Unsere letzte Chance: Was gegen das Artensterben hilft

Seite 7: Milliarden-Kosten, Billionen-Nutzen

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Solche Projekte brauchen natürlich Geld. Doch wie viel genau? 2012 hat ein internationales Forschungsteam um Donal McCarthy von der Organisation "BirdLife International" berechnet, was es kosten würde, alle Arten auf der Roten Liste um eine Kategorie nach oben rutschen zu lassen – also etwa von "stark gefährdet" auf "gefährdet". Am Ende stand eine Summe von 76 Milliarden Dollar jährlich – rund ein Sechstel des aktuellen Bundeshaushalts oder ein Fünftel der globalen Ausgaben für Softdrinks. Investiert in den Artenschutz wird aber nur ein Bruchteil davon.

Für Deutschland halten die Unterzeichner der Berliner Erklärung mittelfristig acht Milliarden Euro pro Jahr für nötig. Im Koalitionsvertrag stehen derzeit rund 800 Millionen Euro. Gegenfinanziert werden könne dies unter anderem durch die "knapp 67 Milliarden Euro an jährlichen umweltschädlichen Subventionen in Deutschland", heißt es in der Erklärung.

Die Kosten relativieren sich weiterhin dadurch, dass es viele Synergien mit dem Klimaschutz gibt. Trotzdem würden "Biodiversität und Klima bisher meist getrennt adressiert", moniert eine Studie, die ein Forscherteam der Universität Montpellier im Januar vorgelegt hat. Besonders groß sei die Synergie bei Wäldern, Seegraswiesen und Mangroven. Allerdings seien Konflikte zwischen Klimawandel und Artenschutz nicht immer zu vermeiden – etwa, wenn große Baum-Monokulturen einzig zu dem Zweck gepflanzt werden, möglichst viel CO2 zu binden, ohne die "lokalen Bedürfnisse" oder den "sozio-ökonomischen Kontext" zu berücksichtigen.

Ein "gut verbundenes und effektives System aus geschützten Gebieten" müsse mindestens 30 Prozent des Planeten umfassen, fordert die Studie. Das deckt sich mit der Berliner Erklärung, wonach bis 2030 global 30 Prozent der Land- und Meeresflächen wirksam geschützt und weitere 20 Prozent renaturiert werden sollen. Derzeit seien es an Land nur 15,7 Prozent, auf See 7,7 Prozent.

Doch was bedeutet "Schutz" in diesem Zusammenhang? Einfach einen Zaun ziehen und ein Schild "Betreten verboten" dranhängen? Dieses Vorgehen hat Naturschützern oft den Vorwurf eingebracht, "Öko-Kolonialisten" zu sein, denen Tiere wichtiger seien als Menschen. Tatsächlich wurde bei der Einrichtung vieler US-Nationalparks die indigene Bevölkerung kurzerhand vertrieben. Und im indischen Kaziranga-Nationalpark haben Ranger laut Rebecca Nesbit im Jahr 2015 mehr Menschen erschossen als Wilderer Nashörner.

"Ideal wäre natürlich möglichst wenig menschliche Nutzung – aber Natur rein, Menschen raus, das geht heute nicht mehr", sagt Katrin Böhning-Gaese, Mit-Unterzeichnerin der Berliner Erklärung und Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums. So werden etwa die meisten Flächen, die in Deutschland im Rahmen des EU-Programms "Natura 2000" unter Schutz gestellt wurden, auch landwirtschaftlich genutzt – idealerweise mit weniger chemischem Pflanzenschutz.