Der Urknall: 50 Jahre Ducati V2-Sportmodelle

Vor 50 Jahren gewann Paul Smart mit der neuen 750 SS völlig überraschend die 200 Meilen von Imola und begründete die Erfolgsgeschichte der V2-Sportmodelle.

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Der teuerste Motorrad-Klassiker ist eine Replika

(Bild: Ducati)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Ducati definiert sich über seine sportlichen Erfolge. Ohne die zahlreichen Siege und Titel im Rennsport würde die Marke aus Bologna heute wahrscheinlich nicht mehr existieren. Wie kaum ein anderer Hersteller setzte Ducati daher früh auf das Motto "Win on Sunday, sell on Monday" und steckte viel Geld in die Werkteams. Der Urknall für die V2-Sport-Legende vor einem halben Jahrhundert bei den 200 Meilen von Imola hallt bis heute nach.

Es gibt Namen, die sind untrennbar mit einer Marke verbunden. Es gibt auch Daten, die für eine Firma von existenzieller Bedeutung sind. Manchmal fallen beide zusammen, für Ducati lauten sie Paul Smart und der 23. April 1972. Hätte der Brite vor 50 Jahren nicht auf einer 750 SS die 200 Meilen von Imola gewonnen, wäre die Zukunft von Ducati wahrscheinlich ganz anders verlaufen und es ist fraglich, ob sie je das sportliche Image bekommen hätte, dem sie bis heute ihren Erfolg verdankt.

Ducati war zu Beginn der 1970er Jahre eine der vielen italienischen Motorradhersteller, die am Rande der Insolvenz balancierten. Dem allgemeinen Verkaufsniedergang in der Motorradindustrie versuchten viele Hersteller mit Sportmodellen entgegenzuwirken und dafür waren Rennerfolge unabdingbar. Zwar war Ducati sportlich schon längere Zeit aktiv, aber nicht sonderlich erfolgreich. Der geniale Ingenieur Fabio Taglioni entwarf deshalb 1970 einen 90-Grad-V2 mit aufwendigem Königswellen-Ventiltrieb. Ein Jahr später trat Ducati mit fünf 500er-V2 in der italienischen Meisterschaft und bei einigen GP-Läufen an. Doch das beste Ergebnis war ein zweiter Platz von Phil Read beim GP von San Remo. Ende 1971 liefen die ersten 750 GT-Modelle mit V2-Motor als Straßenmodell ohne Verkleidung in Bologna vom Band. Einen sonderlichen Verkaufserfolg stellte das optisch eher konventionelle Naked Bike nicht dar.

Damals galten die 200 Meilen von Daytona als eine der wichtigsten Motorradsport-Veranstaltungen der Welt. Um das Spektakel in Europa zu kopieren, rief daher der Moto Club Santerno 1972 die 200 Meilen von Imola für seriennahe Maschinen bis 750 cm3 ins Leben. Ducati witterte seine Chance, in heimischen Gefilden Werbung für sich machen zu können und das Werk entwickelte unter Hochdruck auf Basis der 750 GT einen Prototypen, mit dem sie am Rennen teilnehmen wollten.

Taglioni hatte für das Race-Bike neue Zylinderköpfe mit einer desmodromischen Ventilsteuerung konstruiert, die Standfestigkeit bei hohen Drehzahlen versprach. Der Motor leistete 86 PS bei 8800/min und die 750 SS (für Super Sport) wog trocken nur 162 Kilogramm. Tatsächlich waren etliche Details an der Ducati bei näherem Hinsehen arg provisorisch, so sollte die Rennmaschine zwei Bremsscheiben am Vorderrad bekommen (die 750 GT hatte nur eine), doch im Ersatzteillager fanden sich nur linke Bremssättel. Also montierte das Werksteam den Bremssattel rechts mit den Anschlüssen nach unten und verlängerte die Bremsleitung. Die vier Zündspulen verlegte Taglioni an die vorderen Rahmenrohre, weil der Motor sie sonst überhitzte.

50 Jahre Ducati V2-Sportmodelle Teil 1 (7 Bilder)

1972 begründete Paul Smart mit dem Sieg auf der Ducati 750 SS bei den 200 Meilen von Imola die außergewöhnliche Erfolgsgeschichte der italienischen Marke, die bis heute andauert.

