Greenwashing: Wie sich die Wirtschaft klimaneutral rechnet

Seite 2: Planetly: "Mit unserer Lösung werden Unternehmen #klimaneutral"

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Wie Offsetting geht, weiß Anna Alex. Sie sitzt in dem grünen Innenhof eines vierstöckigen Bürogebäudes in Berlin Mitte und tippt in ihr Linkedin-Profil: "Mit unserer Lösung werden Unternehmen #klimaneutral". In der Berliner Start-up-Szene war Alex lange als Gründerin des Online-Shops "Outfittery" bekannt. Seit sie im Winter 2019 "Planetly" gegründet hat, wird sie auf Panels eingeladen, um zu erklären, wie Unternehmen mit ihrer Software ihren CO2-Ausstoß messen und klimaneutral werden können.

Hinter ihr liegt die offene Bürofläche von "Planetly". Von den 60 Mitarbeitenden sitzen dort nur zwei oder drei hinter ihren Bildschirmen. "Als ich den CO2-Fußabdruck von Outfittery berechnen wollte, habe ich keine Softwarelösung gefunden", erzählt Alex. "Wir hatten einen Berater, der mit einem Excel-Sheet gearbeitet hat und uns dann ein PDF geschickt hat: Das ist jetzt euer Footprint. Aber ein Excel Sheet ist nicht für die Transformation gemacht. Es liefert keine Insights für Entscheidungsträger und -Trägerinnen", sagt Alex.

Anna Alex stellt ihre Unternehmerinnenqualitäten seit 2019 mit Planetly in den Dienst des CO2-Fußabdrucks von Firmen.

(Bild: Planetly)

CO2-Rechner für Unternehmen gebe es schon seit einigen Jahren, der Unterschied zu Planetly sei, so Alex, dass Planetly auf Daten wie Stromverbrauch oder Geschäftsreisen aus der jeweiligen Unternehmenssoftware der Kunden zugreift und den Prozess damit schneller und akkurater mache. "Wir schauen, was die Quick-Wins sind: Travel Policy anpassen, Mitarbeiter im Homeoffice auf grüne Energie umstellen. Oft sind das 20 bis 30 Prozent der Emissionen", sagt Alex.

Über 150 Unternehmenskunden, so eine Unternehmenssprecherin, habe Planetly aktuell. Es gibt sogar ein eigenes Label "Carbon neutral + 2020. Planetly" steht da in einem blauen Kreis auf den Seiten der Planetly-Kunden. Eines dieser Unternehmen ist das Weltraum-Start-up "Yuri". Es hat laut Planetly im Jahr 2020 141 Tonnen CO2 emittiert. Das ist ungefähr so viel, wie 31 Autos durchschnittlich pro Jahr ausstoßen.

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Ich erreiche Yuri-Gründer Mark Kugler per Videoanruf. Um mit Planetly "klimaneutral" zu werden, erzählt er, habe er sich zwei Stunden hingesetzt und Zahlen zu seinem Start-up herausgesucht. Nach Planetlys CO2-Berechnung seien Strom und Geschäftsreisen die größten Posten gewesen. Die CO2-Emissionen der Raketen, so Kugler, hätten sie sogar vorsichtshalber rechnerisch verdreifacht, um sicherzugehen, dass sie auch alles ausgleichen. Sie seien jetzt auf grünen Strom umgestiegen und wollen auf Geschäftsreisen innerhalb Europas nicht mehr fliegen. Den Rest der Emissionen habe Yuri ausgeglichen – indem sie rund 1.000 Euro an ein Solar-Energie-Projekt und ein Brunnenbau-Projekt auf den Philippinen gespendet haben.

Mark Kugler ist Gründer des Weltraum-Start-ups Yuri. Er setzt auf Offsetting für seine Raketen und versucht für Yuris Klimaneutralität, inneratmosphärische Flüge zu vermeiden.

(Bild: Yuri)

Über 100 Unternehmen, so die Planetly-Sprecherin, "haben sich für ein bereits vergangenes Geschäftsjahr durch Kompensation klimaneutral gestellt." Auch der Möbelhändler home24 gibt an, dank Planetly "klimaneutral" zu sein. 22.100 Tonnen CO2, heißt es auf der Website, habe man für das Jahr 2019 ausgeglichen. Wie viel Geld das Unternehmen dafür pro Tonne CO2 ausgegeben hat, möchte es nicht verraten. Mit seinen rund 1.000 Euro hat Weltraumunternehmen Yuri jedenfalls etwa sieben Euro für das Offsetting einer Tonne CO2 gezahlt.

Nur zehn Gehminuten vom Planetlys Büro entfernt, liegt das Büro der Iota Stiftung. Iota ist 2016 als Kommunikationsprotokoll gestartet, das ähnlich wie eine Blockchain funktioniert, aber dabei einige der Probleme vieler Blockchains vermeidet. Während Bitcoins geschürft werden, existieren Iota-Einheiten schon auf dem Markt. Für jede Transaktion, die eine Iota-Nutzerin tätigen will, muss sie zwei andere Transaktionen überprüfen.

Iota versteht sich als digitale Infrastruktur, auf der alle möglichen Arten von verifizierten Informationen laufen können. Das "Internet of Everything". Seit Ende 2020 arbeitet die Stiftung dafür mit "Climate Check" zusammen. Das Unternehmen hat sich auf Messungen, Reporting und Verifikation spezialisiert. Die gemeinsame Idee ist, mit IoT- über das Iota-Protokoll verifizierte Daten zu CO2-Emissionen oder Einsparungen der Geräte in Echtzeit zu erfassen.

Mathew Yarger, Iotas "Head of Smart Mobility", erklärt mir das System via Zoom, von seinem Schreibtisch in Austin Texas aus. Er sei kein Klimaexperte. "Ich designe nur gerne Plattformen", sagt Yarger. Er öffnet ein Dashboard, auf dem er mir die Sensoren eines Pilotprojekts auf Google Maps zeigen kann. Mit ein paar Klicks ruft er das digitale Modell einer Anlage in Chile auf, die die Treibhaus-Gase einer Müllhalde auffängt und zerstört. 27 Tonnen CO2 hat die Anlage in den letzten 30 Tagen aufgefangen und damit reduziert, 348 Tonnen in den vergangenen 12 Monaten.

"Mit so einem System müssen Organisationen nicht Wochen damit verbringen, einen Experten zu der Anlage zu bringen, der dann ihre Leistung überprüft. Wir können vom Schreibtisch aus sehen, ob und wie viel sie reduziert," so Yarger. In zwei bis drei Jahren, hofft er, "könnten ein paar dutzend Partner unseren Code für solche Projekte nutzen." Er selbst versucht gerade, die Stadt Austin davon zu überzeugen, über das Iota-System zu tracken, wie viel Strom Austins Solaranlagen in das Netz einspeisen. "Wir hoffen damit eine Datengrundlage in Echtzeit zu schaffen, mit der Investoren beurteilen können, welche Investitionen sich lohnen und wirklich CO2 reduzieren, und welche nicht,“ so Yarger.

Langfristig, so hofft Yarger, kann Iotas Dashboard damit zu einem digitalen Modell von weltweitem CO2-Ausstoß und Reduktion werden. Je mehr CO2-messende IoT-Geräte an Yargers Pilotprojekt angeschlossen werden, desto genauer wird es – und umso genauer wüssten wir über den tatsächlichen CO2-Haushalt der Erde bescheid.