnkomfort ist, wenn der Reisewagen wie von selbst fährt. Wie von selbst oder von selbst, diese Abgrenzung beginnt beim Mercedes C300 T BlueTEC HYBRID zu verschwimmen. Er wagt durch die Distronic Plus mit Lenkassistent den nächsten Schritt in Richtung des teilautomatisierten Fahrens. Ein Fokus des zweiwöchigen Tests über 1671 Kilometer ist der Staupilot als Subfunktion dieses Systems. So viel vorweg: Es ist faszinierend zu sehen, wie sich mit der Weiterentwicklung von Rechnerleistung, Software und Sensortechnik ein permanenter Fortschritt bei den Fahrhelfern beobachten lässt.

Der zweite interessante Aspekt an diesem Mercedes ist die Antriebseinheit in Form des hybridisierten Diesels, einer bei Serienautos raren Kombination, die sonst nur beim PSA-Konzern im Citroen DS5 sowie den Peugeot-Modellen 508 RXH und 3008 zu haben ist. Im Durchschnitt verbrauchte der Mercedes 5,7 Liter Diesel und damit 36 bis 50 Prozent mehr als die kombinierten Laborwerte nach NEFZ, bei dem je nach Bereifung 4,2 bis 3,8 Liter entsprechend 108 bis 99 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer versprochen werden.

Zuerst aber zur Distronic Plus mit Lenkassistent, die in den Mercedes-Baureihen C, E und S inklusive aller Derivate bestellbar ist. Die Stuttgarter beharren darauf, dass es sich um ein Assistenz- und noch nicht um ein teilautomatisiertes System handelt.

Noch Assistenz- oder schon teilautomatisiertes System?

Das ist eine Frage der Definition, die zumindest vom Gesetzgeber her nicht existiert. Aber es gibt eine internationale Konvention, die unter anderem von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der US-amerikanischen Society of Automotive Engineers (SAE) geteilt wird. Danach ist ein System assistierend, wenn es entweder die Längsführung übernimmt wie zum Beispiel eine adaptive Geschwindigkeitsregelung oder die Querführung wie etwa das Lenken bei einer Einparkhilfe. Entscheidend ist das entweder oder. Und grundsätzlich gilt, dass der Fahrer die Elektronik jederzeit überwachen und zur vollständigen Führung des Autos bereit sein muss. Er ist also im Zweifel voll haftbar, was angesichts der Perfektion, die der Testwagen beim Abstandhalten auf der Autobahn und bis zum Stillstand in der Stadt erreicht, gerne vergessen wird.

Ein teilautomatisiertes System ist der Konvention von BASt und SAE folgend dann vorhanden, wenn sowohl Längs- als auch Querführung vom Auto übernommen werden, wobei Überwachungspflicht und juristische Verantwortung wie gehabt durchweg beim Fahrer liegen. Und genau diese Kombination aus Gas geben, Bremsen und Lenken erledigt der Mercedes bei eingeschalteter Distronic Plus mit Lenkassistent im Stop & Go-Verkehr auf der Autobahn von selbst. Er folgt dem vorausfahrenden Fahrzeug, wobei die Orientierung nach Auskunft von Mercedes vorrangig an den Spurlinien erfolgt, die über die Kamera erkannt werden.

Das Lenkrad bewegt sich also von alleine. Und nein, das ist kein beängstigendes Erlebnis, sondern ein entlastendes. Die Tour führte von Hamburg über Berlin nach Bonn, weiter nach Wolfsburg und zurück nach Hamburg. Im Ruhrgebiet gab es im Stau der Rush Hour genug Gelegenheit, dem System bei der Arbeit zuzuschauen. Es klappt.

Zeitlich begrenztes Vergnügen

Aber nur für kurze Zeit. Denn obwohl das Wiener Weltabkommen überarbeitet wurde, ist es weiterhin nicht erlaubt, dauerhaft ohne Hände am Lenkrad zu fahren. Nach rund zehn Sekunden – für den genauen Zeitraum werden weitere Parameter erhoben – mahnt der Mercedes mit einem roten Symbol zwischen Tachometer und Drehzahlmesser dazu, die Freihändigkeit zu unterlassen. Und das ist auch der Grund, warum bei der Marke mit dem Stern noch nicht von Teilautomatisierung gesprochen wird.

Volkswagen geht in der Öffentlichkeitsarbeit einen anderen Weg. Im neuen Passat (B8) arbeitet ein dem Prinzip nach gleiches System, der Stauassistent. Diese Kombination aus ACC im Stop & Go-Betrieb und dem unterhalb von 60 km/h bei Spurmittenführung aktivem Lane Assist übernimmt für eine kurze Zeit (auch hier rund zehn Sekunden) oder eine spezifische Situation die Längs- und Querführung. Die Definition des teilautomatisierten Fahrens nach BASt und SAE ist demnach erfüllt und wird in Wolfsburg beim Namen genannt.