Dass der Name Paul Smart bis heute so ziemlich jedem Sportmotorrad-Fan bekannt ist, hat der Brite seiner Frau Maggie zu verdanken. Die in aller Eile zusammengeschraubte 750 SS galt nicht gerade als Favoritin für die 200 Meilen von Imola und daher sagten eine ganze Reihe von Top-Fahrern Ducati ab. Darunter war auch der spätere Doppel-Weltmeister Barry Sheene, doch er empfahl dem Werk, seinen Schwager Paul Smart zu fragen. Smart hatte zwar schon drei Jahre Motorrad-WM hinter sich, aber noch keinen einzigen Sieg. In der Hoffnung auf ein höheres Einkommen war der Brite mit seiner Frau in die USA gezogen, doch auch dort lief es nicht wirklich rund. Als der Anruf aus Bologna kam, war Paul Smart nicht zu Hause, aber Maggie sagte sofort zu, als sie hörte, dass ihr Mann für den Start 500 Pfund und das Flugticket nach Italien bekommen sollte. Paul Smart war nicht gerade begeistert, als er davon erfuhr, aber nun gab es für ihn kein zurück mehr. Die Entscheidung sollte seinen Namen unsterblich machen.

Das Ducati-Team brachte den völlig übermüdeten Smart direkt nach seiner Landung zum Testen an die Rennstrecke. Zunächst war der Brite über das eher unhandliche Motorrad geschockt, aber mit jeder Runde konnte er sich mehr für die 750 SS erwärmen, denn sie lag absolut stabil und zum Schluss knackte er zu seiner eigenen Überraschung sogar den Rundenrekord von Weltmeister Agostini auf der 500er-MV Agusta. Nicht nur Ducati, sondern auch Smart witterten, dass etwas ganz Großes in der Luft lag.

Am Rennwochenende protzte Ducati dann im Fahrerlager des Autodromo Dino Ferrari mit einem verglasten Truck, in dem die sieben Werksrenner (drei davon dienten als Ersatz-Bikes) zu sehen waren. Außer Smart starteten noch der Routinier Bruno Spaggiari sowie Ermanno Giuliano und Alan Dunscombe. Das Rennen am 23. April 1972 zog gewaltige Menschenmassen nach Imola. Es versprach ein außergewöhnliches Spektakel zu werden, denn alle großen Hersteller wollten hier gewinnen und ließen die berühmtesten Fahrer antreten. Dauer-Weltmeister MV Agusta war mit einem 750er-Vierzylinder-Bike und Rekord-Champion Giacomo Agostini angerückt, Norton mit dem amtierenden 250er-Weltmeister Phil Read, Triumph, BSA, BMW (mit Helmut Dähne im Sattel) und natürlich Moto Guzzi hatten ebenfalls Top-Piloten am Start. Als Favoriten galten aber die neue Reihenvierzylinder-Viertakt-Honda CR 750 (Rennversion der CB 750 Four) und die Dreizylinder-Zweitakt-Kawasaki H2R.

Doch zur Überraschung aller fuhr Paul Smart auf der neuen Ducati 750 SS im Qualifying die schnellste Rundenzeit und holte sich die Pole Position vor Teamkollege Spaggiari. Im Rennen dominierten die beiden Ducatis von Smart und Spaggiari, während die vermeintlichen Favoriten aus Japan weit zurück- oder ganz ausfielen. Lange Zeit führte Spaggiari, doch in der letzten Runde bekam er Probleme mit der Benzinzufuhr und so gewann Paul Smart. Dieser Sieg ist für Ducati kaum hoch genug einzuschätzen, denn seitdem steht die Marke im Ruf exzellenter Sportlichkeit. Auch wenn Ducati im Laufe der folgenden Jahrzehnte finanziell durch viele Höhen und Tiefen ging und mehrfach verkauft wurde, garantierten die Erfolge im Sport ihren Fortbestand.

Bereits ein Jahr nach dem Sieg in Imola legte die Marke eine Replika der 750 SS auf. Zunächst waren eigentlich nur 25 Stück vorgesehen, die von der Rennabteilung in Handarbeit gefertigt wurden, doch wegen der überwältigende Nachfrage baute Ducati bis 1974 insgesamt 411 Exemplare. Der V2 mit Königswelle leistete in Straßenzulassung 73 PS bei 8000/min und erreichte eindrucksvolle 220 km/h. Die Halbschalenverkleidung, Sitzbank, Seitenabdeckungen und sogar der Tank bestanden aus glasfaserverstärktem Kunststoff und drückten das Gewicht auf 200 Kilogramm. Die ersten 750 SS mit runden Motordeckeln gehören heute zu meistgesuchten und teuersten Motorrädern überhaupt, die unter Sammlern für sechsstellige Summen gehandelt werden.

