Vom Verschwinden der Sportbikes

No Sports

Die Sportler sterben aus. Zumindest unter den motorisierten Zweirädern. Tummelten sich vor gar nicht allzu langer Zeit noch vollverkleidete Rennmotorräder munter unter den Top Ten der Verkaufslisten, rutschten sie mittlerweile europaweit in der Beliebtheitsskala ans untere Ende. Was ist passiert?

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  • iga
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Köln, 31. Mai 2016 – Die Sportler sterben aus. Zumindest unter den motorisierten Zweirädern. Tummelten sich vor gar nicht allzu langer Zeit noch vollverkleidete Rennmotorräder munter unter den Top Ten der Verkaufslisten, rutschten sie mittlerweile europaweit in der Beliebtheitsskala ans untere Ende. Letztes Jahr lag der Anteil der Sportmaschinen von allen in Deutschland verkauften Motorrädern bei gerade mal 5,78 Prozent, zehn Jahre zuvor waren es noch 17,48 Prozent.

Eine erstaunliche Entwicklung für die einstigen Aushängeschilder der Motorradindustrie. Sie sollten zeigen (und zeigen immer noch), was den Herstellern technisch möglich ist. Es war ein jährliches Wettrüsten vor allem unter den japanischen Herstellern, aber auch Ducati, Aprilia und MV Agusta beteiligten sich an der Materialschlacht. Immer wieder wurden noch ein paar PS und Newtonmeter draufgesetzt und ein paar hundert Gramm Gewicht abgeknabbert. Sündhaft teure Materialen wie Titan oder Karbon und aerodynamisch ausgefeilte Formen kamen zum Einsatz. Gute Leistungsgewichte standen für hohe Verkaufszahlen.

Teure Materialschlacht

Ein Titel in der Superbike-WM, also den seriennahen Sportmotorrädern, zählte für die Marken fast soviel wie der MotoGP-Titel. Dann kam 2008 BMW Motorrad mit seinen vom hauseigenen Formel 1-Team abgeworbenen Ingenieuren und stampfte mit der S 1000 RR und 200 PS die Konkurrenz in Grund und Boden. Es dauerte eine ganze Weile, bis andere Marken die irrsinnigen Leistungsdaten der Bayerin erreichten, heute sind es nicht weniger als fünf weitere Hersteller, die ein Superbike mit 200 PS oder darüber anbieten.

Klar, dass die Preise für die Sportler immer weiter stiegen. Fast noch aufwendiger und entsprechend teuer war die Technik bei den 600ern, die ihre maximale Kraft bei hohen Drehzahlen entwickelten – eine Yamaha R6 erreicht ihre 124 PS bei astronomischen 14.500/min. Doch die Hersteller investierten das Geld für den Entwicklungsaufwand lange Zeit gern. Noch bis vor einem Jahrzehnt mussten echte Männer ein 1000er Superbike fahren, zumindest aber eine hochdrehende 600er. Die Suzuki GSX-R 1000, Yamaha R1, Kawasaki ZX-10R und natürlich Hondas Fireblade oder gar eine edle Ducati 916 (und deren Nachfolgerinnen 996 und 998) verkauften sich gut, ebenso wie ihre kleineren Ableger mit 600 oder 750 Kubikzentimeter Hubraum. Vor dem Eiscafé und den beliebten Bikertreffpunkten waren sie ein täglicher Anblick, auf den Landstraßen tobten am Wochenende ganze Horden von vollverkleideten Sportmotorrädern mit gebückten Fahrern in bunten Lederkombis herum.

Dann setzte Flaute ein. Die einzige Sportlerin, die sich dieses Jahr noch unter den Top 50 findet, ist die BMW S 1000 RR auf dem immerhin 16. Rang (Stand: April 2016). Doch hier trickst der Hersteller: Von den 596 verkauften Einheiten wurden fast sechzig Prozent auf „juristische Personen“ zugelassen – im Klartext: Auf die Händler und nicht auf private Kunden. Das zeugt vom Druck auf die Markenhändler durch die Absatzvorstellung des Herstellers. Mit Tageszulassung und null Kilometer auf dem Tacho können die S 1000 RR natürlich deutlich günstiger angeboten werden. Nur zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum wurden 3498 Stück der Reiseenduro BMW R 1200 GS verkauft, davon nur rund ein Viertel mit Tageszulassung.

Alle anderen Sportmotorräder mit Vollverkleidung und Stummellenker, egal welcher Marke, stehen wie Blei im Schaufenster, tauchen unter den Top 50 der meistverkauften Modelle in Deutschland gar nicht erst auf. Manche Händler weigern sich mittlerweile, sich ein fast unverkäufliches Superbike in den Laden zu stellen und ordern sie nur noch auf Bestellung. Hingegen gehen große Reiseenduros und Naked Bikes – gerne auch im Retro-Stil – weg wie warme Semmeln.

