Elektro-Lkw: Bollinger Motors stellt Plan B zurück – und baut zunächst Lastwagen

Die Batterie-Geländeautos Bollinger B1 und B2 waren Kult, bevor sie auf den Markt kamen. Doch nun muss sich das US-Start-up vorerst auf E-Lkw konzentrieren.

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Bollinger Motors

Bollinger schwenkt von brillanter Geländetechnik zu einfachsten Lkw-Fahrgestellen. Konventionelleren Fahrzeugbau findet man sonst nirgends mehr. Offenbar hat sich das Start-up etwas zu sehr verkopft und muss nun jede Chance zum Geld verdienen nutzen.

(Bild: Bollinger Motors)

Lesezeit: 6 Min.
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Die aufsehenerregenden Elektro-Gelände-Pkw des US-amerikanischen Start-Up-Autoherstellers Bollinger aus Oak Park, Michigan, sollen zumindest auf absehbare Zeit der Lkw-Produktion weichen. Tausende Bestellungen des ab 125.000 Dollar in den USA angebotenen B1 werden rückabgewickelt – die Anzahlungen von je 1000 Dollar zurücküberwiesen. Grund ist eine Managemententscheidung, die B-Modelle zugunsten von Elektro-Lkw wenigstens vorübergehend zurückzustellen.

Bollinger B1 und B2 hätten das Zeug gehabt, gegen Elektro-Geländewagen wie Rivian R1S und R1T, den Tesla Cybertruck oder den Ford F150 Lightning anzutreten, waren aber deutlich teurer.

Seine Erfahrungen mit dem E-Antrieb will Bollinger vorerst in die Entwicklung elektrischer Lastwagen der vier US-Klassen von 4,5 bis 12 Tonnen einbringen. Mit seinen Batterien im Leiterrahmen sollen die Trucks mit verschiedenen Radständen Reichweiten von mehreren hundert Kilometern erreichen. Der Aufbau kann vom Kunden fast beliebig gewählt werden, wie es in der Branche üblich ist. Von Bollinger stammen die 700-Volt-Batterien, der Hinter- oder Allradantrieb sowie die Steuerung.

"Wir haben unzählige Stunden harter Arbeit und Leidenschaft investiert, um etwas zu schaffen, auf das wir alle sehr stolz sind", schreibt Robert Bollinger, "heute jedoch verschieben wir die Entwicklung und verlagern unseren Schwerpunkt auf Nutzfahrzeuge und Flotten. Das ist ein sehr wichtiger Schritt für uns, denn er ermöglicht es uns, unsere Technik weiterzuentwickeln und einen echten Beitrag zur grünen Zukunft der Automobilindustrie zu leisten."

Bollinger E-Lkw (10 Bilder)

Bollinger hat seine Batterien und Teile seines Elektroantriebs in das übliche skalierbare Lkw-Fahrgestell eingepasst. Ein harter Kontrast zu den brillianten Lösungen in seinen Geländeautos.

2015 hatte Robert Bollinger in Hobart, Upstate New York, begonnen, elektrische Nutz- und Geländefahrzeuge zu entwickeln. 2017 konnte das Start-up die beiden allradgetriebenen Modelle B1 und B2 mit extrem innovativen Detaillösungen vorstellen. Ihr kompromissloses Erscheinungsbild und die versprochene Leistungsfähigkeit sprach zusätzlich viele potenzielle Kunden an.

Kantiger als sein britisches Vorbild Land Rover, der Ende der 1940er-Jahre als Wiederaufbauhelfer herauskam und erst 2016 mit dem Beinamen "Defender" aus der Produktion genommen wurde, ist der 4,76 Meter lange Bollinger B1 modern, aber ebenso kompromisslos: Die Überhänge sind kurz, Rundungen sucht man vergebens, ähnlich auch einem Lamborghini LM 002 oder dem Hummer H1. Für eine sehr ernsthafte Geländeperformance hat der Bollinger außer seinem Allradantrieb eine Einzelradaufhängung mit hydropneumatischer Federung und Radvorgelege, welche die Bodenfreiheit inklusive anderer Maßnahmen auf üppige 38 cm vergrößern hilft.