Der 750 SS folgte eine ganze Reihe von Sportmodellen aus Bologna. Ducati erhöhte 1975 den Hubraum des Königswellen-Motors auf 900 cm3, doch der Verkaufserfolg der 900 SS blieb zunächst aus, wegen ihres im Vergleich zu den japanischen Vierzylindern höheren Preises. Aber wieder kam Ducati ein unerwarteter Rennerfolg zu Hilfe. 1978 siegte Mike Hailwood bei der TT Isle of Man sensationell auf einer privat eingesetzten 900 SS (für den Werkseinsatz war in Bologna schlicht kein Geld übrig). Dabei war der neunfache Weltmeister schon seit sieben Jahren keine Motorradrennen gefahren und eher aus Langweile aus der Frührente zurückgekehrt. Der 38jährige gewann völlig überraschend die TT und Ducati nahm erneut einen Sieg zum Anlass, um eine Replika aufzulegen. Auch die vollverkleidete 900 SS Mike Hailwood Replica gilt heute als Meilenstein in der Firmengeschichte.

Doch das Ende der Königswellen-Ära war abzusehen, dem V2 mit desmodromischer Ventilsteuerung aus den kleinen Pantah-Modellen – zunächst mit 500, später mit 600 und 650 cm3 – sollte ab 1979 die Zukunft in Bologna gehören. Ducati baute zwar nur verhältnismäßig wenig Motorräder, investierte aber viel Geld in den Rennsport. Die 750 F1 wurde während der 1980er Jahre in der Formula TT2 eingesetzt und gewann mit Tony Rutter im Sattel viermal den WM-Titel. Doch es gab auch einige Fehlentwicklungen bei Ducati, so fanden die Reihenzweizylinder in den späten 1970er Jahren kaum Käufer und wurden bald eingestellt. Ähnlich verhielt es sich ab 1986 mit der komplett verkleideten Paso 750 und der späteren Paso 906, die dem damaligen Aerodynamik-Hype folgte, aber von den Ducatisti mehrheitlich abgelehnt wurde.

1988 brachte Ducati endlich einen V2 mit Wasserkühlung, Vierventiltechnik und Einspritzung auf den Markt. Die 851 litt zwar noch unter Kinderkrankheiten, war aber auf der Rennstrecke schnell unterwegs. 1990 gewann Raymond Roche holte mit der Werks-851 den ersten Titel für Ducati in der Superbike-WM und in den nächsten beiden Jahren setzte Doug Polen auf der Ducati 888 die Erfolgsserie fort. Doch trotz der WM-Titel lief der Verkauf der Serien-Motorräder nur sehr schleppend. Zeitgleich mit der 851 präsentierte Ducati eine komplett neue 900 SS auf Basis der Pantah mit einem luftgekühlten Zweiventil-V2 mit Desmodromik und Gitterrohrrahmen aus Stahl. Sie hatte 904 cm3, 78 PS und nur 180 kg Trockengewicht und stellte den halbwegs günstigen Einstieg in die Sportwelt von Ducati dar. Die vollverkleidete Sportlerin wurde von den Fans rasch akzeptiert, sie kam zwar nicht an die PS-Leistung der japanische Konkurrentinnen heran, schlug sich aber wegen ihres geringen Gewichts durchaus achtbar. Die 900 SS bekam bald auch kleinere Modelle mit 750, 600 und 400 cm3 zur Seite gestellt.

50 Jahre Ducati V2-Sportmodelle Teil 2 (8 Bilder)

Die 851 läutete 1988 die Moderne bei Ducati ein mit Wasserkühlung, Vierventiltechnik und Einspritzung. Raymond Roche holte auf ihr den ersten Superbike-WM-Titel für Ducati.

1994 sollte für Ducati endlich den große Durchbruch bringen, ab dem sie auf Augenhöhe mit den japanischen Reihenvierzylindern lagen: Die Ducati 916 betrat mit einem Paukenschlag die Bühne. Sie gilt bis heute als Design-Ikone, erschaffen von Massimo Tamburini. Die 916 stampfte auf Anhieb die Konkurrenz in Grund und Boden, sie holte zwischen 1994 und 2001 sechsmal den Titel in der Superbike-WM (die letzten beiden Male als Modell 996 mit etwas mehr Hubraum). Endlich machte sich der sportliche Erfolg auch in den Verkaufszahlen bemerkbar, die 916 (und die Nachfolgemodelle 996 und 998) sowie die kleinere Schwester 748 wurden den Ducati-Vertretern aus den Händen gerissen. Allerdings gab es immer wieder Lieferprobleme wegen Stillstand der Fertigungsbänder in Bologna, denn Ducati hatte weiterhin mit finanziellen Problemen zu kämpfen.