Zurück zur Distronic mit Lenkassistent. Die funktioniert grundsätzlich auf allen Straßen. Wenn also der Stop & Go-Verkehr überwunden ist und wieder schneller gefahren wird, unterstützt das System die Lenkung. Hierbei dreht sich das Lenkrad sowohl mit kleinen Einschlägen selbst, zum Beispiel in einer sanften Autobahnkurve. Auffälliger ist, dass subjektiv beschrieben die Servounterstützung genau bei dem Lenkwinkel besonders stark ist, der in die korrekte Richtung führt. Es ist, als wolle der Mercedes den Fahrer höflich bei der Hand nehmen und in der Spur halten. Ein Sicherheitsaspekt dabei ist, dass bei kurzer widerrechtlicher Ablenkung, etwa beim unerlaubten Blick auf die Smartphone-Mails, nicht sofort eine kritische Situation entsteht. Um mit diesem Wagen, der auch über einen Spurhalteassistenten verfügt, im Graben zu landen, muss man mutwillig und direkt da hinlenken.

Defizite bei Fahrbahnerkennung und Hands-Off-Detection

Abstriche ergeben sich bei der Distronic Plus mit Lenkassistent immer dann, wenn das System mangels Fahrbahnmarkierungen an seine Grenzen gerät. Das kann auf einer Landstraße der Fall sein, wo die Linien im schnellen Wechsel erst in guter Qualität vorhanden, danach bis zur Unkenntlichkeit ausgeblichen oder gar nicht vorhanden sind. Dann schaltet sich das System ein und aus, was an einem grünen (ein) oder weißen (aus) Lenkradsymbol im Zentraldisplay erkennbar ist. Es ist irritierend, wenn dann das Gefühl der kraftvollen Servounterstützung plötzlich durch die normale ersetzt wird. Ebenfalls noch nicht perfekt arbeitete die Hands-Off-Detection. Sie mahnte auf der Fahrt über die Bundesstraße 4 von Wolfsburg nach Lüneburg mehrfach dazu, das Steuer in die Hand zu nehmen, obwohl das der Fall war.

Der Weisheit letzter Schluss ist dieser Helfer also noch nicht. Trotzdem wird unter vielen Umständen nach kurzer Eingewöhnung ein Komfortvorteil erreicht, der in Verbindung mit der Luftfederung wieder den Markenkern von Mercedes hervortreten lässt. Eine dringende Bestellempfehlung nicht nur für Technikbesessene. Es darf als sicher gelten, dass sich die Lenkassistenz genauso schnell verbessern wird wie es die adaptiven Geschwindigkeitsregler in den letzten Jahren getan haben. In der Kommunikation dagegen stapeln die Hersteller bewusst tief – es ist offensichtlich, dass ein autonomes Auto nicht erst 2030 in Produktion sein wird. Eine gute Aussicht.

Der zweite relevante Aspekt dieses Mercedes ist der Antriebsstrang des C300 T BlueTEC HYBRID. Der bekannte Dieselmotor mit 2,1 Litern Hubraum und 150 kW (204 PS) verbindet sich mit einem 20 kW (27 PS) starken Elektromotor sowie einem Siebengang-Wandlerautomatikgetriebe zu einem Parallelhybrid. Der Mercedes kann bei niedrigen Geschwindigkeiten und sehr geringer Lastanforderung rein elektrisch fahren. Selbst bei Autobahntempo wird der Verbrennungsmotor im Schiebebetrieb („Segeln“ oder „Coasting“) abgeschaltet, wobei der Neustart in diesem Geschwindigkeitsbereich unmerklich erfolgt.

Im Stadtverkehr ist das anders. Wer mit sanftem Gasfuß vollelektrisch von der Ampel losrollt, erlebt das relativ harte Arbeitsgeräusch des einsetzenden Diesels als deutlichen Kontrast. Überhaupt, der Vergleich: Der Ur-Meter der Hybridautos, der Toyota Prius, soll hierfür herhalten. Eben nicht, weil er ähnlich ist, sondern um die unterschiedlichen Herangehensweisen zu verdeutlichen. So gelingt es mit dem Millionenseller viel leichter, den Verbrennungsmotor ruhen zu lassen.

