Elektromobilität: Lücke im Lärmmessverfahren bei Elektroautos

Im 2014 eingeführten Lärmmessverfahren für Kraftfahrzeuge klafft eine Lücke. E-Autos werden darin zwar gründlich besprochen, doch nicht adäquat gemessen.

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BMW Akustikmessung

BMW Sounddesigner Renzo Vitale und BMW Vision M NEXT im Freifeldraum

(Bild: BMW)

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Vor ein paar Tagen ließ eine Meldung der Deutschen Presseagentur aufhorchen, mit dem aufs erste Lesen absurd tönenden Einstieg "die neu zugelassenen Autos in Deutschland werden offiziellen Daten zufolge immer leiser. Das liegt nicht an Elektroautos, denn bei den Messungen liefern diese eher hohe Werte". Laut Kraftfahrt-Bundesamt ist bei den Neuzulassungen zwischen 2018 und 2022 die durchschnittliche Lautstärke von 70 auf 67,7 Dezibel gesunken. Klingt nach nicht viel, entspricht für den Gehörseindruck jedoch einer Reduktion im Bereich um etwa ein Viertel, wegen der logarithmischen Größe der Einheit Dezibel.

Das ist – abgesehen von offenbar nicht kleiner gewordenen Schlupflöchern für "sportliche Auspuffanlagen" – eine gute Nachricht. Vollkommen quer in diese statistische Erkenntnis ragt jedoch die Feststellung, dass einige Modelle des E-Auto-Herstellers Tesla deutlich über dem Gesamtschnitt liegen. Das passt nicht in das Bild vom fast lautlosen Elektroantrieb, für den deshalb seit 2019 auch eine Warngeräusch-Pflicht namens AVAS (Acoustic Vehicle Alerting System) gilt. Die Autos sollen mit künstlichen Klängen auch von in ihrer Wahrnehmung eingeschränkten Menschen als Gefahr erkannt werden können.

Wie es dazu kommt, kann man in den Messvorschriften für die Lärmemission in der Verordnung "(EU) Nr. 540/2014" vom 16. April 2014 finden. Sie regelt die "technischen Anforderungen für die EU-Typgenehmigung" von allen neu in den Verkehr kommenden Pkw, damit auch deren Lärmemissionsmessung. Die E- und Hybridautos (gemeint sind wohl Plug-in-Hybride) werden dort eingangs wegen ihrer angeblichen Lautlosigkeit als problematisch beschrieben und daher schon in der ersten Fassung ihre Ausstattung mit AVAS gefordert.

In den Messvorschriften werden naturgemäß haarklein möglichst viele Parameter berücksichtigt, die sich potenziell auf das Ergebnis auswirken, wie etwa den Standort des Mikrofons oder die Luftbewegung. Das gilt allerdings für alle Fahrzeugarten. Interessant für den Fall "konventionelles vs. Elektroauto" sind daher die fahrzeugbezogenen Vorschriften. Darunter Gewicht, Leistung und das daraus resultierende "Leistungs-Masse-Verhältnis" (PMR) sowie eine Sollbeschleunigung (maximal 2 m/s2), eine "Beschleunigung, die nach statistischen Erhebungen für den Stadtverkehr charakteristisch ist". Dazu kommt eine Zielgeschwindigkeit von 50 km/h nach der Beschleunigung.

Weitere Annahmen und Vorschriften sollen – unter anderem durch kompliziert errechnete Gewichtungen – auch vergleichbare Bedingungen für die unterschiedlich motorisierten und verschieden schweren Fahrzeuge schaffen. Bei Autos mit Verbrennungsmotor etwa muss ein bestimmter Gang eingelegt sein, um die geforderte Beschleunigung zu erreichen, für Automatikgetriebe gelten andere Auflagen.

Ab einem bestimmten Punkt der Messstrecke ist das Fahrpedal "vollständig niederzutreten" und dann innerhalb des Messfensters "in vollständig niedergetretener Stellung zu halten". Bei konventionell motorisierten Fahrzeugen soll damit die mögliche Beschleunigung abgerufen werden, die nach den oben genannten Parametern möglich ist. Das bedeutet typischerweise eine Beschleunigung mit langsam aufbauendem Drehmoment. Zusätzlich verringert die Übersetzung im gewählten Gang das Raddrehmoment. Antriebs- und Auspuffgeräusch bleiben daher das dominierende Schallereignis bei der Messung konventioneller Autos.

Anders bei Elektroautos: bei ihnen ist der Antrieb deutlich leiser, jedoch kommt fast augenblicklich das volle Drehmoment an den Rädern an, was für Sekundenbruchteile dazu führt, dass das Reifengeräusch dominant wird. Es kann dann lauter sein als das Antriebsgeräusch eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor. Das gilt ausweislich der vom KBA genannten Statistik besonders für hochmotorisierte Elektroautos wie jene von Tesla. Unsere Anfrage beim TÜV Süd ergab, dass ein BMW i3 mit deutlich geringerer Leistung und sehr schmalen Reifen unauffällig war. Das passt also ins Bild.

Es gibt aber eine weitere Lücke in dieser Vorschrift. Elektroautos sind inzwischen in der Regel kräftig genug, um die Beschleunigungsgrenze von 2 m/s2 leicht zu reißen. Dieser Umstand wird in den Messvorschriften allerdings nicht weiter berücksichtigt. Manche Ingenieure behelfen sich mit Distanzstücken, die sie unter das Fahrpedal legen, um die vorgeschriebene Beschleunigung nicht zu überschreiten. Andere tolerieren mangels Vorschrift höhere Werte bis zu 5 m/s2. Man mag kaum glauben, dass auf den Ergebnissen solcher Messungen Zulassungen für Elektroautos für die ganze EU beruhen.

Sollten Sie also künftig Sensationsmeldungen über angeblich laute Elektroautos lesen, schenken Sie dieser Art der Berichterstattung ein Lächeln. Sie beruhen ja nur auf Unzulänglichkeiten bei der Messung. Ein wirklicher Aufreger ist das Thema ohnehin nicht, weil bei den meisten Pkw ungeachtet der verschiedenen Qualitäten des Gehöreindrucks so gut wie Gleichstand herrscht: Schon 2011 haben das Vergleichsmessungen des Vorbeifahrgeräuschs verschiedener Autos und Kleintransporter am Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen ergeben. Konventionelle Autos waren schon damals nur bei Vollgas und hoher Drehzahl lauter, bei normaler Fahrweise waren die Unterschiede zu batterieelektrischen Autos vernachlässigbar. Das galt auch für subjektive Wahrnehmungen von Versuchspersonen zwischen fünf und 95 Jahren: Sie konnten kaum zwischen einem baugleichen Auto mit Verbrenner respektive Elektroantrieb unterscheiden.

(fpi)