Long Covid: Das dicke Ende kommt noch

Die Aussicht auf Lockerungen verstellt den Blick, doch die Bundespressekonferenz vom 11. März 2022 betont die Gefahr und die Auswirkungen von Long Covid.

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Die Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung sind teils schwer, auch bei milden Verläufen.

(Bild: Kinga Cichewicz / Unsplash)

Stand:
Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Auf der heutigen Bundespressekonferenz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war Jördis Frommhold zu Gast. Die Chefärztin in der Median Klinik Heiligendamm leitet die Abteilung für Atemwegserkrankungen und berichtet über die Gefahr und Auswirkungen von Long Covid. Sie richtete ihre Ambulanz bereits frühzeitig in der Pandemie, im Sommer 2020, für die Lungen-Rehabilitation von Long-Covid-Betroffenen ein.


In diesem Text aus der Ausgabe 3/2021 von MIT Technology Review porträtierten wir Betroffene und berichteten über Therapien.


Chantal Britt war immer fit und gesund. "Erkältungen und Grippe beeinträchtigten mich nie und so hatte ich auch keine Angst, mich mit diesem mysteriösen Virus anzustecken“, erzählt die 53-jährige Fachfrau für Wissenschaftskommunikation aus Bern. „Im Februar 2020 startete ich mein intensiveres Marathontraining, um mich auf einen Lauf in Zürich im Frühling vorzubereiten. Am 6. März besuchte ich dann ein Chorkonzert meiner Tochter, damals noch ohne Maske. Vier Tage später kratzte es mich im Hals und ich verspürte einen leichten Hustenreiz. Ich war etwas müde, aber nicht wirklich krank. Ich dachte noch: ‚Das ist nun wohl diese Infektion, das war ja gar nichts. In einer Woche bin ich wieder fit.‘“

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Die meisten COVID-19-Erkrankten erholen sich tatsächlich schnell. Ein überraschend hoher Anteil allerdings, den Experten auf mehr als 20 Prozent beziffern, leidet noch viele Monate nachdem ihr Körper das Virus scheinbar besiegt hat, an einer verwirrenden Vielfalt von teilweise extrem belastenden Beschwerden. Diese lang anhaltenden Probleme sind nicht nur auf die Lunge beschränkt, sondern suchen den ganzen Körper vom Gehirn bis zu den Zehen heim. Es trifft junge wie alte, Männer wie Frauen, Menschen mit schweren Krankheitsverläufen mit Intensivbehandlung und leichte Fälle. Auch Kinder und Jugendliche bekommen „Long Covid“.

Chantal Britt holt der Spätverlauf von den Beinen, als sie sich schon wieder auf dem Damm glaubt. Als sie Mitte März 2020 ihr Arbeitsmaterial für das Homeoffice aus dem Büro holen möchte, muss sie bei einer Steigung plötzlich vom Fahrrad absitzen, weil sie keine Luft mehr bekommt. „Mein Herz raste, meine Lunge brannte, mir war schwindelig und übel. Beim Versuch wieder zu laufen ging es mir ähnlich.“ Ihr Läufer-Ruhepuls von 50 bis 60 Schlägen pro Minute steigt nun dauerhaft auf 80 bis 100 – bis heute ist das so. Selbst leichte Belastungen wie Treppensteigen lösen Herzrasen und Atemnot aus. Wie viele andere Long-Covid-Betroffene ist Britt oft restlos erschöpft, kann sich schlecht konzentrieren, leidet unter Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Schlaflosigkeit und Panikattacken. Insgesamt plagen sie seit einem Jahr abwechselnd mehr als 30 Symptome.

Vor den Langzeitfolgen lief Chantal Britt mehrere Marathons pro Jahr.

(Bild: privat)

Vor allem die bleierne Müdigkeit – im Fachjargon auch Fatigue genannt –, Atemnot und Herzrasen machen viele von jetzt auf gleich arbeitsunfähig und sorgen für Zukunftsängste. „Das Risiko von Langzeitbeschwerden ist größer, wenn man mit einem schweren Verlauf hospitalisiert war. 39 Prozent dieser Patienten sind sechs Monate später noch nicht zu ihrem ursprünglichen Gesundheitszustand zurückgekehrt“, hat der Epidemiologe Milo Puhan von der Universität Zürich bei 431 Schweizer Patienten beobachtet und in einem Preprint publiziert, der den Peer-Review-Prozess noch nicht durchlaufen hat. Aber selbst bei milden bis moderaten Verläufen waren satte 23 Prozent von Spätfolgen betroffen. An schweren Long-Covid-Verläufen leiden fünf Prozent. Andere Studien gehen teilweise von noch höheren Anteilen aus.

Auf Deutschland hochgerechnet würden Puhans Ergebnisse 557.380 bis 945.130 Long-Covid-Fälle bedeuten, die etwa dreimal so hohe Dunkelziffer nicht-diagnostizierter Fälle nicht mitgerechnet (Stand: 22.03.2021). Schwerere Verläufe mit Krankenhausaufenthalt scheinen mehr Männer zu treffen, hat Jördis Frommhold beobachtet. Die Chefärztin leitet in der Median Klinik Heiligendamm die Abteilung für Atemwegserkrankungen und richtete ihre Ambulanz bereits im Sommer 2020 für die Lungen-Rehabilitation von Long-Covid-Betroffenen ein.