Zwei schwere Schnitzer leistete sich Entwicklungsabteilung 1999 und 2003: Die neu gestaltete 900 SS und die 999 als Nachfolgerin der 916 gingen als Design-Unfälle in die Ducati-Geschichte ein. Sie verkauften sich entsprechend schlecht, auch wenn die 999 dreimal den Superbike-WM-Titel errang. Ducati beeilte sich die Fans wieder zu versöhnen und präsentierte 2007 die 1098, die der 916 wieder deutlich ähnlicher sah. Sie setzte mit 160 PS ein Ausrufezeichen bei den V2-Motoren. Im gleichen Jahr gelang Ducati der erste und bisher einzige MotoGP-Titel. Super-Talent Casey Stoner holte sich in beeindruckender Weise die WM mit zehn Siegen in einer Saison, dabei galt die Desmosedici GP7 als schwierig zu beherrschen.

Ducati hatte zu dem Zeitpunkt längst begriffen, wie wichtig die ruhmreiche Historie für das Image der Marke war und brachte 2006 die Paul Smart 1000 LE heraus, die auf der 1000 SS basierte, aber im Design an die legendäre 750 SS von 1973 angelehnt war. Sie war wie ihre Vorfahrin fast komplett silbern lackiert und der Rahmen sowie die Schwinge glänzten in Türkis. Zudem erhielt sie eine Halbschale, Höckersitzbank und übereinander angeordnete Endschalldämpfer, die dem historischen Vorbild zwar nicht wirklich entsprachen. Der Tank allerdings ähnelte dem der Werksmaschine von 1972 verblüffend, die beiden Federbeine und die Drahtspeichenfelgen rundeten das nostalgische Erscheinungsbild passend ab. Somit erhielt die Replika von 1973 eine eigene Replika. Obwohl die Retro-Welle 2006 erst langsam anrollte, gab es schon über 3000 Vorbestellungen für die Ducati-Classic-Sportreihe (dazu gesellten sich noch die beiden Naked Bikes Sport 1000 und GT 1000), bevor sie überhaupt in Produktion ging. Heute zahlen Sammler für die Paul Smart 1000 LE deutlich mehr als den Neupreis von 14.300 Euro.

Der Gewinn der MotoGP 2007 war zweifellos der Höhepunkt in der Sportgeschichte der Marke. Der Titel kam zeitlich passend, denn Ducati brachte mit der limitierten Desmosedici RR eine straßenzugelassene Ablegerin der MotoGP-Maschine Desmosedici GP6 mit 188 PS (und 200 PS mit Race-Kit) auf den Markt. Kostenpunkt waren satte 55.000 Euro und dennoch fanden bis zum Ende der Bauzeit 2008 alle 1500 Exemplare einen Käufer. Das sagte viel aus über den Stellenwert von Ducati bei den Sportfans. Durch den jahrelangen Einsatz in der MotoGP und der Superbike-WM bewegte sich die Entwicklungsabteilung in Bologna auf einem sehr hohen Niveau und die Erfahrungen flossen auch in die Serie ein, wie 2012 die 1199 Panigale und 2015 die 1299 Panigale bewiesen. Beide Modelle waren sehr leistungsstark und verfügten über modernste Elektronik, um die gewaltige Kraft geregelt auf den Boden zu bringen.

Dennoch war ein Wechsel in der langen V2-Ära bei den Superbikes aus Bologna abzusehen und 2018 präsentierte Ducati die 1299 Panigale V4. Der 214 PS starke und 1103 cm3 große V4-Motor mit rückwärts drehender Kurbelwelle übertraf die Zweizylinder-Vorgängerin vor allem in der Laufkultur.

Die Panigale V4 R mit 998 cm3 als Homologationsmodell für den Einsatz in der Superbike-WM leistete sogar 221 PS bei irrwitzigen 15.250/min. So unglaublich es heute klingen mag, aber auch sie wird nicht das Ende der Fahnenstange sein, denn Ducati will auch weiterhin sein Image aus seinem exzellenten sportlichen Ruf ziehen, der vor 50 Jahren mit dem Sieg von Paul Smart auf der 750 SS bei den 200 Meilen von Imola begann.

(fpi)