Stereotypen überwinden: Was helfen würde, die Diversität zu erhöhen

Seite 2: Diverse Forschung

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Wissenschaftliche Erkenntnisse legen allerdings nahe, dass die Ursache für mangelnde Diversität mitnichten genetisch bedingtes Desinteresse von Frauen und anderen Gruppen an Mathematik und Informatik ist. Es sind gesellschaftliche Umstände – angefangen bei familienunfreundlichen Arbeitszeiten über fehlende Kinderbetreuung bis hin zu gesellschaftlichen Stereotypen, die Frauen andere Interessen zuschreiben. Sinah Gürtler erforscht an der FU Berlin, wieso so wenige Frauen Informatik studieren und von diesen wenigen auch noch viele ihre akademische Karriere abbrechen. Lediglich 18 Prozent der Informatikstudierenden sind weiblich, sagt Gürtler, "der Studiengang ist sehr stereotypbehaftet". Diese Stereotype würden bereits in der Schule gefestigt, denn auch Lehrkräfte sitzen der teils unbewussten Überzeugung auf, dass Mädchen in entsprechenden Fächern weniger begabt seien. "Lehrkräfte fördern Jungen in der Informatik mehr als Mädchen, dazu gibt es viele Studien." Dadurch sei das Interesse von Mädchen geringer, was wiederum in einen Teufelskreis führe: "Wenn Schülerinnen sich nicht zugehörig fühlen, dann wählen sie das Fach nicht, sie sagen dann: Wenn das nur Jungs machen, dann mache ich das nicht."

Sinah Gürtler erforscht an der FU Berlin den Gendergap in der Informatik – einem stark stereotypbehafteten Studiengang. Sie sieht den Anfang des Teufelskreises, der Frauen aus der Informatik fernhält, bereits in der Schule.

(Bild: Sinah Gürtler)

Der Teufelskreis schließt sich, wenn diese Jungen dann ihr Interesse in der Informatik festigen, Informatik studieren und später selbst Lehrer werden – denn auch sie tragen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Vorstellung in sich, dass sich Frauen eigentlich nicht für das Fach interessieren oder dafür keine Begabung haben. "In der Informatikdidaktik wird es nicht als Problem gesehen, dass es so wenige Frauen sind", erklärt Gürtler. Oft werde sie gefragt, wieso denn jetzt auf einmal Frauen Informatik studieren sollten, wo es sie doch nicht interessiert.

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Im Studium trägt dann wiederum diese Haltung dazu bei, dass die wenigen Frauen, die sich bis dahin nicht haben abschrecken lassen, eine Atmosphäre vorfinden, die sie nicht gerade ermutigt. "Invisible disencouragement" nennt Mareike Lisker das, was ihr im Informatikstudium entgegenschlug. Lisker sagt, dass sie sich in der Schule durchaus habe abschrecken lassen: "Ich habe mich in Mathe und Informatikkursen nie wohlgefühlt, das Sozialverhalten war anders." Deshalb hat sie zunächst Philosophie und Linguistik studiert. An der Uni habe sie schließlich Informatikstudierende kennengelernt, "die ich sympathisch und cool fand", und im Philosophiestudium erkannt, "dass Logik total Spaß macht". So sattelte sie nach dem Bachelor in den anderen beiden Fächern noch ein Informatikstudium drauf.

"Wir dürfen jedoch nicht nur die Eintrittsbarrieren untersuchen, wir müssen auch die Barrieren untersuchen, die Frauen davon abhalten, dabei zu bleiben." Dazu gehörten in Liskers Fall beispielsweise junge raumgreifende Männer, denen die Lehrenden keine Grenzen gesetzt haben. "Sie hatten eine gemeinsame Vorstellung davon, wie man sich verhält, wie man miteinander kommuniziert, was gesellschaftlich anerkannt ist und was nicht. Sie hatten ihren eigenen Verhaltenskodex", schreiben Lisker und ihre Mitstreiterin Verena Irrgang in ihrem Blog mit dem Titel "Why we need fewer men in computer science".

Immer wieder machten die beiden Frauen ihr Umfeld an der Uni außerdem auf eindeutig sexistisches oder ausgrenzendes Verhalten aufmerksam – aber Veränderung im Umfeld geschieht auf diese Weise nur sehr langsam. "Diese Art Veränderung herbeiführen zu wollen, skaliert nicht", wie Lisker feststellt. Zudem geht sie auf Kosten der betroffenen Frauen, die ihre Zeit und Energie eigentlich in anderes, nämlich Inhalte, investieren wollen. "Stattdessen wollen wir die Arbeit zur Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter auch auf die Schultern der Männer verlagern, da auch sie für die Veränderung des ungleichen Status quo verantwortlich sind", so die Autorinnen. Und nachdem alle Aufforderungen, mehr Frauen in die Informatik zu bringen, kaum etwas verändert hätten, sei es nun an der Zeit, etwas Neues zu probieren: weniger Männer statt mehr Frauen.

Sollten Männer also der Informatik den Rücken kehren, solange im Fach so ein starker Geschlechterunterschied besteht? "Wir müssen Männer im Hier und Jetzt verantwortlich machen", sagt Lisker. Das klingt zunächst schräg, aber sie sind nicht die einzigen, die diese Stellschraube für mehr Diversität gefunden haben. Sheila Beladinejad hat kürzlich auf einem Panel zur Eröffnung eines Hackathons einen männlichen Redner gehört, der sagte: "Männer sollten Paneleinladungen ablehnen, wenn das Panel nicht divers besetzt ist." Solche Forderungen nehmen die Männer in die Pflicht.

Lisker selbst hat der Informatik vorerst wieder den Rücken gekehrt und schreibt gerade ihre Masterarbeit in Philosophie. Parallel arbeitet sie jedoch als Werkstudentin in einem Unternehmen an Chatbots und erwägt, wieder in die Informatik zurückzukehren: Auf einer Konferenz der Gesellschaft für Informatik hat sie kürzlich Frauen kennengelernt, die sich wie sie mit der Frage beschäftigen, wieso so viele Frauen im Laufe ihrer Karriere verschwinden. Es gebe dort sogar einen ganzen Fachbereich "Frauen und Informatik", berichtet sie begeistert. Das habe sie ermutigt. "Informatik formt so sehr, wie wir die Welt wahrnehmen", sagt sie, "das können wir nicht den Männern überlassen".

Vor allem mit der Erinnerung an den auffällig anderen Umgang der Lehrenden mit dem begabten, raumgreifenden und dabei rüpelhaften Kommilitonen. "Wir fragten uns damals auch, wie man uns wohl behandeln würde, wenn wir uns so verhalten würden wie dieser Crack."