Hinter den Kulissen von Moia: So arbeitet der Ridepooling-Spezialist

Seite 3: Gamechanger Robo-Shuttle

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Während Buchung und Abrechnung einer Fahrt automatisiert erfolgen, müssen Menschen die Fahrzeuge fahren. Sie sind bei der dynamischen Flottensteuerung ein Flaschenhals, denn man kann das Personal bei einer Flaute weder spontan nach Hause schicken, noch in Minutenfrist Fahrer von zu Hause zur Arbeit rufen.

Bereits im Jahr 2025 soll die Flotte aus diesem Grund um autonom fahrende Fahrzeuge ergänzt werden. An diesem Projekt arbeiten Volkswagen Nutzfahrzeuge sowie die VW-Töchter Argo AI und Moia zusammen. Die Nutzfahrzeugsparte des Konzerns baut das Fahrzeug, den vollelektrischen ID.Buzz. Argo AI aus den USA stattet die Busse mit Hard- und Software für autonomes Fahren im Level 4, das heißt vollautonom ohne menschlichen Fahrer, aus. Moia übernimmt die verbleibenden Arbeiten, um einen automatisierten Mobilitätsservice zu realisieren.

Erste Testfahrten werden seit Ende 2021 in den Hamburger Stadtteilen Winterhude, Uhlenhorst und Hohenfelde absolviert. "Wir haben uns für diese Stadtteile östlich der Alster entschieden, weil sie alle denkbaren Schwierigkeitsgrade im Straßenverkehr bieten", sagt Meyer. So ist die Sierichstraße bis 12 Uhr eine Einbahnstraße in Richtung Innenstadt, danach darf man nur noch stadtauswärts fahren.

Die Fahraufgaben sind Sache von Argo AI. In der Testphase sind zunächst zwei Personen an Bord. Eine achtet auf das äußere Verkehrsgeschehen und kann zur Not eingreifen, die andere hält penibel fest, wie sich der Selbstfahralgorithmus im realen Straßenverkehr behauptet – welche Verkehrssituationen die KI meistert und wo sie um die richtige Entscheidung ringt.

"Wir von Moia übernehmen die Digitalisierung der sogenannten Fahrernebentätigkeiten", erläutert Meyer. Das ist alles das, was das Fahrpersonal außer der Fahrtätigkeit leistet. Das klingt zunächst nicht sonderlich umfangreich, doch sind gerade diese scheinbar trivialen Aufgaben für Maschinen eine Herausforderung.

Ist das Gepäck sicher verstaut? Sind alle Fahrgäste angeschnallt? Tragen sie Maske? Blockiert ein Gegenstand die Tür? Benötigt jemand einen Kindersitz? Geht es allen Fahrgästen gut oder benötigt jemand ärztliche Hilfe? "Hier setzen wir auf künstliche Intelligenz bei der Bilderkennung", sagt Meyer, "Mehrere Kameras werden den Innenraum des Fahrzeugs überwachen und müssen verlässliche Antworten auf diese Fragen liefern." Für die Zufriedenheit der Kunden sind die Fahrernebentätigkeiten ein entscheidender Teil. Der Aufbau des autonomen Fahrangebots erfolgt im Rahmen der bestehenden IT-Architektur, parallel zum laufenden Geschäftsbetrieb.

Aufseiten von Argo AI zeigten Praxistests in den USA, dass sich die Ingenieure nicht nur Gedanken machen müssen, wie die Sensoren unter verschiedenen Wetterbedingungen gereinigt werden, sondern auch über Vandalismus. Bei Testfahrten trafen wiederholt Baseball-Bälle den teuren Long-Range-Lidar-Sensor auf dem Dach.

Ähnliche Erfahrungen sammelte der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) auf der autonomen Teststrecke in der Hafencity mit dem Shuttle-Bus HEAT. Der brauchte auch deshalb oft Stunden für die kurze Runde durch den Stadtteil, weil immer wieder Menschen auf die Straße traten, um das Bremsverhalten der Fahrmaschine zu testen.

Derzeit müssen Moia-Fahrer ihre Fahrgäste häufig in engen Nebenstraßen aufnehmen oder absetzen. Denn auf Hauptstraßen verhindern immer mehr Fahrradschutzstreifen das Halten direkt am Bürgersteig. Ihre Praxistauglichkeit in diesen engen Straßen ohne erkennbare Fahrbahnmarkierungen müssen die automatisierten Fahrzeuge noch unter Beweis stellen.

Gelingt die Integration der Robo-Fahrzeuge in die Flotte, sind zwei Probleme vom Tisch: erstens der chronische Personalmangel, denn heute findet das Unternehmen kaum noch geeignete Fahrer. Zweitens wird die gesamte Flottensteuerung mit selbstfahrenden Bussen flexibler. Bei Überkapazitäten würden Busse einfach am Straßenrand parken. Bei hoher Nachfrage könnten kurzfristig mehr Fahrzeuge einen der drei Betriebshöfe im Stadtgebiet verlassen.

Ridepooling ist Stand heute ein personalintensives Geschäft. Das Engagement für die Mobilität der Zukunft lässt sich VW etwas kosten. Weltweit arbeiten 1300 Beschäftigte für Moia.

Die Zentrale befindet sich in Berlin, die Moia-Gründung gab der damalige VW-CEO am Rande einer Technikkonferenz in London bekannt. Beides macht deutlich, wohin der VW-Konzern mit Moia ursprünglich wollte. Es sollte der führende europäische Ridepooling-Dienst werden. Die Expansion über Hamburg hinaus stand mit Sicherheit auf der Agenda.

Doch ein Virus und vermutlich die bisher fehlende Wirtschaftlichkeit machten den Plänen bisher einen Strich durch die Rechnung. Als regelmäßiger Nutzer des Angebots ist man immer wieder überrascht, wie selten weitere Fahrgäste auf den Routen zusteigen und wie günstig man mit Moia von A nach B kommt. Angesichts der laufenden Kosten dürfte Moia zurzeit ein Zuschussgeschäft sein und es wegen anstehender Investitionen ins autonome Fahren mittelfristig auch bleiben.

Stünden mehrheitlich autonom fahrende Moias auf dem Hof, sähe die Rechnung fraglos anders aus. Dabei stellen die Hamburger Verkehrsverhältnisse die Fahrtechnik vor eine große Herausforderung. Selbst wenn die Software von Argo AI die Aufgabe bewältigt, dürften die Robo-Moias deutlich langsamer, weil vorsichtiger unterwegs sein. Ob die Kundschaft dann geduldig sitzen bleibt oder genervt den Notausstieg aktiviert, um zu Fuß weiterzukommen, muss sich zeigen. (sha)