Anstrengend

Dieses Umdenken hat in Deutschland sicherlich mit der demographischen Entwicklung zu tun. Hierzulande geht der/die durchschnittliche Motorradfahrer/in stramm auf die 50 zu. In diesem Alter will man sich nicht mehr den Stress mit schmerzenden Handgelenken und verspannter Rückenmuskulatur antun. Bikes, die allein für den Zweck dienen, möglichst schnell auf der Rennstrecke zu sein zwingen den Fahrer in eine sehr anstrengende Position: Den Oberkörper weit nach vorne gebeugt, die Handgelenke stark belastet, den Kopf ins Genick gedrückt und die Knie in einen engen, Blut abschnürenden Winkel hochgezogen. Mit 20 macht man das noch begeistert mit, mit über 40 ist es aber nicht mehr lustig. Auch die mentale Einstellung ändert sich: Man muss irgendwann nicht mehr der Schnellste auf der Hausstrecke sein, zudem steigt das Bewusstsein für die eigene Verletzlichkeit mit dem Alter. Im übrigen bieten heute Naked Bikes und sogar Reiseenduros unfassbar viel Leistung und die entspannte Sitzhaltung am breiten und hohen Lenker ermöglicht dem Fahrer in engen Kurven oft einen Handlings-Vorteil gegenüber den gebückten Sportfahrern.

Auf modernen Zwei- und Dreizylinder-Reiseenduros und vielen Naked Bikes braucht man dagegen auf keinen Luxus mehr zu verzichten. Die flotte Hatz über kurvige Landstraßen funktioniert ebenso gut wie die Urlaubstour samt Ehepartner und Gepäck an Bord. Sogar ein freudvoller Abstecher auf die Rennstrecke ist heute drin: Im Sport-Modus des Steuergeräts passt der Computer die Regelung des ABS, der Traktionskontrolle, der Gasannahme und immer häufiger sogar schon die des semi-aktiven Fahrwerks der sportlichen Betätigung an. So mancher Sportmotorradfahrer hat auf der Rundstrecke staunend die Leistungsfähigkeit einer 160-PS-Reiseenduro à la Ducati 1200 Multistrada oder einem 172-PS-Naked Bike wie der KTM 1290 Super Duke R zur Kenntnis nehmen müssen.

Zugeschnürt über die Landstraße

Die einst werbewirksamen gewaltigen Höchstleistungen sind dagegen für den normalen Alltagsbetrieb nicht unproblematisch. Ein Sportler wie beispielsweise die BMW S 1000 RR erreicht ihre Höchstleistung von 199 PS bei 13.500/min, in einem Drehzahlbereich, in dem man sich auf der Landstraße äußerst ungern und in der Stadt schon gar nicht aufhält. Der erste Gang reicht bis 143 km/h – eine Geschwindigkeit, die selbst für die Landstraße zu hoch ist. Der Vierzylinder dreht dann rund 14.000/min, was für Mensch und Maschine enormen Stress bedeutet. Um den zu vermeiden und sich gesetzeskonform zu verhalten, schaltet der Fahrer hoch in den vierten Gang und bummelt nun bei etwa 5500/min mit Tempo 100 dahin. Dabei produziert der Motor aber gerade mal 65 PS. Ein Wert, den viele andere Motorräder bei dieser Drehzahl weit übertreffen.

Das von der RR abgeleitete Naked Bike BMW S 1000 R wurde in der Spitzenleistung deutlich gekappt, auch wenn 160 PS immer noch ein strammer Wert sind, und geht dafür im unteren Drehzahlbereich deutlich kräftiger zu Werk. Bei 5500/min leistet es gut zehn PS mehr und verkauft sich deutlich besser. Die Reiseenduro BMW R 1200 GS bringt es bei 5500/min sogar auf knapp 90 PS. Um 65 PS zu produzieren braucht ihr Zweizylinder-Boxer nur knapp über 4000/min, was nicht nur Sprit, sondern auch Nerven spart. Der Bestseller R 1200 GS ist für eine Spitzenleistung von 125 PS bereits bei 7750 /min ausgelegt, was in so ziemlichen allen Situationen völlig ausreicht.

Mit anderen Worten: Der Motor der S 1000 RR ist nur für den Rennstreckenbetrieb konstruiert worden. Er lässt sich zwar durchaus gesittet auf der Landstraße bewegen, aber wofür kann er soviel Kraft produzieren, wenn man sie so gut wie nie nutzen kann? Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Gleiches gilt für alle anderen Sportmotorräder, die 600er-Vierzylinder bieten sogar im unteren Drehzahlbereich nur eine sehr magere Leistungsausbeute, weil ein akzeptabler Drehmomentverlauf hier zugunsten von hoher Spitzenleistung aufgegeben wurde.

Mit Kanonen auf Spatzen

Sicher, es gibt sie noch, die standhafte Sportlerfraktion, die sich weiterhin 1000er-Vierzylinder oder 1200-Zweizylinder mit Vollverkleidungen und tiefen Stummellenkern kauft. Aber die Reihen werden dünn. Besonders 600er-Supersportler fristen in Deutschland mittlerweile ein äußerst kümmerliches Dasein, weil die meisten Interessenten lieber gleich zum vollen Liter Hubraum greifen. Selbst die kleinen Sportmodelle mit bis zu 500 Kubikzentimeter Hubraum will kaum jemand haben, trotz attraktiver Kandidaten. KTM hat einen hervorragenden 372-Kubikzentimeter-Einzylinder-Motor im Programm, der sich in dem Naked Bike 390 Duke blendend verkauft (2015 lag sie auf Platz 11 der meistverkauften Motorräder in Deutschland), als Sportler RC 390 mit Vollverkleidung und Stummellenker überhaupt nicht. Dabei sind Motor, Rahmen und Fahrwerk so gut wie identisch, es geht nur um die Optik und die Sitzposition.

Ob die Sportmotorräder je wieder eine Renaissance erfahren werden, bleibt abzuwarten. In absehbarer Zeit werden sie Nischenprodukte für die Rundstrecke bleiben, wo sie das volle Potenzial ihrer Motoren überhaupt nur ausspielen können.