Gleichstrom-Ladegeschwindigkeit und Langstreckentauglichkeit beim Elektroauto

Je schneller die Gleichstromladung, desto besser die Langstreckentauglichkeit. Das geht nicht ohne Temperaturmanagement. Audi, Porsche und Tesla machen es vor.

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Kurvendiskussion: Die Gleichstrom-Ladegeschwindigkeit beim Elektroauto

Schnellladen ist oft möglich, aber nicht immer sinnvoll.

(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Es ist zum Reflex geworden, an einem Ionity-Ladepark auf die Displays zu gucken, falls dort ein batterieelektrisches Auto lädt: Wie hoch sind Ladestand (abgekürzt SOC für State of Charge), Leistung in Kilowatt (kW) sowie Spannung in Volt (V) zu diesem Zeitpunkt?

Interessant wird das vor allem, wenn das Elektroauto noch nicht im regulären Verkauf ist. So wurde ich Ende Februar auf der A7 bei einer Autobahn-Messfahrt mit exakt 130 km/h in einer Renault Zoe (Test) von zwei VW ID.3 überholt. Und glücklicherweise standen die beiden wenige Kilometer weiter am Rasthof Lüneburger Heide Ost. Die Werksfahrer grüßten höflich und sagten unaufgefordert, ihnen wäre bewusst, dass sie das Fotografieren im öffentlichen Raum nicht verhindern könnten. Bei einem SOC von 61 Prozent kamen die ID.3 auf 43 kW Ladeleistung, die Renault Zoe erreichte bei SOC 75 Prozent noch 27 kW.

Das dazugehörige Stichwort, das in den Foren der Elektroauto-Szene kontrovers diskutiert wird, heißt Ladekurve. Ende 2019 erregte eine Studie des Beratungsunternehmens P3 Group Aufmerksamkeit, weil ein Vergleich der Ladekurven nach bestimmten Parametern den Porsche Taycan zum langstreckentauglichsten Elektroauto kürte. Im Kern geht es immer darum, wie schnell die Batterie mit Gleichstrom (abgekürzt DC für direct current) geladen werden kann und welche lebenspraktischen Konsequenzen das hat.

Gleichstrom-Ladegeschwindigkeit (11 Bilder)

Zufallsbegegnung an der A7: Zwei Prototypen des Volkswagen ID.3 und in der Mitte der Testwagen Renault Zoe von heise Autos. Bei Ionity werden auf dem Display der Säulen die aktuelle Ladeleistung, der Ladestand (SOC) sowie die Batteriespannung angezeigt. Bei den ID.3 waren es 43 kW bei einem von 61 Prozent.
(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Der Hintergrund: Es gehört zu den unbequemen Wahrheiten vieler aktueller Elektroautos, dass sie auf langen Strecken unbrauchbar sind. Genau hier sind nämlich die DC-Ladeleistung und folglich die Ladegeschwindigkeit von großer Bedeutung. Beispiel Renault Zoe R135: Hier lässt bereits die Werksangabe von einer Stunde und zehn Minuten bis zu einem SOC von 80 Prozent erahnen, dass es mühselig wird, wenn man weit fahren möchte. Im Praxistest lag die Autobahn-Reichweite des beliebten Kompaktwagens bei Richtgeschwindigkeit zwischen 150 und 200 Kilometer. Die Zwangspause kommt früh und wird zäh.

Um eine lange Strecke bewältigen zu können, sollte ein batterieelektrisches Auto eine exzellente Aerodynamik und den daraus folgenden niedrigen Autobahnverbrauch, eine hohe Batteriekapazität sowie eine hohe Ladeleistung vereinen. Ein herausragendes Positivbeispiel dafür ist das Tesla Model 3 (Test), bei dem sich die Fahrer außerdem auf das perfekt funktionierende Netzwerk der Supercharger verlassen können.

Grundsätzlich gilt, dass bei einem niedrigen SOC hohe Ladeleistungen erwartet werden dürfen, die im Verlauf nachlassen. Pauschalisierungen sind wegen der Vielfalt der Batteriesysteme nicht hilfreich, vielmehr muss jeder potenzielle Kunde für sein Nutzungsprofil prüfen, ob das gewünschte Elektroauto tauglich ist.

So schafft ein Tesla Model 3 bei einem niedrigen Ladestand von unter zehn Prozent bis zu 250 kW. Rechnerisch wären also in einer Stunde 250 kWh drin. Faktisch reduziert sich die Leistung allerdings in einer steil abfallenden Kurve. Das wiederum beeinflusst die Ladestrategie.

Wer mit einem batterieelektrischen Auto eine weite Tour zurücklegen will, lädt möglichst über Nacht komplett voll. Und weil der Strom an den DC-Säulen teuer ist, wird jeder nur so viel zapfen, wie zum Ankommen notwendig ist. Der Besitzer eines Tesla Model 3, der eine 500 km lange Strecken vor sich hat, wird die Batterie also möglichst weit herunterfahren und prüfen, wo dann der nächste Supercharger oder eine schnelle DC-Säule eines alternativen Anbieters wie Ionity ist.

Ein Audi e-tron (Test) dagegen verhält sich anders und lässt sich leichter nutzen. Bei ihm liegt die Ladeleistung bis zu einem SOC von etwa 70 Prozent nahezu konstant bei rund 150 kW. Der Unterschied im Verlauf der Geschwindigkeit über den SOC ist also nahezu gleichgültig, das vereinfacht die Planung. Beim e-tron ist die stetige Ladeleistung das Resultat eines aufwendigen Heiz- und Kühlsystems mit vier getrennt regelbaren Flüssigkeitskreisläufen, die immer für Wohlfühltemperatur sorgen.

