EU-Wahl: Wie weit ist das Vorhaben "Digitale Kompetenz" mittlerweile?
Die EU will bis 2030 ihre Digitalisierung auf Vordermann bringen. Ein Eckpfeiler: Digitale Kompetenzen. In Deutschland gibt es Nachholbedarf.
Ein kleines Schmunzeln ist erlaubt, wenn man sich durch den europäischen Test für Digitale Kompetenzen klickt: Ist es sinnvoll, ein Backup der eigenen Daten zu erstellen? Was geschieht, wenn man die Tastenkombination STRG+V im Datei-Explorer drückt? Wie verschiebt man Dateien in andere Ordner oder in die Cloud? Wer die Antworten für selbstverständlich hält, kann sich rühmen, schonmal zu den 49 Prozent der Deutschen zu gehören, die mindestens grundlegende digitale Kompetenzen aufweisen. Die Kehrseite: der anderen Hälfte der Bevölkerung fehlen sie.
Zu diesem Schluss kommt der DESI 2023, der Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft, mit dem die EU den Fortschritt ihres Politikprogramms „Weg in die digitale Dekade“ misst. Bis 2030 sollen sich die Mitgliedsstaaten der EU in vier Bereichen – Human Capital, Digital Infrastructures, Integration of Digital Technology und Digital Public Services – auf die Herausforderungen und Chancen des digitalen Zeitalters eingestellt haben.
Hier geht es zum offiziellen Selbsttest.
Amateure und Spezialisten
Einer der vier Indikatoren des Politikprogramms liegt auf der Bildung der Bevölkerung, des Human Capital also: 80 Prozent der Erwachsenen sollen EU-weit dazu in der Lage sein, digitale Technologie für ihre alltäglichen Aufgaben zu nutzen. Darüber hinaus soll es bis zum Ende der Dekade mindestens 20 Millionen ICT-Spezialisten (Information and Communication Technology) geben. Der Überbegriff beschreibt ausgebildete Menschen, deren Arbeit darin besteht, Telekommunikationsgeräte, Hard- und Software zu entwickeln, zu bedienen oder zu warten. 2022 zählte die EU rund 9 Millionen solcher Spezialisten, knapp ein Viertel davon kam aus Deutschland.
An dem Punkt öffnet sich eine Schere: Die Zahl der hoch qualifizierten ICT-Spezialisten steigt EU-weit mit großer Geschwindigkeit an – sie wuchs seit 2012 um mehr als die Hälfte. Natürlich sind die Mitgliedsländer auch aus wirtschaftlichen Gründen bemüht, die Ausbildung solcher Spezialisten zu fördern. Gleichzeitig gibt es da die Bürger, die wirklich gar nichts mit digitaler Technologie anfangen können. Für sie sieht die EU vor, „Digitale Kompetenzen“ auszubilden – aber was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff?
Was sind „Digitale Kompetenzen“?
2017 hat die EU ihr „Digitales Kompetenz-Framework" überholt, in dem sie beschreibt, wie sie digitale Kompetenzen erhebt. Sie teilt diese in fünf Bereiche auf, in denen man jeweils einen Kenntnisgrad erreichen kann. Der ist in acht Stufen gegliedert, vom blutigen Anfänger bis zum Spezialisten. Die fünf Bereiche der Digitalen Kompetenz sehen wie folgt aus:
- Information und Datenverständnis
Hier geht es darum, wie gut man digitale Inhalte verstehen und durchsuchen kann, wie leicht man zu Informationen gelangt und auch darum, ob man Falschinformationen erkennt.
- Kommunikation und Kollaboration
Interaktion im digitalen Raum, also in Sozialen Medien, auf Messageboards oder Kollaborationsplattformen und das Teilen von digitalen Inhalten stehen hier im Vordergrund, aber auch, wie gut man mit seiner digitalen Identität umgeht, und ob man die klassische Netiquette verinnerlicht hat.
- Erstellen digitaler Inhalte
Dieses Feld dreht sich um die Fähigkeit, Inhalte im digitalen Raum selbst zu erstellen oder weiterzuverwenden. Kenntnisse über Copyright und auch grundlegende Programmierkenntnisse gehören in diesen Bereich.
- Sicherheit
Der Bereich erfasst, ob man seine Daten, seine Privatsphäre, aber auch seine Geräte wirkungsvoll schützen kann. Zusätzlich erfasst das Feld, wie man seine eigene Gesundheit und sein Umfeld absichern kann, wenn man sich im digitalen Raum aufhält.
- Problemlösung
Zuletzt erhebt die EU, ob man dazu fähig ist, technische Probleme zu lösen. Dazu gehört auch, notwendige Maßnahmen zu identifizieren und sich bei Wissenslücken selbst informieren zu können.
Der Grad der Kompetenz in einem der fünf Bereiche macht sich anschließend an drei Faktoren fest: Wie komplex sind die Aufgaben? Wie autonom kann man sie bewältigen? Und welche kognitive Domäne wird dafür bemüht?
