Aston Romeo: 50 Jahre Alfa Montreal
Eine Studie für die Weltausstellung in Montreal 1967 wurde mit einem domestizierten Renn-V8 und einem Giulia-Chassis im Jahr 1970 als Alfa Montreal zur GT-Ikone
- Christian Lorenz
Eine namenlose Schönheit verdrehte auf der Weltausstellung 1967 im kanadischen Montreal dem autoaffinen Publikum den Kopf. Die Ausstellung "Man, the producer" sollte die technische Schaffenskraft der Menschheit feiern. Dafür wurde Alfa Romeo angefragt, ein Exponat zu schicken, das den Automobilbau der Zukunft darstellen sollte. Der Mailänder Hersteller entschied sich, eine zweisitzige Sportcoupéstudie zu zeigen. Da jedes Alfa-Coupé aus dieser Zeit von der Turiner Firma Bertone gezeichnet wurde, war das bei dem "Projekt Montreal" wie der Auftrag der Einfachheit halber genannt wurde, nicht anders.
Bertone-Chefdesigner Marcello Gandini hatte soeben mit dem Lamborghini Miura den ersten Supersportwagen geprägt und wenige Jahre später mit dem betörenden Stratos, den wohl kompromisslosesten Rallyekeil auf die Schotterpiste gestellt. Gandini war geistig wohl noch ganz im Miura und überzeugt davon, dass die Zukunft des Sportwagens im Mittelmotor liege.
Bertones Meisterstück
Deshalb versah er die Karosserie der Coupéstudie mit Mittelmotorornat in Form von Schmuckkiemen an der B-Säule. Obwohl Alfa Romeo keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass die Gandini-Karosserie aus Zeitmangel der Einfachheit halber über die Technik der Bertone-Kreation Giulia GT (Serie 105) gestülpt werden sollte. Gandinis junger Mitarbeiter Giugiaro hatte die Karosserie für das kleine Coupé so stimmig entworfen, dass er bis heute bei den Fans als Bertones Meisterstück für Alfa-Romeo gilt, der "Alfa Bertone" eben.
Alfa Romeo Montreal (16 Bilder)
(Bild: FCA)
Zwei weiße Coupés mit exaltierten Details wie mit Ziergittern halb verdeckten Scheinwerfern wurden in Kanada präsentiert. Sie kamen so gut an, dass man sich für eine Serienfertigung entschied. Der "Montreal" sollte das neue Topmodell von Alfa werden. Das mit Abstand stärkste und exklusivste Motorenwerk von Orazio Satta Puliga war der Hochleistungs-V8 des Rennsportwagens Tipo 33. Im Expo-Jahr 1967 wurde gerade die geringfügig gezähmte Homologationsserie Tipo 33 Stradale mit Straßenzulassung an mutige Großverdiener verteilt.
Domestizierter Renn-V8
Es wurde beschlossen, diesen V8 in den Montreal zu verpflanzen und für einen Straßensportwagen bekömmlich abzumildern. Der Hubraum wurde von zwei auf 2,6 Liter angehoben, zur Gemischaufbereitung eine exotische Einspritzanlage von SPICA (Società Pompe Iniezione Cassani & Affini) installiert und die Leistung auf 200 PS abgemildert. Der T33 Stradale war bereits auf 230 PS gedrosselt worden. Während im Renntrimm bis zu 270 PS aus den zwei Litern geholt wurden. Die vergleichsweise kultivierten 200 PS des Montreal wurden über ein neues Fünfganggetriebe an die Hinterachse geleitet, das bei ZF in Auftrag gegeben wurde.
Spica-Einspritzung
Anders als das nur Profis zumutbare Sechsgang-Renngetriebe empfahl sich die ZF-Box durch leichte, exakte Schaltbarkeit und sportlich kurze Wege im Alltagsgebrauch. Der hochkarätige Antrieb macht einen großen Teil der Faszination des Montreal aus. Die SPICA-Einspritzung ist dafür ebenso Voraussetzung wie Hindernis. Denn nur, wenn sie perfekt eingestellt ist, kann der V8 seinen faszinierenden Charakter zur Geltung bringen. Experten mit dem dazu notwendigen Know-how und insbesondere Spezialwerkzeug sind heutzutage schon sehr selten.
Beim Starten muss man erst einmal dem hellen Summen der beiden Benzinpumpen lauschen. Erst wenn es ein Lämpchen im Cockpit signalisiert, steht genügend Benzindruck bereit. Man dreht den kleinen Zündschlüssel bis zum Anschlag – und ist entweder betört oder enttäuscht. Wer amerikanischen V8-Sound liebt, wird sich verarscht vorkommen und erst mal gar nichts hören. Der Montreal ist so kultiviert, dass man seine Rennsportprovenienz gar nicht glauben möchte. Nur ein leises katzenartiges Fauchen lässt er vernehmen. Freunde des Understatements bringt das an den Rand der Selbstbeherrschung.
Leiser Wohlklang
Selten wurde leiser, feiner, unterschwelliger und stilvoller "leg dich ja nicht mit mir an!" intoniert. Dass das Auto auch wirklich richtig böse werden kann, liegt an der kurzen Getriebeübersetzung. Die höchstmöglichen 220 km/h sollte man weder dem Montreal zumuten, da sie erst kurz vor Höchstdrehzahl erreicht werden, noch seinen Ohren. Obwohl das Mahlen, Bohren und Trompeten zu dem sich der V8 jetzt aufschwingt und das an einen gedämpften Ferrari 308 erinnert, jetzt wohl auch jedem Freund von US-V8-Fahrzeugen Anerkennung abnötigen würde.
Froschhaltung
Auf Dauer bewahrt einen schon die Sitzposition davor, zu lange hohe Geschwindigkeitsbereiche und damit einhergehende Lautstärken aufzusuchen, denn die ist unbequem genug. Wer die Alfa-typische Froschhaltung mit langen Armen und angewinkelten Beinen aus dem Bertone (Giulia GT) kennt, kann im Montreal merken, dass es auch ein wenig schlimmer geht. Denn der Montreal hat eine noch tiefere Sitzposition und das schöne Holzlenkrad ist hier zu groß und noch flacher angewinkelt.