Klasse Mitte: Motorrad-Mittelklasse im Trend

Seite 2: Weniger Motor – mehr Spaß

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Fast zeitgleich fuhr ich die neue Triumph Trident 660. Bei dem Mittelklasse-Naked Bike aus England treibt ein munterer 660-cm3-Dreizylinder mit 81 PS nur 189 Kilogramm Leergewicht an. Die Trident 660 erreicht 200 km/h und beschleunigt in vier Sekunden auf Tempo 100. Nur zum Vergleich: Dieses Mitteklasse-Motorrad würde den aktuellen Porsche 911 Carrera (992) beim Sprint auf 100 km/h um 0,2 Sekunden abhängen, es ist also alles andere als langsam.

Auf kurvigen Landstraßen bin ich mit der handlichen Triumph gefühlt genauso schnell unterwegs wie mit der BMW S 1000 R, aber der Spaßfaktor auf der Britin liegt höher, denn ich kann einen wesentlich größeren Teil der maximalen Motorleistung abrufen – Tempo 100 erreicht sie erst im dritten Gang bei rund 8000/min – und die Elektronik muss viel seltener regelnd eingreifen, um ein durchdrehendes Hinterrad einzufangen. Dadurch vermittelt die Trident 660 ein höheres Sicherheitsgefühl, obwohl sie weniger elektronische Assistenzsysteme hat.

Natürlich kann die kleine Triumph im Durchzug gegen die BMW S 1000 R mit einem vollen Liter Hubraum nicht ganz mithalten, aber sie braucht – dank einer kurzen Übersetzung – im sechsten Gang von 60 auf 100 km/h nur 3,9 Sekunden. Die große BMW schafft die gleiche Übung gerade mal sechs Zehntelsekunden schneller, obwohl sie 84 PS mehr besitzt. Die Überlegenheit des Power-Naked-Bikes ist auf der Landstraße mehr ein theoretischer als ein praktischer Wert. Wen das immer noch nicht überzeugt, sollte einen Blick auf die Preisschilder werfen: Die Triumph Trident 660 gibt es schon für 7645 Euro, während für die BMW S 1000 R in der nackten Basisausstattung mit 14.740 Euro fast das Doppelte fällig wird, unsere opulent ausgestattete Testmaschine kam gar auf sagenhafte 21.480 Euro.

Bevor jetzt die Protestwelle über mich hinwegrollt: Ich halte die BMW S 1000 R für ein sehr gutes Motorrad und verstehe jeden, der so ein Bike kauft. Auch ich finde das mächtige Drehmoment einer KTM 1290 Super Duke R faszinierend und bewundere die atemberaubende Performance einer Ducati Panigale V4 (Test). Der Trend geht jedoch eindeutig zu Mittelklasse-Modellen, weil sie nicht nur erheblich günstiger sind, sondern auch dem Fahrer das beruhigende Gefühl geben, die Leistung kontrollieren zu können.

Motorrad-Mittelklasse II (8 Bilder)

Vor kurzem präsentierte Yamaha die R7. Weil kaum noch jemand die PS-starken Sportmotorräder kaufen will, versucht Yamaha in der günstigen Mittelklasse wieder Kunden anzulocken.

Der seit Jahren anhaltende Verkaufserfolg diverser Naked Bikes in der Mittelklasse wie die Yamaha MT-07, Kawasaki Z 650, Suzuki SV 650 und Honda CB 650 R – alle mit Motoren zwischen 649 und 689 cm3 – ließ auch andere Hersteller wie Triumph und Aprilia mit 660er-Motoren nachziehen, um ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen. Durch den hohen Konkurrenzdruck müssen die Marken ihre Bikes in dem Hubraumsegment zu günstigen Preisen anbieten, was wiederum immer mehr Käufer anlockt, wie die Neuzulassungen belegen. An den oft scharf kalkulierten Modellen verdienen die Hersteller zwar weniger als an den hubraumstarken Bikes, aber dafür können sie in der Mittelklasse große Stückzahlen losschlagen.

Dieser Trend zum "weniger ist mehr" zeichnet sich auch in anderen Segmenten ab. Die Yamaha 700 Ténéré ist nicht zufällig eine der meistverkauften Enduros. Sie leistet zwar "nur" 73 PS bei 9000/min, aber der 689-cm3-Reihenzweizylinder läuft exzellent. Dabei bringt die Ténéré mit vollem Tank schlanke 204 Kilogramm auf die Waage. Der Fahrer scheucht die handliche Yamaha mit einer spielerischen Leichtigkeit durch Asphaltkurven und über Schotterpisten, die auf einer hubraumstarken, aber deutlich trägeren Reiseenduro mit über fünf Zentner Gewicht nicht möglich wäre.

Dabei erreicht die Ténéré mit 186 km/h mehr als genug Speed, um auch auf der Autobahn zügig unterwegs zu sein. Zugegeben: Der Langstreckenkomfort ist auf einer BMW R 1250 GS (Test), Ducati Multistrada V4, Honda Africa Twin (Test) oder KTM 1290 Super Adventure höher, aber er muss auch mit wesentlich teureren Preisen erkauf werden, denn die Yamaha 700 Ténéré gibt es schon für knapp über 10.000 Euro.

Die Modellvielfalt in der Mittelklasse wächst stetig, so hat Triumph bereits den Sporttourer Triumph Tiger Sport 660 gezeigt und Aprilia jüngst nach dem Sportler Aprilia RS 660 und dem Naked Bike Aprilia Tuono 660 (Test) noch die Enduro Tuareg 660 hinterhergeschoben. Doch auch viele andere Hersteller werden sich das Geschäft nicht entgehen lassen, so will etwa KTM in naher Zukunft einen preisgünstigen 750er-Zweizylinder bringen und Honda soll angeblich an einer kleinen Ausgabe der Africa Twin arbeiten. Sogar chinesische Hersteller mischen inzwischen mit, so präsentiert zum Beispiel CF Moto mit der 700 CX-L ein Retrobike und Moto Morini (gehört zu Zhongneng) mit der X-Cape 650 eine Reiseenduro, beide Modelle liegen im Preis unterhalb von 8000 Euro.

Mittelklasse-Motorräder werden immer beliebter, weil sie durchaus ansehnliche Fahrleistungen zu günstigen Preisen bieten und vielen Hochleistungs-Bikes nur vermeintlich unterlegen sind. Die Hersteller kurbeln den Trend weiter an mit neuen, attraktiven Modellen im Bereich zwischen 650 und 700 cm3 Hubraum.

(fpi)