Im Zeichen des Adlers: 100 Jahre Moto Guzzi
Carlo Guzzi und seine Kollegen gehörten zu den innovativsten Motorrad-Ingenieuren aller Zeiten. Ausgerechnet den 100sten kann ihre legendäre Marke nicht feiern.
- Ingo Gach
Nur ganz wenige Marken haben von der Pionierzeit des Motorradbaus bis heute überdauert. Moto Guzzi gehört zu dem erlauchten Kreis und feiert heuer seinen 100. Geburtstag. Von den Fans wird die italienische Marke geradezu kultisch verehrt.
Als Carlo Guzzi und Giorgio Parodi am 15. März 1921 einen Vertrag zur Gründung der Società Anonima Moto Guzzi unterschrieben, hätten sie es wahrscheinlich selber kaum für möglich gehalten, dass ihre Firma allen Widrigkeiten zum Trotz hundert Jahre überstehen würde. Zu verdanken ist das vor allem dem genialen Erfindungsreichtum von Carlo Guzzi, der sich schon als Jugendlicher für Motorräder begeisterte und viel über Technik in der Werkstatt eines Motorenschlossers lernte.
Im Ersten Weltkrieg arbeitete der gebürtige Mailänder als Mechaniker bei einer Fliegerstaffel und freundete sich mit den beiden Piloten Giorgio Parodi und Giovanni Ravelli an. Alle drei waren motorradbegeistert und beschlossen, nach dem Krieg eigene Maschinen zu bauen. Parodi stammte aus einer schwerreichen Reederfamilie und konnte das nötige Geld dafür aufbringen. 1919 starb Ravelli jedoch bei einem Flugzeugabsturz, ihm zu Ehren wählten seine beiden Freunde den Adler der Fliegerstaffel als Firmenlogo.
Werksgründung in Mandello del Lario
Carlo Guzzi baute 1920 in Mandello del Lario am Comer See sein erstes Motorrad, das er G.P. für "Guzzi & Parodi" nannte. Da Giorgio Parodi ihn mit einem großzügigen Budget ausgestattet hatte, konnte Guzzi in die Vollen gehen: Das Motorrad hatte einen liegenden Einzylindermotor mit 498 cm3 Hubraum, Königswellenantrieb, obenliegende Nockenwelle, vier Ventile, zwei Zündkerzen und ein Dreigang-Getriebe. Damit war es das innovativste Motorrad seiner Zeit.
Die Familie Parodi, auf deren finanzielle Unterstützung es ankam, war begeistert und gab grünes Licht für die Motorradmanufaktur. Allerdings wollte sie ihren bekannten Familiennamen heraushalten und so wurde die neue Marke "Moto Guzzi" getauft. Giorgio Parodi wurde zum Geschäftsführer ernannt, während Carlo Guzzi zwar am Gewinn beteiligt wurde, aber Zeit seines Lebens Angestellter in der Firma blieb, die seinen Namen trug.
Auf Anhieb Europameister
Carlo Guzzi stellte gleich zum Start sieben Mitarbeiter ein, einer davon war sein älterer Bruder Guiseppe, der bereits einen Titel als Diplom-Ingenieur besaß. Da die G.P. für eine Serienfertigung zu teuer war, konstruierte Guzzi als erstes offizielles Motorrad der neuen Marke die Normale. Sie verfügte über einen liegenden Einzylinder mit Gaswechsel über ein stehendes und ein hängendes Ventil. Die von Zahnrädern angetriebene Nockenwelle saß oberhalb der Kurbelwelle. Mit 8,5 PS erreichte die Normale für damalige Verhältnisse eindrucksvolle 80 km/h Höchstgeschwindigkeit.
100 Jahre Moto Guzzi I (8 Bilder)
(Bild: Moto Guzzi)
1921 baute Moto Guzzi 17 Motorräder, im darauffolgenden Jahr waren es schon 139 und die Zahl der Mitarbeiter war auf 52 gewachsen. Carlo Guzzi war davon besessen, neue Ideen zu verwirklichen und so kam 1923 die Sport mit zwei hängenden Ventilen auf den Markt, die es auf 17 PS brachte. Parallel dazu entwickelte Guzzi einen Vierventil-Rennmotor, mit dem sein Werksfahrer Guido Mentasti 1924 zur ersten offiziellen Europameisterschaft in Monza antrat und überraschend gewann. Nur drei Jahre nach dem Start der Marke war Moto Guzzi im Olymp der Motorradrennfahrer angekommen.
Reißende Absatzzahlen
Der EM-Titel bescherte Moto Guzzi reißende Absatzzahlen und das Werk musste bereits 1925 vergrößert werden. Der Motorradhersteller profitierte davon, dass die Familie Parodi bereits über viel Erfahrung im Vertrieb verfügte und so rasch ein Händlernetz aufbauen konnte. Carlo Guzzi entwickelte unermüdlich weiter, so kam 1929 die Sport 14 mit einem 13 PS leistenden 500er-Einzylinder auf dem Markt, der sich rasch zum Bestseller mauserte. Die Nachfolgerin Sport 15 bekam als erste Moto Guzzi einen oben auf dem Rahmenrohr sitzenden rundlichen Satteltank und brachte es auf 100 km/h.
Ihrer Zeit voraus war die Marke bei der Hinterradfederung: Obwohl Guiseppe Guzzi auf der G.T. Norge mit Hinterradfederung 1928 bis zum norwegischen Polarkreis und zurück fuhr – damals eine Sensation – verkaufte sich das Modell kaum, erst in der G.T.V. mit einem 19 PS starken 500er-Motor, vier Gängen und Fußschaltung wurde die Schwinge mit liegenden Schraubenfedern und einstellbarer Dämpfung von den Kunden akzeptiert. Bald stieg Moto Guzzi zur größten Motorradmanufaktur Italiens auf. Carlo Guzzi begeisterte sich stets für neue Ideen, so entstand 1931 ein Rennmotorrad mit einem 500 cm3 großen Vierzylindermotor und Kompressoraufladung. Gleichzeitig entwickelte er ein Tourenmodell mit einem damals seltenen Dreizylindermotor.