Der ganz normale Wahnsinn

TT Isle of Man 2017

TT Isle of Man feierte 2017 ihr 110. Jubiläum und die Zuschauer strömten wie eh und je zu Tausenden auf die idyllische Insel in der Irischen See. Wegen der Verletzung von Altmeister John McGuiness lief es auf ein Duell zwischen Ian Hutchinson und Michal Dunlop hinaus. Doch es gab auch einige Überraschungen

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  • iga
Inhaltsverzeichnis

Genie und Wahnsinn liegen oft dicht beieinander. Das gilt ganz sicher auch für die TT Isle of Man. Die Tourist Trophy wurde 2017 zum 110. Mal auf der idyllischen Insel auf halbem Weg zwischen Großbritannien und Irland ausgetragen. Beim Debut im Jahr 1907 fuhr der Sieger mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 52 km/h über die damals 24 Kilometer langen Runde, heute liegt der Rekord auf dem 60 Kilometer langen Kurs bei einem Schnitt von über 213 km/h und die Topfahrer erreichen fast 320 km/h Höchstgeschwindigkeit.

Dabei führt die Strecke über ganz normale Landstraßen, durch Dörfer und Städte, an Mauern, Hecken und Kuhweiden vorbei. Der Asphalt ist in für Landstraßen normalem Zustand, manche Wellen und Risse tun sich auf, der Alltagsverkehr hinterlässt auch schon mal Öltropfen. Curbs? Gibt es nicht, nur Bordsteine. Auslaufzonen? Nein, nur Zäune, Mauern oder Graswälle. Die gut gemeinten Polster an Laternen oder Strohballen vor manchen Häusern dienen mehr als Alibifunktion. Eine kleine Unachtsamkeit bei dem irrwitzigen Tempo könnte die letzte gewesen sein. Für die Roadracer ist das der ganz normale Wahnsinn. Und trotzdem lieben sie ihren Sport so sehr, dass sie dafür sogar ihr Leben riskieren.

Zehntausende zelebrieren die TT

Jedes Jahr pilgern zehntausende Roadracing-Fans mit ihren Motorrädern auf die Isle of Man, um die Tourst Trophy zu zelebrieren. Die Fähren schipperten 2017 über 35.000 Besucher und 14.037 Motorräder auf die Insel. Dazu kommen noch die Einheimischen „Manxmen“, die bei ihrer TT jedes Mal mit Begeisterung dabei sind. Allein schon, weil sie in den zwei Wochen gewaltige Einnahmen bei den Übernachtungen und in der Gastronomie verbuchen können. Die TT ist für die Isle of Man der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Dennoch geht es ganz sicher nicht nur um Geld, der Motorsport steckt den Insulanern im Blut, und unzählige freiwillige Helfer sorgen für einen reibungslosen Ablauf des Spektakels. Etwa eine halbe Stunde vor Beginn des Trainings, der Qualifyings und der Rennen wird die Strecke gesperrt, wenige Minuten danach wieder geöffnet, damit der normale Verkehr wieder fließen kann. Der organisatorische Aufwand, alle einmündenden Straßen und Kreuzungen pünktlich zu schließen, die 60 km lange zu Strecke zu kontrollieren und alle noch vorhandenen Hindernisse wie parkende Autos (gibt es tatsächlich immer wieder) zu entfernen, ist enorm.

Die Fans können die Fahrer während des Rennens fast berühren. Sie säumen in den Ortschaften die Strecke hinter Absperrungen und auf Tribünen, auf dem Land sitzen sie auf Mauern, Wällen, in Gärten und bevölkern die Wiesen. Sie grillen, trinken ein paar Pints und feuern jeden Fahrer frenetisch an. Das Gefühl, wenn ein Rennmotorrad mit voll ausgedrehtem sechsten Gang in zwei Schritten Entfernung an einem vorbeifliegt, ist unbeschreiblich. Im Fahrerlager ist es selbstverständlich, dass die Fans sich mit ihren Idolen unterhalten und den Mechanikern beim Schrauben an den Motorrädern zusehen. Eintritt wird nicht genommen und direkt im Bierzelt nebenan dröhnt Live-Musik und das Bier fließt in Strömen. Bei MotoGP wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. Abends trifft man sich an den wunderschönen Uferpromenaden in Douglas, Ramsey oder Peel um über die Rennen und die eigenen Motorräder zu reden. Die Pubs haben Hochkonjunktur und es herrscht ein wildes Völker- und Sprachengemisch, die Atmosphäre bleibt stets heiter und gelassen.

Exakte Streckenkenntnis ist lebenswichtig

Die Teilnehmer der TT Isle of Man kennen jeden Meter der Strecke persönlich mit Vornamen, ganz besonders mögen und fürchten sie den Abschnitt Snaefell Mountain Course zwischen Ramsey und Douglas, einer Vollgasstrecke durch die einsamen Berge. Die Roadracer können den Verlauf der 60-Kilometer-Runde im Schlaf abspulen und wissen exakt, wo sie bremsen und Gas geben müssen. Ihre Reaktionen sind blitzschnell und Erfahrung ist hier mehr Wert als überschäumendes Talent. Von null auf 200 km/h beschleunigt ein 1000er-Superbike in sieben Sekunden, Licht und Schatten wechseln auf dem Kurs rasend schnell, so dass das Auge kaum Zeit hat, sich darauf einzustellen. Die Straße schrumpft zu einem schmalen Strich vor dem Motorrad. Kurven, die bei normalem Landstraßentempo kaum als solche wahrgenommen werden, müssen bei Vollgas mit atemberaubender Schräglage genommen werden.