Durch den parallelen Aufbau des Hybridantriebsstrangs erzeugt der Mercedes den traditionellen Eindruck: Ein Tritt aufs Gas, die Kurbelwelle dreht sich schneller, das Auto nimmt Fahrt auf. Das für viele Fahrer zu Beginn befremdliche Gefühl im Prius, dass die Drehzahl des Verbrennungsmotors nicht zur Beschleunigung zu passen scheint, gibt es hier nicht. Der leistungsverzweigte Hybrid mit Planetengetriebe im Prius arbeitet mit permanentem Kraftschluss, also ohne Kupplung und mit variabler Übersetzung („e-CVT“). Fahrer eines Mercedes müssen sich emotional nicht neu einschleifen, alles wirkt wie gehabt, aber der Teileaufwand ist höher und das Gesamtsystem komplizierter konstruiert als beim Japaner. Taxi-Unternehmen wissen das und setzen in Großstädten wie Berlin und Hamburg vermehrt und undogmatisch auf die als verlässlich geltenden Toyota-Hybride.

Keine Rekorde beim Verbrauch

Zum Gesamtverbrauch von 5,7 Litern Diesel gehört die Transparenz von Streckenprofil und Fahrweise. Wir fuhren viel Autobahn, wobei wir uns auf unlimitierten Abschnitten zwischen Richtgeschwindigkeit und 160 km/h bewegt haben. Natürlich würde es bei Bedarf viel schneller gehen – der Mercedes schafft 238 km/h Spitze und beschleunigt in 6,8 Sekunden auf 100 km/h –, aber wir wollten reisen und auf den Grenznutzen einer sehr hohen Geschwindigkeit verzichten. Der entspannende Charakter des Autos legt diesen Fahrstil ohnehin nahe.

Der niedrigste Wert lag bei 4,7 Litern und wurde auf einer Bundesstraßenetappe erzielt. In der Stadt pendelte der Dieselkonsum zwischen 5,4 und 8,1 Litern. Um zu ermitteln, welchen Vorteil das Hybridsystem bietet, hätte es wohl einer direkten Vergleichsfahrt mit einem konventionellen Mercedes-Diesel bedurft.

In der Gesamteffizienz kann der Mercedes C300T sich damit nicht an die Spitze der Hybridautos setzen. Die absoluten Verbrauchswerte sind höher als bei einem zuvor gefahrenen Citroen DS5 Hybrid4 (5 Liter). Das gleiche gilt im Vergleich zum Prius, dessen akustisch sanfter einsetzender Verbrennungsmotor Benzin konsumiert, das zusätzlich einen geringeren Energiegehalt als Dieselkraftstoff hat.

Problem Übergewicht

Wahrscheinliche Ursache des für sich betrachtet zwar guten, aber letztlich nicht beeindruckenden Verbrauchsergebnisses dürften nicht die relativ kleine Pufferbatterie der Deutschen Accumotive (0,8 kWh, Prius: 1,3 kWh) oder der leistungsschwächere Elektromotor, sondern das erhebliche Gewicht des Mercedes sein. Offiziell werden 1757 Kilogramm (Prius: 1465 kg) angegeben. Der Testwagen war wie so oft mit den meisten der erdenklichen Extras ausgestattet, was inklusive Passagieren und Gepäck leicht zwei Tonnen Lebendgewicht ergeben dürfte.

Zur Ehrenrettung des Mercedes sei gesagt, dass er weiterhin mit der wirksamen SCR-Abgasreinigung versehen ist, um die Stickoxidemissionen im Griff zu halten. Wahrscheinlich hätte es der NEFZ, in dem neben dem Verbrauch auch der Schadstoffausstoß ermittelt wird, zugelassen, darauf zu verzichten und lediglich einen Speicherkatalysator zu verwenden. Das hätte den Ad Blue (wässrige Harnstofflösung)-Tank gespart. Es gehört aber zu diesem konsequenten Auto, dass das nicht so ist, obwohl es den Bauaufwand erhöht, jede Diät konterkariert und die Kosten treibt.

Ab 48.671 Euro ist der Mercedes C300T BlueTEC HYBRID zu haben. Inklusive der luxuriösen Sonderausstattungen kam der bis ins Detail hochwertig verarbeitete Testwagen auf rund 70.000 Euro. Wer so viel Geld bezahlt, wird den Hybridantrieb wohl eher als Komfortextra denn als ökonomische Investition betrachten. Weil eine Mercedes C-Klasse gerne als Dienstwagen geordert wird, um lange Autobahnstrecken zu bewältigen, ist es keine gewagte Prognose, dass die Absatzzahlen des Hybrid-Diesels klein und die des einfachen Diesels weiter hoch sein werden. Auf das Fahrassistenzpaket Plus sollte dagegen nicht verzichtet werden. Es macht das Leben mit dem Auto leichter und sicherer. Und wer es partout nicht ertragen kann, drückt links neben dem Lenkrad auf den Aus-Schalter.

Mercedes hat den Testwagen kostenfrei bereitgestellt und die Überführungskosten bezahlt. Der Autor ist für den Dieselkraftstoff aufgekommen