Greenwashing: Wie sich die Wirtschaft klimaneutral rechnet

Seite 3: "Klimaneutral"-Label mit Ignoranz

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Natürlich könnte man auch ohne ein Protokoll wie Iota Echtzeitdaten über CO2-Reduktion in einem Dashboard zusammenführen. Das besondere an Iotas Pilotprojekt ist allerdings, dass die Daten dank des dezentralen Systems sehr viel verlässlicher sind, als wenn Unternehmen selbst Angaben über ihren CO2-Ausstoß oder ihre Reduktion machen. Und je mehr Daten in Iotas Dashboard eingehen, desto düsterer wird das Bild. "Es kann gut sein, dass wir uns am Ende die Zahlen anschauen und denken: Wow, wir haben einen viel größeren negativen Impact als wir dachten; wir sind viel weiter weg von unseren Zielen, als wir gehofft haben. Das kann unangenehm werden. Aber auch dann ist es besser, Klarheit zu haben, als ignorant zu sein."

In den "Klimaneutral"-Labeln steckt genau diese Ignoranz und viele in der Nachhaltigkeitsszene sehen Offsetting kritisch: "Offsetting darf niemals darüber hinwegtäuschen, dass die Reduktion das ist, worum es gehen muss", sagt auch Tilman Santarius, der an der TU Berlin zu Umwelt, Wirtschaft und Digitalisierung forscht. "Ich mach so weiter wie bisher und kann es mir leisten zu kompensieren – das ist ein zeitlicher und regionaler Verschiebebahnhof. Es ist heute und langfristig nur eine Lösung für die Nische."

"Offsetting kann eine billige und unkomplizierte Art sein, das eigene Unternehmen gut darzustellen," erklärt auch Mareike Blum, eine Forscherin des Klima-Instituts MCC in Berlin. "Die einen sehen darin eine Gefahr des Greenwashings, die anderen verstehen es als ersten Schritt und sagen, es sei besser als nichts."

Mareike Blum erforscht Legitimität und Kontroversen in der Klimapolitik am MCC.

(Bild: Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) gGmbH / Matti Hillig)

Aktuell, so Blum, gehe der Trend dahin, dass sich Unternehmen auf Einsparpotenziale entlang ihrer eigenen Lieferkette fokussierten, was oft als Supply Chain Management oder Insetting bezeichnet wird. "Es geht dabei darum, in der eigenen Lieferkette CO2 zu reduzieren, statt zufällig irgendwo sonst auf der Welt etwas auszugleichen. Das macht die eigenen Problemzonen bewusster und ist auch greifbarer für die Konsumierenden." Dieser Trend, so Blum, greife einen zentralen Punkt der Offsetting-Kritik auf, die besagt, dass Staaten und Unternehmen eigene Anstrengungen unternehmen sollten, ihre selbst verursachten Emissionen zu prüfen und zu reduzieren, anstatt diese kostengünstig an anderer Stelle auszugleichen.

Um zu lernen, wie das funktionieren kann, treffe ich Elisa Naranjo in einer kanadischen Pizzeria in der Kreuzberger Dieffenbachstraße. Sie tunkt die Spitze ihrer Pizza-Ecke in einen scharf-süßen Dipp, die Spezialität des Hauses und verdreht die Augen, als ich sie frage, was sie davon hält CO2-Emissionen einfach zu tracken und auszugleichen. Naranjo arbeitet seit sechs Jahren als "Head of Fairstainability" für Einhorn, ein Berliner Unternehmen für nachhaltige Kondome und Hygieneprodukte. Für Einhorn ist die Beratung zu Nachhaltigkeitsthemen neben Kondomen und Hygieneprodukten inzwischen zu einem eigenen Geschäftszweig geworden.

Nachhaltige und faire Produktion von "Untenrumprodukten" sind das Geschäft von Elisa Naranjo bei Einhorn.

(Bild: Einhorn)

"Die spannende Frage ist nicht das Tracking, sondern wie es danach weitergeht. Passiert dann was, oder wird es nur ausgeglichen?" sagt Naranjo. "Wenn man es ernst meint mit der Nachhaltigkeit, liegen Maßnahmen wie auf Ökostrom umstellen, Flotte umbauen, Inlandsflüge streichen eh auf der Hand. Dafür braucht man keine Beratung."

Die erste CO2-Lifecycle-Analyse für Einhorn, erzählt Naranjo, habe ein Student für seine Masterarbeit gemacht. Seitdem arbeitet Einhorn an der eigenen Lieferkette: Wo kommt der Kautschuk her? Wie viel Energie verbraucht der Hersteller? Lassen sich Kondome auch ohne Verbundmaterialien verpacken? "Die Frage ist, wie ernst man das Thema nimmt", sagt sie. "Ich war die erste Angestellte bei Einhorn und wurde dafür bezahlt, nervige Fragen zu stellen." Wirklich spannend werde es für sie, wenn ein Unternehmen über das Produkt selbst nachdenkt. "Wenn jemand Socken produziert, macht es mehr Sinn, sich zu überlegen, wo die Socken kaputt gehen und wie sie länger halten könnten, statt erst zu produzieren und später nur auszugleichen."

Wie sie unter dem Aspekt unseren Porsche vom Anfang der Geschichte sehe, will ich von ihr wissen. Zunächst lächelt sie nur. Dann sagt sie: "Wenn Porsche ernsthaft über Nachhaltigkeit nachdenken würde, wäre die erste Frage: Was ist hier das eigentliche Produkt? Geht es hier tatsächlich um Mobilität? Die könnte man sicherlich viel nachhaltiger anbieten, als wenn maximal fünf Personen mit 500 PS durch die Gegend schießen. Die Frage ist, ob Porsche sich diesen Fragen überhaupt ernsthaft stellen will."

(lca)