Denn darum geht es: Die Batterie soll so zügig wie machbar mit Strom gefüllt werden, ohne sie zu schädigen. Wenn es anders als bei Tesla, Audi oder Porsche aber kein aktives Temperaturmanagement gibt, bleibt dem Hersteller nur, die Ladeleistung per Software auf Vorsicht auszulegen – was zu diversen Problemen führt.

Bekannt geworden ist das Phänomen des Batterieschutzes durch den Nissan Leaf (Test). Die zweite Generation fiel bei wiederholter DC-Schnellladung mit einem Einbruch der Ladeleistung auf. In Social Media-Kanälen wurde der heute übliche Begriff „Rapidgate” geprägt. Rapidgate (oder auch als Verb „rapidgating”) beschreibt die gezielte Reduktion der Ladeleistung, um die Batterie vor Überhitzung und damit vor Verschleiß zu bewahren.

Neben zu hohen sind auch sehr niedrige Temperaturen schlecht. Eine kalte Batterie kann weniger Leistung aufnehmen. War es der norwegische Blogger Björn Nyland, der den Begriff „Coldgate” bzw. „coldgating” zuerst aufgebracht hat? So oder so ist es inzwischen etabliert, von Coldgate zu sprechen, wenn die Ladeleistung bei zu niedrigen Außen- und Batterietemperaturen einbricht.

Auch dagegen gibt es ein Mittel, nämlich die Batterieheizung. Das frisst zwar zu Beginn ein paar Kilowattstunden, zahlt sich jedoch aus. Beim Tesla Model 3 und beim Audi e-tron ist sie serienmäßig; bei Audi kann für Kaltländer wie in Skandinavien, aber auch für Deutschland ein zweiter Zuheizer (380 Euro) geordert werden. Kunden sollten darauf achten.

Elektrochemische Speicher ohne aktives Temperaturmanagement schneiden bei der DC-Ladung schlecht ab. So ist der VW e-Up (Test) zwar vorbildlich, weil die Kapazität nach einem Facelift nahezu doppelt so groß ist wie vorher und der Preis deutlich sank. An der DC-Säule sind die 40 kW Werksangabe trotzdem ein theoretischer Wert, im Praxistest von heise/Autos reduzierte sich die durchschnittliche Leistung in einem Fall auf 13 kW. Bei einem Kleinstwagen ist das wohl hinnehmbar.

Kritik musste auch Hyundai nach der Überarbeitung des Ioniq einstecken. Der Ioniq überzeugt mit einem sehr niedrigen Stromverbrauch, er war bei heise Autos das bisher sparsamste Elektroauto überhaupt. Die von 28 auf 38 kWh gewachsene neue Batterie lädt aber langsamer als die alte, weswegen manche Fans auf die erste Generation schwören. Die Renault Zoe ermöglicht mit der DC-Option für 1090 zwar durchweg schnelleres Laden als mit Wechselstrom (AC). Die Differenz ist wegen des serienmäßigen 22 kW AC-Ladegeräts aber nicht sonderlich hoch und das Extra damit fragwürdig. Oder, anders formuliert: Auch mit der DC-Fähigkeit wird die Zoe nicht zum Autobahnliebling.

In Einzelfällen wie beim Audi e-tron veröffentlichen die Hersteller selbst die Ladekurven. Eine gute Unterstützung sind auch die Ladekurven des niederländischen Infrastrukturbetreibers Fastned. Fastned übernimmt nicht die Daten der Hersteller, sondern veröffentlicht eigene Messwerte. Forenberichte sind ein weiterer guter Wissensbeitrag, solange die Quelle transparent und erkennbar verlässlich ist. Beim Verständnis aller Ladekurven ist es wichtig zu begreifen, dass sie bei unterschiedlichen Batterietemperaturen auch anders verlaufen können, die Werte sind also nicht verbindlich.

Eigentlich sollte es diese Kurvendiskussion gar nicht geben. Sie ist das Zeugnis für Probleme und Varianz, die es beim DC-Laden von batterieelektrischen Autos weiterhin gibt und die zu Einschränkungen bis hin zu einer gewissen Autobahn-Untauglichkeit führen. Die Spanne ist groß und reicht von preisgünstigen Elektroautos ohne aktives Temperaturmanagement mit schlechten Ergebnissen bis zu Spitzenprodukten wie dem Audi e-tron, dem Porsche Taycan oder dem Tesla Model 3. Übrigens: Auch der Plug-in-Hybrid Mercedes GLE 350de (Test) konnte im DC-Test durch sehr gute Werte überzeugen, was bei dieser Antriebsart einzigartig ist.

Neugierige und Kaufinteressenten sollten darüber hinaus lieber etwas skeptischer sein: Allzu oft neigen die Besitzer eines Elektroautos (wie alle anderen auch) dazu, gute Ergebnisse zu betonen und schlechte zu vergessen. Es ist ebenfalls möglich, dass einzelne Hersteller im Lebenszyklus eine Reduktion der Ladeleistung vorsehen. Bedenkt man jetzt noch, dass die Kapazität langfristig ohnehin sinkt und damit die Reichweite im Alltag, bleibt Geduld weiterhin eine Tugend, die jeder Elektroautofahrer mitbringen sollte.

(fpi)