Im Zeichen des Adlers: 100 Jahre Moto Guzzi​

Seite 3: Die V7 rettet die Marke

Inhaltsverzeichnis

Obwohl der Zuschlag für das Behördenkrad 1965 an Moto Guzzi ging, war der Konkurs im nächsten Frühjahr nicht mehr abzuwenden. Zunächst kam die Firma unter staatliche Verwaltung und 1967 übernahm ein neu gegründetes Firmenkonsortium die Traditionsmarke. Eine Marktanalyse ergab, dass die Kunden sich sportliche Motorräder wünschten. Als neuer Chef-Ingenieur wurde daraufhin der aus dem Rennsport stammende Lino Tonti engagiert. Zwar wurde die V7 bald auch an Zivilisten verkauft und mutierte 1971 zum legendären Tourer "V 850 California", doch Tonti begab sich an die Transformation des Behördenkrads in ein Sportbike. Er nahm einige Umbauten vor, reduzierte das Gewicht, erhöhte Hubraum und Verdichtung. So präpariert stellte die V7 1969 einige Geschwindigkeitsrekorde auf. Doch weil sich der Rahmen als wenig geeignet für Rennen erwies, konstruierte er den bis heute in Fankreisen verehrten "Tonti-Rahmen", in dem der Motor höher platziert war.

Tonti erreichte das selbst gesteckte Ziel von 200 km/h und 200 Kilogramm für die V7 Sport. Absurderweise war die Geschäftsführung nicht von der V7 Sport überzeugt und Tonti konnte eine Serienfertigung erst durchsetzen, als er mit seiner Kündigung drohte. Zum Beweis der Leistungsfähigkeit des Motorrads setzte Tonti sie 1971 beim 500-Kilometer-Rennen für Serienmaschinen in Monza und bei den 24 Stunden von Le Mans ein, wo sie beide Male den dritten Platz holte. Die V7 Sport hatte ihre Feuertaufe mit Bravour bestanden und die Verkaufszahlen schnellten nach oben. Für die erste Serie, die "Telaio Rosso" (roter Rahmen), wurden 104 Stück produziert, um die Auflage der FIM für die Teilnahme an Serienrennen zu erfüllen. Die 748-cm3-Motoren waren im Sandgussverfahren entstanden und leisteten im straßenzulässigen Zustand 62 PS. Heute sind die Telaio Rosso-Modelle aus der ersten Serie unter Sammlern heiß begehrt.

Die V7 Sport wurde zur Rettung von Moto Guzzi und bis heute werden alle Modelle von einem längs eingebauten, luftgekühlten 90-Grad-V2 angetrieben. Doch zunächst wurde die erneut kurz vor der Pleite stehende Firma 1973 vom Sportwagenbauer und Ex-Rennfahrer Alejandro de Tomaso gekauft, der Moto Guzzi zumindest vorübergehend wieder in die Gewinnzone brachte.

Unter seiner Regie entstanden Modelle wie ab 1975 die Le Mans und die kleinen V35 und V50. Auch der einzige Motor mit mehr als zwei Zylindern in der Ära nach Carlo Guzzi war de Tomaso zu verdanken, als er 1974 einen 350er und 400er-Reihenvierzylinder bauen ließ. Die beiden Modelle erwiesen sich jedoch als Flop und auch mit den Verkaufszahlen der V2-Modellen ging es im Laufe der nächsten beiden Jahrzehnte stetig bergab. Gegen die japanische Übermacht kamen die konservativ gestrickten Moto Guzzis weder technisch noch leistungsmäßig an. Die Modelle aus Mandello del Lario mussten sich in der Qualität mit den japanischen Bikes messen und in den 1990er-Jahren strebte die Marke erneut der Insolvenz entgegen.

Im Jahr 2000 übernahm der Aprilia-Besitzer Ivano Beggio die altehrwürdige Traditionsmarke Moto Guzzi und investierte viel Geld in die Renovierung des Werks in Mandello del Lario. Doch nur vier Jahre später wurde die in finanzielle Nöte geratene Firma Aprilia vom Piaggio-Konzern geschluckt, inklusive Moto Guzzi. Der neue Besitzer wollte Moto Guzzi wegen des berühmten Namens, obwohl die Verkaufszahlen am Boden lagen. Weil Piaggio seine Tochterfirma finanziell kräftig unterstützte, brachte Moto Guzzi auch wieder einige interessante neue Modelle auf den Markt, vor allem die 2007 neu aufgelegte V7 erfreute sich rasch großer Beliebtheit unter den Fans. Sie basierte allerdings auf der Breva 750 und nicht auf dem historischen Modell. Inzwischen gibt es sie in der vierten Generation mit dem 850er-Motor aus der V85 TT, einer Reiseenduro, die sich seit ihrem Start 2019 zum Bestseller im Moto-Guzzi-Programm mauserte.

Doch in naher Zukunft wird sich Unerhörtes in der Traditionsmarke tun, denn die Gerüchte verdichten sich, dass Moto Guzzi tatsächlich einen Motor mit Wasserkühlung entwickelt. Die ersten Prototypen wurden bereits auf Testfahrten gesichtet und es soll sich angeblich um einen 1000er-V2 mit flüssigkeitsgekühlten Zylinderköpfen handeln, dessen Leistung vermutlich um die 120 PS liegen dürfte. Wasserkühlung würde nicht nur den thermischen Haushalt des Motors verbessern, sondern auch die stärkste Serien-Moto-Guzzi aller Zeiten bedeuten.

Damit hätte sich Moto Guzzi selbst ein bemerkenswertes Geschenk zum 100. Geburtstag gemacht. Es wäre ein kleines Trostpflaster für die Fans, die eigentlich Mitte September in Mandello del Lario ein rauschendes Fest feiern wollten. Doch Covid-19 machte dem "Giornati Mondiali Guzzi" einen Strich durch die Rechnung. Die Geschäftsführung verschob die 100-Jahr-Feier auf 2022. Im Jahr darauf ist schon BMW Motorrad dran mit seinem Jubiläum.

(fpi)