Wo steht Deutschland?
Im EU-Vergleich schneidet Deutschland eher schlecht ab: Nur 49 Prozent der Deutschen weisen grundlegende „Digitale Kompetenzen“ auf – in der gesamten EU sind es 53 Prozent. Damit liegt Deutschland auf dem 23. Platz von 28 Mitgliedsstaaten. Und während 27 Prozent der EU-Bevölkerung schon etwas mehr als die Grundlagen beherrschen, sind es in Deutschland nur 18 Prozent – bloß Rumänien und Bulgarien schneiden mit weniger als 10 Prozent noch schlechter ab. Finnland und die Niederlande führen die Tabellen jeweils an – da ist also noch ziemlich viel Luft nach oben.
Deutschland fokussiert sich beim Fördern von digitalen Kompetenzen allerdings auch eher auf die Weiterbildung im Rahmen des Arbeitsplatzes. In der Richtung lässt sich durchaus Bewegung feststellen, das „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ sei nur als Beispiel erwähnt. Das sorgt für Zuschüsse aus der Agentur für Arbeit bei Weiterbildungen und Lehrgängen. Die Krux liegt aber darin, dass Deutschland sich auf seine mittelständischen Unternehmen verlässt, um Fördertöpfe zu aktivieren – in entsprechenden Publikationen verbirgt sich das Konzept hinter dem Begriff des "lebenslangen Lernens". Das erlegt die Bildungsverantwortung hauptsächlich den Bürgern auf, statt von oben für Veränderungen zu sorgen. Der noch aus Covid-Zeiten stammende über 5 Milliarden Euro schwere Digitalpakt Schule sollte das eigentlich leisten. Damit wollte Deutschland die EU-Ansprüche direkt mitnehmen und seine edukative Infrastruktur digital runderneuern. Von den Fördergeldern wurden aber bisher nur rund zwei Milliarden Euro überhaupt genutzt, dabei war er bis zum Jahr 2024 angelegt.
Die Rolle der Europäischen Union
Diese Infrastruktur wäre aber dringend nötig, um die Vorgaben umzusetzen, die die EU in ihrem Aktionsplan für digitale Bildung (DEAP) aufstellt. Der Plan sieht beispielsweise Informatikunterricht in Primar- und Sekundarschulen vor und widmet sich ausführlich dem "Blended Learning" – also der Zuhilfenahme von digitaler Technologie für den Schulbetrieb, wie Videomodule, Gamifizierung oder Remote-Unterricht. Im Rahmen des Aktionsplans hat die EU bereits ein Handbuch für Lehrkräfte entwickelt, das sich um die Förderung digitaler Kompetenzen dreht, mit SELFIEforTEACHERS stellt sie ein Online-Tool für Lehrkräft bereit, die digitale Möglichkeiten im Unterricht nutzen wollen und die European School Education Plattform forscht zu den Herausforderungen der digitalen Bildung – wie jüngst zum Einsatz von KI im Unterricht. Die Grundlagen gibt es also bereits, jetzt braucht es nur noch die Brücke zwischen Material, Lehrkörper und den Angeboten der EU. Dabei reicht es offenbar nicht, nur Kisten mit Tablets in die Klassenräume zu stellen, wie bisher.
Von EU-Seite stehen annähernd 26 Milliarden Euro aus dem Erasmus+-Programm zur Verfügung, das einen Großteil der EU-Bildungsinitiativen mit Mitteln versorgt. Diesbezüglich herrscht auch Einigkeit unter den großen EU-Fraktionen EVP, S&D und den Grünen: Erasmus+ soll in Zukunft gestärkt und ausgeweitet werden. In der aktuellsten Erhebung von 2022 zeigt sich allerdings, dass Deutschland die meisten Gelder daraus (185 Millionen Euro) in die Förderung von Projekten im Bereich der höheren Bildung steckt. Nur ein Bruchteil von 37,5 Millionen Euro fließt in die Förderung von Schulbildung.
Wagt man einen vorsichtigen Ausblick, dann ist zu erahnen, dass die rechtskonservative EVP bei einem Wahlsieg eher weniger Anstalten machen wird, die Schere zu schließen. Sie steht für die Subsidiarität im Bildungswesen, die Verantwortung liegt demzufolge bei den Mitgliedsstaaten, nicht primär bei der EU. Die sozialdemokratisch eingestellte S&D legt einen etwas größeren Schwerpunkt auf das Einschließen von sozial schwachen Bevölkerungsschichten und begreift die digitale Bildung vor allem als Grundlage für die politische Teilhabe des Individuums. Beide Fraktionen sorgen sich außerdem darum, dass mangelnde digitale Bildung Tür und Tor für Falschinformationen und Desinformationskampagnen öffnet. Für die Wahl 2024 muss die aktuelle, verbesserungswürdige digitale Kompetenz der EU-Bevölkerung aber wohl genügen.
(kki)