Im Zeichen des Adlers: 100 Jahre Moto Guzzi​

Seite 2: Moto Guzzi steigt zu den größten Herstellern auf

Inhaltsverzeichnis

Weil das Kompressormotorrad nicht den gewünschten Erfolg bei Rennen brachte, setzte Guzzi als nächstes auf handliche Zweizylinder mit 120 Grad Zylinderwinkel, die ab 1933 sowohl Siege in der 250er-, als auch 500er-Klasse einfuhren. Erst 1937 versuchte sich die Marke erneut an Kompressormotoren und war diesmal deutlich erfolgreicher. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg und Moto Guzzi musste Motorräder für das Militär fertigen. Die Produktion von zivilen Modellen lief aber schon 1946 wieder an, denn Italien brauchte günstige Fortbewegungsmittel. So konstruierte Guzzi unter anderem den Zweitakter Motoleggera 65, der sich innerhalb von zehn Jahren 70.000 Mal verkaufte, der Nachfolger namens Cardellino schaffte sogar mehr als doppelt so viele Einheiten. Ende der 1950er Jahre hatte Moto Guzzi 21.000 Angestellte und gehörte zu den größten Motorradproduzenten der Welt.

Natürlich bestritt Moto Guzzi auch wieder Rennen. Als 1949 die Motorrad-Weltmeisterschaft ins Leben gerufen wurde, erwiesen sich die Racer aus Mandello del Lario in der 250er- und 350er-Klasse als überlegen und holten in neun Jahren acht Titel. Doch der ehrgeizige Carlo Guzzi wollte unbedingt auch die Königsklasse gewinnen und baute deshalb 1953 einen wassergekühlten, längs eingebauten 500-cm3-Vierzylinder mit Einspritzung und Kardanantrieb. So fortschrittlich dieses Motorrad auch war, es litt unter technischen Problemen.

100 Jahre Moto Guzzi II (7 Bilder)

Moto Guzzi konnte bereits in den 50er-Jahren stolz einen eigenen Windkanal präsentieren. Als einer der größten Motorradproduzenten der Welt war man zu dem Zeitpunkt finanziell dazu noch in der Lage.
(Bild: Moto Guzzi)

Doch Carlo Guzzi galt nicht zufällig als begnadeter Konstrukteur und präsentierte 1955 der geschockten Konkurrenz die "Otto" ("acht"): eine 500er mit V8-Motor und Sechsganggetriebe. Sie brachte es zunächst auf 62 PS und nach einiger Entwicklungsarbeit auf 78 PS bei 14.000/min, wog nur 150 Kilogramm und erreichte mit ihrer im hauseigenen Windkanal geformten Vollverkleidung sagenhafte 275 km/h. Wenn sie nicht so oft mit Pannen ausgefallen wäre, hätte die Konkurrenz keine Chance gehabt. Doch so erfolgreich Moto Guzzi im Rennsport war, so sehr drückten finanzielle Probleme die Firma und sie zog sich daher 1957 aus der WM zurück, just als die "Otto" endlich zuverlässig lief.

Der größte Konkurrent von Moto Guzzi war nicht etwa ein anderes Motorrad, sondern der Fiat Nuova 500, heute ebenfalls eine italienische Ikone. Der Kleinstwagen war ausgesprochen günstig und stellte eine alltags- und familientauglichere Alternative zum Motorrad dar. Wie bei allen Motorradherstellern gingen die Verkaufszahlen auch bei Moto Guzzi ab 1957 deutlich zurück. Nachdem Giorgio Parodi 1955 verstorben war, hatte sein Bruder Enrico die Geschäftsführung übernommen und geriet über die Ausrichtung der verschuldeten Firma mit Carlo Guzzi in Streit, der deshalb 1961 aus dem Unternehmen ausstieg. Der geniale Konstrukteur starb am 3. November 1964 im Alter von 75 Jahren, hinterließ zahlreiche eindrucksvolle Motorräder und wurde zur Legende.

1966 produzierte Moto Guzzi keine 5000 Motorräder mehr und musste Konkurs anmelden. Dass die Marke weiter existierte, verdankte sie einem für ein (oder in einem) Auto entwickelten Motor. Der Ingenieur Giulio Cesare Carcano, der auch für die Entwicklung des 500er-V8-Motor verantwortlich war, experimentierte mit einem gebläsegekühlten V2 in einem Fiat 500, der erst mit 500 ccm, später mit 594 ccm und bis zu 32 PS den Kleinstwagen auf 130 km/h Höchstgeschwindigkeit brachte. Eine Kooperation mit Turin kam 1958/59 wohl deshalb nicht zustande, weil Guzzi Fiat keine ausreichenden Liefermengen garantieren konnte.

Der 600er-Zweizylinder, den Carcano für den Einbau im Fiat 500 gezeichnet hatte, zeigt alle für den späteren Motorradmotor typischen Merkmale: V-förmig hängende Ventile, kuppelförmige Brennräume und Kolbenböden ("Heron") für hohe Drehzahlen und Literleistungen. Die Nockenwelle liegt wenig überraschend im "V" der Zylinder, das Aluminium-Kurbelgehäuse ist ungeteilt und hat eine Öffnung für das hintere Kurbelwellen-Lagerschild. Die Zylinder aus Aluminium tragen verchromte Laufflächen. Sogar die Zylinderkopfdeckel ähneln formal denen der ersten Motorradmotoren-Generationen ("Rundmotor").

(Bild: Moto Guzzi)

1963 schrieb die italienische Regierung einen Auftrag für ein neues Dienstkrad der Polizei aus. Bedingung: Es musste mindestens 100.000 Kilometer nur mit normaler Wartung halten. Seit den frühen 1950er Jahren hatte Moto Guzzi die Behörden mit der Falcone ausgestattet und das Überleben der Firma hing von dem neuen Auftrag ab. Doch Moto Guzzi wusste, dass kein Motorrad im Programm war, das eine so lange Distanz ohne Überholung überleben würde.

Da erinnerte sich Carcano an seine V2-Projekte und konstruierte einen Doppelschleifen-Rohrrahmen aus Stahl für das Behördenkrad. Der längs eingebaute 90-Grad-V2 hatte 703 cm3 Hubraum, der Ventiltrieb erfolgte über Stoßstangen, zwischen Motor und Getriebe saß eine eine Trockenkupplung, die Lichtmaschine wurde per Keilriemen und das Hinterrad über eine Kardanwelle im rechten Schwingenrohr angetrieben. Das V7 getaufte Modell leistete 43 PS bei 6000/min, wog aber auch 245 Kilogramm. Die Sitzbank rückte weit nach hinten, weil sonst die Knie des Fahrers mit den schräg emporragenden Zylindern kollidiert wären.

Der andere V2 mit 754 ccm war für ein allradgetriebenes (ja, ein 3x3!) Lasten-Trike der italienischen Armee gedacht und schon wegen des Lastenhefts grundsätzlich anders konstruiert. So hatte dieser eine Nockenwelle pro Zylinder, parallel hängende Ventile über flachen Kolbenböden (ungeeignet für hohe Leistung und Drehzahlen) und wegen der Neigungswinkel des Fahrzeugs im Gelände eine Trockensumpfschmierung.

(Bild: Moto Guzzi)

Der V2 mit 754 ccm für den Mulo Meccanico der italienischen Armee hat entgegen anderslautender Gerüchte nichts mit dem späteren V7-Motor zu tun. Der 600er für Fiat hingegen zeigte mit den V-förmig hängenden Ventile und Heron-Brennräumen bereits die typischen Merkmale des nachmaligen Motorrad-Motors.