Es gibt Baumaschinen mit reichhaltigerer Ausstattung: Der B bietet Einzelsitze, ein Armaturenbrett mit drei analogen Rundinstrumenten, ein paar Kippschalter und ein Dreispeichen-Lenkrad. Die Ladelänge bezieht die gesamte Fahrzeuglänge inklusive nach hinten offenem Frunk ein, in die 5,20 Meter lange Pick-Up-Version Bollinger B2 passt bei geschlossener Heckklappe fünf Meter lange Ladung, ohne herauszuragen.

Nichts an dem retro-charmanten Geländewagen deutet optisch auf seinen groß dimensionierten Elektro-Allradantrieb. Der knapp 2,2 Tonnen schweren Bollinger B1 bietet beeindruckende 458 kW und 905 Nm maximales Drehmoment und erreicht 160 km/h. Aus dem Stand spurtet er in unter fünf Sekunden auf Tempo 100 km/h. Die beiden Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse mit Zweigang-Getriebe werden von einer 120-kWh-Batterie gespeist, die Reichweite beträgt 320 Kilometer. An einem Schnellladegerät soll ein leerer Speicher dank mit 700-Volt-Technik in rund 75 Minuten ladbar sein. Angekündigt waren auch 180 kWh für Reichweiten von mehr als 500 Kilometern.

Die Bilder der geplanten Lkw-Fahrgestelle, die Bollinger seiner Meldung beilegt, zeigen, dass offenbar nichts von der überlegenen Geländetechnik verwendet werden soll. Auf den Darstellungen sieht man konventionelle Leiterrahmen, daran Starrachsen an Blattfedern, so wie man seit 120 Jahren Nutzfahrzeuge baut. Das hat Kostengründe, ist in Länge und Tragkraft einfach skalierbar und ist auch heute noch die robusteste und am einfachsten zu reparierende Bauweise. Das Know-how, von dem Bollinger spricht, wird sich bei solchen Fahrzeugen also streng auf Akkus und Motoren beschränken. Mit allem, was darüber hinaus ginge, würde sich die junge Firma umgehend aus der Konkurrenz katapultieren. Um die Kräfte besser zu bündeln, arbeitet Bollinger bei der Entwicklung der E-Trucks seit Anfang Dezember 2021 mit dem Lkw-Spezialisten EAVX "strategisch" zusammen.

Bollinger E-Lkw II (7 Bilder)

Der B1 ist ein klassischer Station Wagon, der B2 ein Pritschenwagen. Beide versprechen höchste Geländegängigkeit.

Zwischenzeitlich, im Mai 2020, hatte Bollinger versucht, die aufwendige B-Entwicklung etwas abgespeckt im Nutzfahrzeugsegment zu kommerzialisieren und angekündigt, seine Entwicklung als Rolling Chassis mit der in den B-Modellen vorgestellten Technik-Hardware inklusive der Batterien vermarkten zu wollen. Es handelte sich um ein Chassis mit Längsträgern aus geschweißten Rohren, aber noch mit der kompletten Einzelradaufhängung für die US-amerikanische Kategorie "Class-3-Truck", also zwischen 4536 und 6350 kg Gesamtgewicht. Bollinger schrieb von "Konfigurationen mit Front- oder Hinterradantrieb, mit oder ohne Portal-Schaltnaben, variablem Radstand und bis zu 180-kWh-Akku für Anforderungen an eine größere Reichweite".

Da konnte man bereits heraushören, dass auch an technisch vereinfachte Lösungen gedacht war. Letztlich wird aber auch das den angesprochenen Kunden (darunter auch das Militär) zu teuer gewesen sein.

Was den potenziellen Geländewagen-Kunden bleibt, ist da lediglich die Hoffnung, dass das Lkw-Geschäft bald die Produktion der aufwendig konstruierten B1 und B2 finanziell mittragen kann. Möglicherweise kann Bollinger ja zurückkehren zu den aufsehenerregenden Konstruktionen, die das Start-up bekannt gemacht haben. Zumindest hieß es, man werde die Anzahlungen zurückerstatten, bis man einen neuen Zeitplan für die Wiederaufnahme der Geländewagenfertigung habe.

(fpi)